Berliner Fatalismus

Wählen und Warten

Ob der Bus nun kommt oder nicht, der Hund muss jedenfalls gebürstet werden.
Cocolumne Von

Ich bin ja eher ein Fatalist. Also eher ein Taxiwinker als ein Taxirufer. Wenn keines kommt, na, dann geh ich halt zu Fuß oder warte auf den Bus oder den folgenden Bus. Man könnte mir dies vielleicht als Entscheidungsschwäche auslegen, aber es ist die einzige Methode, um in einer Stadt wie Berlin zu überleben. Zu denken, irgendetwas würde besser funktionieren, nur weil man sich aufregt oder irgendwen anruft oder abwählt oder etwas tut oder unterlässt, ist Aberglaube. Selbst der Trick mit der Zigarette, die man sich anzündet, damit der Bus kommt, funktioniert in Berlin nicht. Sie stehen an der Haltestel­le und verfolgen live den Bus auf Ihrer App: noch drei Minuten, noch zwei Minuten, noch eine Minute – noch zehn Minuten. Da war aber gar kein Bus, er ist, falls es ihn wirklich gab, irgendwo unterwegs verschwunden, einfach futsch, hat sich in Luft aufgelöst. Welche vernünftige Entscheidung hätten Sie da treffen können? Sehen Sie es ein: Sie sind dem Schicksal ausgeliefert.

Coco ist anders: definitiv Typ Taxirufer. Futter und Streicheleinheiten fordert sie vehement ein. Wenn ihr etwas missfällt, kommentiert sie das mit Leidenschaft, kann sich geradezu in Rage bellen. Aber manchmal, ja manchmal, da fügt selbst sie sich dem Schicksal und dann lässt sie etwa das Bürsten, das sie so hasst, einfach über sich ergehen. Müde der Aufregung und des vergeblichen Bemühens, ihre Situation zu verbessern, resigniert sie irgendwann; wird also durch und durch Berlinerin; wartet mit leerem Blick auf das Taxi, das nicht kommt, auf den Bus, der sich in Luft auflöst, und dann eben auf den nächsten Bus, frei jeder Vorstellung, ob wirklich mal einer kommen möge oder sich irgendetwas ändern ließe. So sind wir in Berlin: Wenn kein Bus kommt, na, dann gehen wir eben zum nächsten Wahllokal, vielleicht findet ja gerade mal wieder eine Wahlwiederholung statt und wir stimmen ab, ob Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot oder Rot-Grün-Rot, und wenn es beim ersten Mal nicht klappt, dann halt beim nächsten oder übernächsten Mal, egal, wir kommen wieder oder auch nicht, oder lösen uns alle in Luft auf.

Dass wir Berliner so abgestumpft, so apathisch sind, nun, das haben wir uns sicherlich selbst eingebrockt. Der Hund hingegen, der ist beim Bürsten tatsächlich Opfer höherer Mächte. Mir bricht es jedes Mal das Herz, wenn ich sehe, wie dieser kleine Hund irgendwann aufgibt. Gib nicht auf, kleiner tapferer Hund, denke ich, während ich sage: Gib auf! Werd’ nicht so wie wir, möchte ich ihm zurufen, während ich ihm zurufe, er möge endlich stillhalten. Geh wählen, ruft man den Berlinern zu, und natürlich gehen wir wählen, also die mit dem passenden Pass jedenfalls, und lamen­tieren nicht, wenn jemand dabei gewählt wird oder halt auch nicht, sonst warten wir eben auf den Bus. Und irgendwann wird es dann auch wieder Frühling.