Über »Ich habe Wut und Hass besiegt« von Rachel Hanan

Nie mehr wehrlos

Platte Buch Von

»Man kann nicht ein ganzes Leben darüber schweigen, nicht über Auschwitz«, schreibt die 93jährige Rachel Hanan in ihrer gerade erschienenen Autobiographie »Ich habe Wut und Hass besiegt«. Elie Wiesel hat betont, dass Auschwitz alle Denksy­steme negiere. Und auch Rachel Hanan findet keine »letzten Antworten auf die Fragen nach dem Warum«. In ihrem Buch finden sich Bezüge zu Texten von Autoren wie Claude Lanzmann oder Viktor Frankl. In den 33 Kapiteln geht es um das Aufwachsen in dem heutzutage zu Rumänien gehörenden Dorf Unterwischau. Hanan erzählt vom unbeschwerten Aufwachsen in der Geborgenheit der jüdischen Gemeinde, die jedoch durch den Terror der ­Nazis und der Pfeilkreuzler zerstört wird. Sie war 15, als sie mit ihrer ­Familie nach Auschwitz deportiert wurde. Während die meisten ihrer Verwandten ermordet wurden, überlebten sie und ihre Schwestern ­Esther und Sarah.

Die zweite Hälfte des Buchs ist dem Leben nach der Befreiung und ihrer Auswanderung nach Israel gewidmet. 1948 wurde Hanan militärisch ausgebildet und erlebte auf der Seite Israels den ­Unabhängigkeitskrieg mit. Sie habe nie wieder wehrlos sein wollen, schreibt sie. Später war sie als Sozialarbeiterin tätig, heiratete und bekam zwei Söhne.

Eindrücklich schildert sie, wie »Auschwitz ein ewiger Phantomschmerz« bleibt, und erzählt von ihren Alpträumen, von denen sie immer wieder heimgesucht wird. In den Träumen sind Vergangenheit und Gegenwart eins geworden. Da ist der Traum, in dem Yassir Arafat die Deportationszüge anhält und alle Israelis erschießen lässt. Oder der, in dem ­Josef Mengele ihre Kinder raubt und hinter einem Berg verschwindet. Hanan berichtet von der Retraumatisierung, als Haifa 2006 von der ­Hizbollah bombardiert wird. Trotzdem ist Rachel Hanan heute eine glückliche Frau. Ihre Botschaft lautet: »Das Böse setzt sich immer dann durch, wenn die Guten schweigen.«

Rachel Hanan: Ich habe Wut und Hass besiegt. Was mich Auschwitz über den Wert der Liebe gelehrt hat. Heyne, München 2023, 288 Seiten, 20 Euro