Donald Trump verliert an Popularität, könnte aber den Machtkampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur gewinnen

Der wütende Verlierer

Die Popularität Donald Trumps sinkt auch unter Rechten. Dennoch hat er keine schlechten Chancen, Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden.

Donald Trump gibt sich redlich Mühe, an alte Zeiten anzuknüpfen. Er sei »wütender und engagierter als je zuvor«, sagte er zum republikanischen Wahlkampfauftakt Ende Januar. Doch der gewohnte frenetische Jubel wollte bei den Auftritten in New Hampshire und South Carolina nicht recht aufkommen.

Die Ankündigung Trumps, sich für die Wahlen 2024 erneut um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zu bewerben, kam für niemanden unerwartet. Überraschend war vielmehr, dass bereits bei der Verkündung der Kandidatur im November, der die konservative Prominenz fast geschlossen fernblieb, statt Bierzeltatmosphäre gähnende Langeweile herrschte. Während der ehemalige Präsident seine Rede lustlos vom Teleprompter ablas, hatte das Personal alle Hände voll damit zu tun, die enttäuschten Gäste davon abzuhalten, vorzeitig den Saal zu verlassen.

Besser ist es seither nicht geworden. Im Dezember wurde bekannt, dass, wenige Tage nachdem Rapper Kanye West (alias Ye) auf Twitter den Juden den Krieg erklärt hatte, Trump sich mit ihm und dem Holocaust-Leugner Nick Fuentes zu einem Strategiegespräch getroffen hatte (Jungle World 49/2022). Eine mit großem Tamtam beworbene Reihe von NFTs, kleine Dateneinheiten mit Trump als Superhelden, floppte grandios, und auf den Wahlkampfkundgebungen versammelt sich meist nur noch ein trauriges Häuflein aus Bürgerkriegspropheten und Qanon-Verschwörungstheoretikern. In den Umfragen liegt der von der republikanischen Basis einst kultisch Verehrte inzwischen deutlich hinter seinem wichtigsten parteiinternen Konkurrenten, Floridas Gouverneur Ron DeSantis. Viele politische Beobachter halten es daher jetzt schon für ausgemacht, dass Trumps politische Karriere vorüber ist: Noch einmal, geht ein Aufatmen durch die bürgerlichen Medien, werden die Republikaner nicht den gleichen Fehler machen.

Wenn sich die Kommentatoren da mal nicht irren. Zwar ist Trump tatsächlich politisch angeschlagen. Dass er seine Kandidatur zu einem so inopportun frühen Zeitpunkt, unmittelbar nach den für die Republikaner überaus enttäuschend verlaufenen Zwischenwahlen, verkünden musste, hatte handfeste Gründe. Trump hoffte, so die zahlreichen gegen ihn geführten Ermittlungen und Verfahren – wegen versuchter Wahlfälschung in Georgia, wegen Wirtschaftskriminalität in New York City, wegen Diebstahls von Regierungsakten und, last but not least, wegen des gewaltsamen Umsturzversuchs am 6. Januar 2021, dem Tag des Sturms aufs Kapitol – hintertreiben zu können: Dann, so das Kalkül, werde es schon niemand wagen, einen offiziellen Präsidentschaftskandidaten anzuklagen.

Das aber ist fraglich, so scheint eine Anklageerhebung in Georgia wegen illegaler Wahlbeeinflussung nach Aussage der zuständigen Staatsanwältin Fani Willis unmittelbar bevorzustehen. Zudem unterliegt Trump als Kandidat den Gesetzen zur Wahlkampffinanzierung, kann also die weiterhin zahlreich fließenden Spenden seiner Anhänger nicht mehr nach Belieben verwenden. Das scheint ihn – anders ist der NFT-Flop kaum zu erklären – finanziell in die Bredouille zu bringen.

Ob derlei wirklich seinem Ansehen beim Fußvolk schadet, ist jedoch zweifelhaft. Dass der Mann ein Gauner ist, hatte man schließlich immer schon gewusst; kommt jetzt noch ein versuchter Putsch dazu, spricht das in den Augen der Basis eher für als gegen ihn. Aber auf ihm lastet nun das Stigma des Losers. Unter der Ägide Trumps hagelte es nach dem Überraschungserfolg von 2016 eine Wahlpleite nach der anderen. 2020 hatten viele seiner Anhänger insgeheim mit der Niederlage gerechnet (und darum die Mär vom Wahlbetrug von langer Hand vorbereitet). Vor den jüngsten midterm elections aber wähnte man sich schon als triumphaler Sieger, und dementsprechend groß war die Ernüchterung.

Gerade in den am heißesten umkämpften Bundesstaaten waren, auf Trumps Geheiß, die fanatischsten Kandidaten nominiert worden. Nach deren kläglichem Scheitern begann so mancher, sich zu fragen, ob die Aufstellung von Schreihälsen, die konsequent Wechselwähler verprellen, wirklich die klügste Strategie darstellt – eine Sorge, die nicht mehr bloß Trumps handverlesenen Kandidaten gilt, sondern nun auch dem Anführer selbst. Zumal mit Ron DeSantis eine Alternative bereitsteht, die beweist, dass man, wenn man es nur richtig anpackt, mit ultrakonservativen Kampagnen sehr wohl Wahlen gewinnen kann. Einer Umfrage der Monmouth University zufolge würden sich 53 Prozent der republikanischen Wähler für DeSantis und nur 40 Prozent für Trump entscheiden, wenn nur die beiden bei den primaries anträten.

Nur sollte man sich nicht täuschen. Trump mag als wenig aussichtsreicher Kandidat erscheinen, aber das ist quasi sein Normalzustand. Niemand ist schließlich so oft, und so vorschnell, politisch totgesagt worden wie er. Das weiß das republikanische Establishment am allerbesten. Dieses hofft man zwar inständig, es werde ihm irgendwer, und sei es Gevatter Tod, den Pro­blemfall vom Hals schaffen, aber selbst den ersten Schritt zu machen, traut sich keiner. Lieber schickt man sich schon einmal prophylaktisch ins Unvermeidliche. Zwei der letzten verbliebenen Vertreter der bei New York Times und CNN so beliebten Gattung »moderate Konservative«, New Hampshires Gouverneur Chris Sununu und Marylands ehemaliger Gouverneur Larry Hogan, versicherten erst kürzlich wieder in Interviews, sie hätten zwar so ihre Vorbehalte, würden aber selbstverständlich lieber Trump im Weißen Haus sehen als einen Vertreter der Demokraten. Über Trumps Staatsstreichgebaren rümpft man pikiert die Nase, aber verglichen mit einer möglichen Ausweitung der staatlichen Krankenversicherung stellt es auch für vermeintlich gemäßigte Republikaner das kleinere Übel dar.

Was die Basis umtreibt – das wissen die Republikaner –, ist nicht ein Einwand in der Sache. Man will weiterhin das volle »Make America Great Again«-Programm, nur halt mit frischem, unverbrauchtem Gesicht. Und unter dieser Voraussetzung erscheint eine treue Anhängerschaft von 30 Prozent zwar weniger imposant, aber sie könnte genügen. Bei den primaries, den parteiinternen Vorwahlen, erhält der stimmenstärkste Kandidat in fast allen Bundesstaaten alle Delegiertenstimmen, was Trump gegen ein zersplittertes Feld zum Sieg verhelfen könnte. Sollten sich die Stimmen auf DeSantis vereinigen – dessen Basis noch nicht gefestigt ist –, könnte Trump immer noch damit drohen, dessen Präsidentschaftswahlkampf zu sabotieren. Würde er auch nur einen kleinen Teil seiner Fangemeinde, für die es keinen Trump statt Trump geben darf, dazu ermutigen, bei der Wahl im November 2024 zu Hause zu bleiben – oder gar selbst, womit er hin und wieder kokettiert, als Unabhängiger antreten –, wäre der republikanische Kandidat wohl geliefert.

Bislang belässt es DeSantis darum bei der Andeutung, der bessere Herausforderer zu sein, ohne aber offiziell seine Kandidatur anzukündigen. Gut möglich, dass der 44 jährige am Ende entscheidet, lieber die Wahl 2028 abzuwarten, als im Showdown mit Trump politischen Schiffbruch zu riskieren. Verlassen aber kann dieser sich auf sein destruktives Potential auch nicht allzu sehr. Die Folge ist ein merkwürdiges politisches Schattenboxen. DeSantis hat seine Regierungsarbeit in Florida ganz auf rituellen Kulturkampf abgestellt: Schulen und Universitäten werden mit großem Getöse von unliebsamen Inhalten gesäubert, LGBTQ-Schülerinnen und -Schüler werden drangsaliert und Flüchtlinge können einem am Freitag voriger Woche im Parlament des Bundesstaats verabschiedeten Gesetz zufolge in andere Bundesstaaten – vorzugsweise demokratisch regierte – deportiert werden; ein Verfahren, das DeSantis bereits praktiziert hat.

Ohne seinen früheren Machtapparat bleibt Trump, um die eigene Erbarmungslosigkeit ähnlich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen, nur die rhetorische Überbietung. Wo DeSantis vorgeblich aus »Sorge um die Kinder« gegen Transgenderrechte ins Felde zieht, verspricht Trump, er werde mit weit über die Maßnahmen in Florida hinausgehenden Gesetzen »diesen Wahnsinn beenden«.
Was allerdings die Covid-19-Pandemie betrifft, steckt Trump in einem Dilemma: Einerseits möchte er sich die schnelle Impfstoffentwicklung als persönlichen Erfolg ans Revers heften, andererseits muss er Rücksicht auf die Coronaleugner der republikanischen Basis nehmen. Das nutzt DeSantis genüsslich aus, indem er sich als der konsequentere Impfskeptiker präsentiert. Auch die Treffer unter der Gürtellinie wollen Trump nicht mehr recht gelingen. Der Spitzname, den Trump in alter Gewohnheit für seinen Widersacher zu etablieren versucht – »DeSanctimonious«, zu Deutsch in etwa »DeScheinheilig« – wirkt merkwürdig gekünstelt, bar jener pubertären Rücksichtslosigkeit, für die der Erfinder von »Crooked Hillary« so gerühmt wurde.

In seiner Not griff Trump nun zu extremen Maßnahmen: Alte Fotos von DeSantis sollen belegen, dass dieser Minderjährigen sexuelle Avancen gemacht habe. Derartige Denunziationen genießen unter Konservativen derzeit große Beliebtheit – freilich nur, wie DeSantis anzumahnen wusste, wenn es gegen Linke und Liberale geht, niemals aber, wenn es Republikaner trifft. Ob Trumps Manöver den erhofften Erfolg zeitigen oder als Verstoß gegen die Ganovenehre auf den Urheber zurückfallen wird, bleibt abzuwarten. Doch wer auch immer am Ende die Oberhand behalten wird, eines steht fest: Es wird ein Sieg der Verrohung sein.