Die Bundesregierung will die Nutzflächen für Windenergie vergrößern

Generalstabsmäßig Windräder bauen

Mit dem sogenannten Wind-an-Land-Gesetz soll der Ausbau der Windenergie beschleunigt werden. Bislang passiert das viel zu langsam, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen.

Jetzt soll es richtig losgehen mit der Windenergie: Am 1. Februar ist das sogenannte Wind-an-Land-Gesetz in Kraft getreten, das für schnellere Genehmigungsverfahren und mehr Flächen für den Anlagenbau sorgen soll – bis 2032 soll zwei Prozent des Bundesgebiets für Windkraftanlagen genutzt werden. Das Gesetz stellt auch fest, dass erneuerbare Energien im »überragenden öffentlichen Interesse« liegen und der »öffentlichen Sicherheit« dienen. Das soll zügigere Entscheidungen der zuständigen Behörden ermöglichen.

Diesem Ziel dient auch eine ganze Reihe weiterer Neuerungen, zum Beispiel bei Abständen zur Flugnavigation, im Baurecht und beim Artenschutz, wozu das Bundesnaturschutzgesetz novelliert wurde: Auch auf Landschaftsschutzflächen dürfen nunmehr Windräder errichtet werden. Eine zusätzliche Beschleunigungsmaßnahme, welche die Bundesregierung beschlossen hat, muss noch durch den Bundestag: Sie folgt einer EU-Notfallverordnung, die es ermöglicht, sogenannte Go-to-Areas für Windkraftanlagen auszuweisen. Umweltverträglichkeits- und Artenschutzprüfungen sollen für eineinhalb Jahre wegfallen, wenn es eine »strategische Umweltprüfung« – für die es keine strikten Normen gibt – für das Gebiet gibt. Damit können unter anderem Vorgaben zum Vogelschutz außer Kraft gesetzt werden.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verzögert die Abkehr von der Kohle, könnte langfristig aber den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben.

Die Bundesregierung habe einen »Windausbau-Beschleuniger auf den Weg gebracht, wie wir ihn noch nicht hatten«, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). »Damit ­erhöhen wir die Dynamik des Ausbaus der Erneuerbaren Energien nochmal kräftig.« Der Bundesverband Erneuerbare Energien zeigte sich begeistert. »Nach Jahren der politischen Blockade geht es endlich wieder voran bei den Zukunftstechnologien«, kommentierte dessen Präsidentin Simone Peter, die früher Vorsitzende der Grünen war. Umweltverbände sind dagegen ernüchtert. Der Naturschutzbund Nabu beispielsweise fürchtet, dass mit der EU-Notfallverordnung der Artenschutz beim Bau von Windrädern praktisch abgeschafft werde.

Die deutlich stärkere Nutzung der Windkraft spielt eine entscheidende Rolle bei den Planungen für die Wende von fossilen zu erneuerbaren Ener­gien – eines der zentralen Projekte der Bundesregierung, vor allem der Grünen. Ohne die sogenannte Energiewende sind die Klimaziele nicht zu erreichen, die sich die Bundesregierung gesetzt hat. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, bis 2030 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken. Deshalb soll ab 2030 mindestens 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden; 2022 waren es noch unter 50 Prozent. Windkraft soll bis 2030 eine Kapazität von rund 115 Gigawatt zur Verfügung stellen. Zum ­Vergleich: Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums gab es in Deutschland Ende 2022 an Land knapp 29 000 Windkraftanlagen, die insgesamt bis zu 58 Gigawatt leisten können, hinzu kommen Anlagen in der See mit einer Leistung von rund acht Gigawatt.

Bislang verläuft der Bau neuer An­lagen nicht annähernd schnell genug, um die Ziele zu erreichen. Der Bundesverband Windenergie erwartet für 2023 Zubau mit einer Leistung von 2,7 bis 3,2 Gigawatt. Das wäre nicht viel mehr als im Vorjahr. Nach Auswertungen des Beratungsunternehmens Deutsche Windguard sind 2022 an Land 551 neue Windräder mit einer Leistung von 2,4 Gigawatt in Betrieb gegangen. Das Problem liegt nicht in der Bauzeit, sondern in den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Bislang dauern sie im Schnitt fünf bis sieben Jahre – und dann gilt die Genehmigung nur für exakt die Anlage, für die sie beantragt wurde. Ist der Hersteller nicht in der Lage zu liefern, kann der Betreiber nicht einfach zu einem anderen wechseln.

Hinzu kommt, dass der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Abkehr von der Kohle und damit die Energiewende verzögert. Denn um die ausbleibenden Erdgaslieferungen aus Russland auszugleichen und die Energieversorgung zu sichern, werden Kohlekraftwerke nicht wie geplant abgeschaltet, sondern laufen weiter, und bereits abgeschaltete gehen zurück ans Netz. Nach vorläufigen Berechnungen des Think Tanks Agora Energiewende hat die Nutzung von Kohle und auch von Öl als Ersatz für Gas dafür gesorgt, dass der Ausstoß von CO2 mit 761 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr fast auf dem Niveau von 2021 lag und somit etwa fünf Millionen Tonnen über dem selbstgesetzten Ziel. »Die CO2-Emissionen stagnieren auf hohem Niveau, und das trotz eines deutlich niedrigeren Energieverbrauchs von Haushalten und Industrie«, kritisierte Simon Müller, der Deutschland-Direktor bei Agora Energiewende. »Das ist ein Alarmsignal im Hinblick auf die Klimaziele.«

Der Weiterbetrieb von Kraftwerken ist auch Bestandteil der Abmachung zum Vorziehen des Kohleausstiegs im Rheinischen Revier auf das Jahr 2030, den die schwarz-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens, die Bundes­regierung und der Energiekonzern RWE ausgehandelt haben. Ob die Kohle ­unter dem durch einen immensen Polizeieinsatz geräumten Ort Lützerath benötigt wird, um die Energieversorgung zu sichern, ist unter Wissenschaft­ler:in­nen umstritten. RWE, die Landes- und die Bundesregierung rechtfertigen aber mit der Unverzichtbarkeit der Kohle die Räumung.
Kompensiert wird der Ausfall der russischen Lieferungen auch durch umweltschädliches Flüssiggas. Für den Import von liquefied natural gas, kurz LNG, wurden in Deutschland in wenigen Monaten zwei Terminals errichtet, weitere vier sollen bis Ende des Jahres in Betrieb gehen. Umweltschützer:in­nen kritisieren das scharf. Um zu verhindern, dass sich Muscheln oder Pflanzen auf den LNG-Terminals ansiedeln, werden zum Teil Chemikalien ins Meer gekippt. Das Gas wird oft durch Fracking gewonnen, bei dem ebenfalls Chemikalien ins Gestein gespült werden. Außerdem ist die Verflüssigung für den Transport immens energieaufwendig.

Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Krise könnte langfristig die Energiewende aber auch vorantreiben. Denn anders als zuvor wird die Notwendigkeit des zügigen Ausbaus der Windkraft auch von notorischen Kritiker:innen, zum Beispiel in der CSU, zumindest öffentlich nicht mehr in Frage gestellt. Die Bundesregierung hat mit dem neuen Gesetz mehr Möglichkeiten, die Länder unter Druck zu setzen – denn in denen müssen die Ziele erreicht werden. In den nördlichen und östlichen Bundesländern wie Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ist die Nutzung der Windenergie deutlich weiter fortgeschritten als im Süden, vor allem in Bayern. Niedersachsen hatte 2022 an Land mehr als fünf Mal so viele Windkraftanlagen gebaut wie Bayern.

Dort verhindert die sogenannte 10H-Regel den Ausbau beziehungsweise schränkt die nutzbaren Flächen ein: Windräder müssen einen Abstand zu Wohnhäusern von mindestens dem Zehnfachen ihrer Höhe haben. Im ­gerade in Kraft getretenen Wind-an-Land-Gesetz werden die Länder verpflichtet, die Größe der für Windkraftanlagen nutzbaren Fläche sukzessive auf zwei Prozent ihrer Fläche zu erhöhen, zurzeit sind es im Bundesdurchschnitt 0,8 Prozent. Erfolgt das nicht, werden die landesspezifischen Abstandsregeln unwirksam. Bis 2027 muss das Zwischenziel von 1,7 Prozent ausgewiesener Fläche erreicht sein. Der Deutschen Umwelthilfe geht das zu langsam. Sie fordert, dass die Länder bereits 2025 die entsprechenden Flächen ausweisen.

Bis 2030 müssten an Land »im Schnitt vier bis fünf Windräder jeden Tag« gebaut werden, um die Klima­ziele zu erreichen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der Zeitung Bild am Sonntag. Die Bundesregierung werde das »generalstabsmäßig« angehen. »Jeden Monat wird es dann ein Gespräch mit den Ländern geben, wie weit sie damit vorangekommen sind«, kündigte er an. »Was nicht pünktlich geschafft wird, muss aufgeholt werden.«

Allerdings baut die öffentliche Hand die Windkraftanlagen in der Regel nicht selbst. Sollten sich die In­vestitionsbedingungen verschlechtern, etwa weil die Materialkosten steigen, die Vergütungen für den eingespeisten Strom aber nicht, werden die Ausbauziele wohl kaum erreicht werden.