Berlins Regierende Bürger­meisterin strebt eine Koalition mit der CDU an

Überraschung im Roten Rathaus

Eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition in Berlin wird es wohl nicht geben. Die SPD will stattdessen künftig mit der CDU regieren, bei der sie mehr inhaltliche Übereinstimmungen sieht.

Damit hatten nur wenige gerechnet: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will die derzeitige Regierungskoalition mit Grünen und Linkspartei beenden und stattdessen eine Koalition mit der CDU anstreben. Bei der Wiederholung der Wahl zum Berliner Landesparlament, dem Abgeordnetenhaus, vom 12. Februar hatte die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner 28,2 Prozent der Stimmen erhalten und die Wahl klar gewonnen.

SPD und Grüne hatten jeweils 18,4 Prozent erreicht. Die SPD, die bei der Parlamentswahl 2021 noch knapp drei Prozentpunkte vor den Grünen lag, hatte nach der letzten Nachauszählung nur noch einen Vorsprung von 53 Stimmen. Die Linkspartei lag mit 12,2 Prozent knapp zwei Prozentpunkte unter ihrem Ergebnis von 2021. Das wurde intern angesichts der Lage der Partei erst einmal mit großer Erleichterung aufgenommen.

Damit waren drei Koalitionen möglich: Die CDU käme zusammen mit der SPD oder mit den Grünen auf eine Mehrheit, aber auch die bisherige rot-grün-rote Koalition könnte weiterregieren. Auch wenn diese von Anfang an von enormen inneren Konflikten gekennzeichnet war, waren doch die meisten Beobachter:innen davon ausgegangen, dass die drei Parteien sie fortführen würden. Auch die Ergebnisse erster Sondierungsgespräche deuteten in diese Richtung. So gingen die Verhand­lungsführer:innen der drei Parteien noch am 27. Februar mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, im Umgang mit dem Ergebnis des umstrittenen und insbesondere von Giffey abgelehnten Volksentscheids »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« sei ein »gangbarer Weg« gefunden worden – auch wenn keine Details öffentlich wurden.

Ein internes Sondierungspapier der SPD lehnte die Fortsetzung der Koaliti­on indes ab. Das Papier, das die Berliner Zeitung im Wortlaut Anfang März veröffentlichte, stammt von den Verhand­ler:innen der SPD, die mit der Linkspartei und den Grünen Sondierungsgespräche geführt haben. Sie raten den Parteigremien deutlich zum Wechsel zur CDU. Im Papier heißt es, dass »Rot-grün-rot in Berlin derzeit kein gemeinsames dauerhaftes und belastbares Projekt darstellt, das mit hinreichender Sicherheit bis 2026 trägt«. Insbesondere hätten die Grünen »erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen«. Giffey selbst erklärte ihre Entscheidung dem Tagesspiegel damit, dass die Gemeinsamkeiten mit der CDU größer seien und die Entscheidung von der Frage bestimmt sei, in welcher Koalition sie »so viel wie möglich SPD« bekommen würden.

Die Grünen und die Linkspartei zeigten sich empört. Die grüne Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Silke Gebel, sagte der Taz, dass die SPD »sehr viel Vertrauen verspielt« habe. Renate Künast, Bundestagsabgeordnete der Grünen, bezeichnete das SPD-Papier gar als »ein Papier der Niedertracht«. Dass die SPD ihren bisherigen Partnern eine Mitverantwortung für das Ende der rot-grün-roten Koalition gegeben habe, wies die Landesvorsitzende der Linkspartei Katina Schubert als »Denunziationen« zurück. Die Vorwürfe Giffeys seien »erstunken und erlogen«. Die Äußerungen hätten dauerhafte Schäden verursacht.

Die Jugendorganisation der Berliner SPD hat vor Parteiaustritten gewarnt, sollte es zum Bündnis zwischen SPD und CDU kommen.

Inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen Giffey und der CDU gibt es in der Tat. In der Wohnungspolitik sind beide klare Gegner des erfolgreichen Volksentscheids zur Enteignung großer Immobiliengesellschaften. Stattdessen soll deutlich mehr neu gebaut werden – auch in den Randlagen des Tempelhofer Feldes, dessen Bebauung 2014 mit einem erfolgreichen Volksentscheid eigentlich ausgeschlossen worden war.

Beide Parteien hätten hier ähnliche Positionen, hieß es. »Worauf es jetzt ankommt, ist, einen Prozess zu starten, wie die Randbebauung am Tempelhofer Feld aussehen kann«, sagte der CDU-Landesvorsitzende Wegner. »Bevor wir in die Umsetzung gehen, möchte ich, dass wir eine Befragung der Berlinerinnen und Berliner starten.« Bei einem neuerlichen Volksentscheid zur Zukunft des Tempelhofer Feldes sieht Wegner gute Chancen für eine Mehrheit der Randbebauung. Wie Giffey will auch die CDU die innerstädtische Autobahn A 100 weiterbauen und die Befugnisse der Polizei ausdehnen.

Der Berliner Verband der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, hat indes vor Parteiaustritten gewarnt, sollte es zum Bündnis zwischen SPD und CDU kommen. Der Landesvorsitzende der Jusos, Peter Maaß, sagte der Berliner Zeitung, seine Organisation fürchte, dass in diesem Fall »die SPD Berlin auseinanderfliegt«. Trotzdem dürfte die anstehende Mitgliederbefragung bei der SPD, die letztlich über die Annahme eines Koalitionsvertrags entscheidet, Giffeys Empfehlung folgen. Denn die SPD-Ba­sis gilt in Berlin als weniger linksgerichtet als die Funktionärsebene. Der Vorstand von Giffeys eigenem Kreisverband in Neukölln hat sich für den Antrag der Jusos gegen die Koalition mit der CDU ausgesprochen, dem folgte auch der Kreisvorstand des SPD-Verbandes Steg­litz-Zehlendorf.

Sollte Giffey sich durchsetzen, wäre das Modell einer Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei nicht nur in Berlin erledigt. Während die Grünen ihre Machtambitionen für die kommende Legislaturperiode aufheben müssten, bedeutet die Entscheidung der Landesspitze der SPD für eine Koalition mit der CDU einen schweren Schlag für die Linkspartei. Das strategische Ziel, in einer rot-grün-roten Koalition eines Tages Teil der Bundesregierung zu werden, hat nach dem Scheitern der Berliner Koalition keine Perspektive mehr.