Großbritannien will Streiks per ­Gesetz erschweren

Fight for your right to strike

In Großbritannien streiken Lehrer, Rettungssanitäterinnen und Bahnangestellte, bislang ohne Aussicht auf Lohnerhöhungen. Die konservative Regierung will indes das Streikrecht im öffentlichen Dienst beschneiden.

Der Unmut wächst. Mehr als eine halbe Million Beschäftigte des öffentlichen Diensts haben am Aktionstag der britischen Gewerkschaften in den großen englischen und walisischen Städten teilgenommen. 100 000 Lehrer:innen stellten das Gros der Demonstrierenden, Beschäftigte von Bus und Bahnen, Ministerien, Bibliotheken und Universitäten schlossen sich an. Bereits seit Wochen wird der öffentliche Dienst bestreikt, in der britischen Öffentlichkeit ist von einem »Winter des Unmuts« die Rede (Jungle World 1/2023) Damit wird auf den winter of discontent 1978/1979 angespielt, einer Zeit mit Streiks in nahezu allen Branchen des Vereinigten Königreichs. In der Tat haben die jetzigen Ausstände ein Maß erreicht, das an diese Zeit erinnert. Unter dem Motto »Protect the right to strike« demonstrierten die Lehrkräfte am 1. Februar für eine über der Inflationsrate liegende Anhebung ihrer Löhne und gegen ein von der konservativen Regierung geplantes Gesetz.

Das »Minimum Services Bill« soll das Streikrecht beschränken, um eine Grundversorgung öffentlicher Dienstleistungen zu gewährleisten. Der Gesetzentwurf sollte ursprünglich die Transportbranche, also vor allem streikende Eisenbahner, betreffen. Die hatten Anfang Februar weite teile des Schienenverkehrs vor allem in Schottland zum Erliegen gebracht. Wirtschaftsminister Grant Shapps hat den Entwurf nun auch auf andere Branchen ausgeweitet, die in den vergangenen Monaten am meisten bestreikt wurden: Gesundheit, Bildung, Feuerwehr und Rettung, Grenzschutz, Atomenergie. Das Gesetz würde die Geschäftsleitung bestreikter Betriebe ermächtigen, Beschäftigte während eines Streiks zur Arbeit zu verpflichten. Wer sich dem Zwang entzöge, wäre mit Entlassung bedroht. Eine den Ausstand organisierende Gewerkschaft müsste Schadensersatz leisten, wenn sie keinen Minimalbetrieb gewährleiste.

Gewerkschaftsvertreter betonten, die Streiks im für die Grundversorgung kritischen Bereich der Kliniken und Rettungsdienste würden immer schon Notfallpläne berücksichtigen. Keine Dialyse oder Chemotherapie falle aus, die Intensivstationen blieben besetzt. Paul Nowak, der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands Trades Union Congress (TUC), nannte den Ende Januar vom britischen Unterhaus angenommenen Entwurf einen »Angriff auf das Streikrecht«; das Vorhaben sei »undemokratisch, nicht durchführbar und mit ziemlicher Sicherheit illegal«. Das Gesetz verstoße gegen grundlegende Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen. In einer Mitteilung des TUC heißt es: »Anstatt auf die Sorgen der arbeitenden Bevölkerung zu hören und faire Vereinbarungen auszuhandeln, hat Premierminister Rishi Sunak beschlossen, das Streikrecht zu untergraben. Da die Krise in Form der explodierenden Lebenshaltungskosten weiterhin Arbeitnehmer überall trifft, müssen wir in der Lage sein, zusammenzustehen und zu streiken, wenn es nötig ist.« Sunak wiederum bezeichnet die Gewerkschafter:innen als »eigennützige Radikale«.

Die Streikwelle der vergangenen Monate geht zurück auf die enorm hohe Inflationsrate; um mehr als zehn Prozent sind die Verbraucherpreise im Dezember im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Bei der Debatte über Inflation, Streiks und Minimalversorgung steht der staatliche Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) im Mittelpunkt. Die Gewerkschaft British Medical Association (BMA) gibt an, dass medizinische Beschäftigte mit afrikanischem, karibischen oder asiatischen Migrationshintergrund unverhältnismäßig stark vom Mangel an persönlicher Schutzausrüstung im NHS und hohen Sterblichkeitsraten durch Covid-19 betroffen seien. Ein Sanitäter sagte dem Guardian, dass auf Notrufe oft nicht rechtzeitig reagiert werden könne, weil Personal fehle. Den streikenden Klinikbeschäftigten wiederum wird in der Öffentlichkeit auch vorgeworfen, ihr Arbeitskampf habe Tote zur Folge. »Es sterben keine Menschen, weil die Pflegekräfte streiken. Die Pflegekräfte streiken, weil Menschen sterben. So schlimm steht es um den Gesundheitsdienst«, antwortete Pat Cullen, Generalsekretärin des Royal College of Nursing (RCN), Englands größter Gewerkschaft für Pflegeberufe.

Am Montag und Dienstag streikten auch Pfleger:innen des staatlichen Gesundheitsdiensts National Health Service, zum ersten Mal in dessen Geschichte legten sie gleichzeitig mit dem Rettungsdienst die Arbeit nieder. Cullen sagte dem Guardian, nachdem die Unterstaatssekretärin im Gesundheitsministerium, Maria Caulfield, darauf bestanden hatte, dass es in diesem Jahr keine erneute Überprüfung der NHS-Gehälter geben werde: »Wir befinden uns heute in einer Situation, in der die Regierung beschlossen hat, die Krankenpflegerinnen und -pfleger in England zu bestrafen, anstatt sich an einen Tisch zu setzen und mit mir über die Bezahlung zu sprechen.«

Streikendem Lehrpersonal bot die Tory-Regierung eine Anhebung der Gehälter um fünf Prozent an. Es bräuchte das Doppelte zum Ausgleich der Inflation, lautete die Antwort der Lehrergewerkschaft. Sunak will von dem geplanten Anti-Streik-Gesetz nicht lassen und verweigert den geforderten Inflationsausgleich. Sein Argument: Das sei unerschwinglich und würde die Inflation weiter anheizen. Die Kritiker der Regierung halten dagegen: Die eigentlichen Inflationstreiber seien der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die seither gestiegenen Energiekosten. Auch die durch den EU-Austritt erhöhten Importkosten seien dem Krankenhauspersonal nicht anzulasten. Dem Guardian zufolge will Sunaks Regierung den Konflikt aussitzen. Noch würden die um höhere Löhne Kämpfenden viel Sympathie genießen. Es bestehe grundlegende öffentliche Anerkennung dafür, dass Menschen, die wichtige Dienstleistungen erbringen, eine angemessene Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen verdienten. Aber wenn sich die durch Arbeitsniederlegungen verursachten Widrigkeiten häuften, könnte sich die Stimmung drehen und Sunak seine Einschränkung des Streikrechts als Ausweg aus dem Chaos verkaufen.