Ein Hamburger Theater simuliert die Schutzbunker in der Ukraine

Bombenalarm als Theaterabend

Kann ein Besuch im Theater das Gefühl authentisch ver­mitteln, in einem Bombenschutzkeller in der Ukraine zu sitzen? Das Hamburger Thalia-Theater hat sich daran versucht und dafür Beifall in den »Tagesthemen« der ARD bekommen.
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Im Hamburger Thalia-Theater zeigte man unlängst auch Unterhaltung der etwas anderen Art: Das Stück »Bomb Shelter. Art ­Resistance Night« des ukrainischen Regisseurs Wladyslaw »Vlad« Trojizkyj sollte in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar auch in Deutschland »den Ausnahmezustand erfahrbar« machen, wie es im Ankündigungstext der Veranstaltung heißt. Man lade ein, »den Schutzbunker als Phänomen zu erleben und teilzuhaben an einer parallelen Realität, wie sie momentan in jeder Großstadt in der Ukraine zum Alltag gehört«. Konkret bedeutet das Folgendes: Das ­Publikum wird nach einer Konzerteinlage von dem über die Lautsprecheranlagen ertönenden Alarm aufgefordert, sich in den »Schutzbunker«, einen mit Matratzen ausgestatteten Raum, zu begeben, in dem es sich zu den Sounds von Raketen und Explosionen in das andernorts reale Kriegsgeschehen hineinversetzen können soll. Die Nacht im Theater wird dabei an unterschiedlichen Orten »immer wieder zur Bühne für Live-Konzerte (…), Performances, ­Videokunst und ­Lesungen«, die das Kriegsgeschehen künstlerisch auf­bereiten sollen.

Der Anspruch der Veranstaltung ist ein aufklärerischer, doch klärt sie – wenn überhaupt – weniger über den Krieg auf als über den Zustand der Kunstszene selbst. Der einzige Zweck der als Kunst bezeichneten Schau ist es, den Krieg und damit das Leid und die Angst der betroffenen Menschen in eine kulturindustriell an­gefertigte Ware zu verwandeln, die sich die Theatergäste genüsslich zu Gemüte führen können. Das Produkt, das herauskommt, wird dann unter dem Namen »Art Resistance Night« an den Theaterkassen verkauft. Von Kunst kann schon deshalb keine Rede sein, weil Krieg und Widerstand nun einmal keine sind – es sind Mittel der Politik, die eine Funktion erfüllen, wohingegen sich Kunst dem Begriff nach nicht der Funktionalität zu unterwerfen hat.

Den Zuschauern der Veranstaltung ist selbstverständlich jederzeit klar, dass der »Sound des Krieges«, den die Veranstalter, wenn auch als »verfremdeten«, allen Ernstes so bezeichnen, als handle es sich um ein Metal-Festival, nicht von Flugzeugen und Raketen herrührt, sondern aus einer Lautsprecheranlage ertönt. Bedenkt man, dass Menschen in der Ukraine und anderswo tatsächlich um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie diesen »Sound« hören, ist die geheuchelte Angst der gutsituierten Theatergänger an Zynismus nicht zu übertreffen; können es sich diese doch allzeit wieder in ihren Wohnzimmern gemütlich machen.

Wenn sie dort dann vor dem Fernseher sitzen, sind es die »Tagesthemen« der ARD, die ihnen den Angriffskrieg in medialer Form bis ans Sofa bringen. In dem dreiminütigen Beitrag »Bombenalarm als Theaterabend« wird am Abend nach der Veranstaltung dementsprechend die Frage gestellt: »Wird so der Alltag in der Ukraine wirklich erfahrbar?« Wer behauptet, dass es keine dummen Fragen gebe, wird hiermit Lügen gestraft. Keineswegs dumm wäre es dagegen, zu fragen, wie man ernsthaft auf die Idee kommen kann, dass durch die Hingabe an den Affekt in einer Theateraufführung ein besseres Verständnis für die Situation in der Ukraine geschaffen werden könne. Das wirkt in etwa so, als würde man jemandem raten, zum besseren Verständnis der Paläontologie Spielbergs »Jurassic Park« auf einer Großleinwand zu sehen.

Letztlich ist die Aufführung nichts als ein Gruselabend mit Happy End. Danach wird beim »gemeinsamen Frühstück im Morgengrauen«, das der Ankündigungstext verspricht, mit Kaffee, Croissant und einem Lächeln auf dem Gesicht – so ist es im Beitrag zu sehen – der nächste Tag begonnen. Eine deutsche Besucherin berichtet dem Kamerateam der ARD, sie habe sich vorher schon mit den Ukrainern verbunden gefühlt, spüre jetzt aber »mehr, was sie vielleicht fühlen«. Das sei ihr vor dem Theaterstück noch nicht ­gelungen. Anscheinend begreifen die Theatergäste nicht, dass ihre bloß gefühlte Verbundenheit den unter Beschuss stehenden Zivilisten überhaupt nichts nützt. Die »Bomb Shelter Night« hilft einzig und allein dem eigenen Gewissen, das nicht erträgt, dass anderswo Leid und Zerstörung herrschen, während hier ein Besuch im Theater ohne Schwierigkeiten möglich ist.

Wenn man die Sorte Umschlag sucht, bei dem die bedrohliche Bunkernacht nahtlos ins gemütliche Frühstück übergeht, dann ­findet man ihn in dieser und fast jeder anderen Sendung der »Tagesthemen« dort, wo vom Krieg innerhalb weniger Sekunden zum Sport übergeleitet wird. Was man im Theater wie auf dem Sofa lernt, ist, die Verrücktheit einer Welt zu akzeptieren, in der ein Hockeyspiel sich gleichzeitig mit einem Massaker ereignen kann. Hier springt der Widerspruch regelrecht ins Auge, trotzdem macht man weiter wie zuvor; die Bunkergäste ebenso wie die »Tagesthemen« und ihr zugerichtetes Publikum. Letzteres kann nach dem doch etwas bedrückenden Beitrag dennoch gutgelaunt zu Bett gehen: Denn »das Jahr ist ja noch keinen Monat alt«, weiß Sportmoderatorin Okka Gundel, »und schwupp ist Deutschland schon Weltmeister«.