09.03.2023
Der Vogelgrippeerreger breitet sich immer weiter aus

Virus im Hühnerstall

Auch in Deutschland grassiert eine gefährliche Variante des Vogelgrippevirus. Betroffen sind weltweit Wildtiere und Geflügel in Masthaltung, doch erkranken auch Säugetiere. Umweltschützer warnen, dass Massentierhaltung die Entstehung gefährlicher Viren begünstige.

Seit Monaten werden die Fälle auch in Deutschland zahlreicher. Eine hochpathogene Variante des sogenannten Vogelgrippevirus breitet sich weltweit aus. Der Influenzaviren-Subtypus H5N1 findet sich in Afrika, Amerika, Asien und Europa.

In Deutschland grassiert das Virus unter Wildvögeln verstärkt seit drei Jahren, doch wurde es in den vergangenen Monaten immer häufiger festgestellt. In den ersten fünf Wochen dieses Jahres wurden in der Bundesrepublik 19 Ausbrüche gemeldet – in Tierparks, im Vogelschutzzentrum in Mössingen, im Winterquartier der Alsterschwäne in Hamburg sowie in der Geflügelhaltung, darunter Putenmastbetriebe in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern und ein bayerischer Mastentenbetrieb mit 70 000 Tieren.

Auch Geflügelbetriebe in Polen, Frankreich und Tschechien meldeten Krankheitsausbrüche. Außerdem wurden allein im Januar an mehr als hundert Stellen in Deutschland infizierte kranke oder an der Krankheit verendete Wildtiere gefunden, vor allem Gänse und Schwäne.

Der Subtypus H5N1 kann die Grenze zwischen Spezies und sogar Tierklassen überwinden, infiziert also nicht nur Geflügel. Alarmierend sind die Berich­te über befallene Säugetiere. Zwar ist die Ansteckungsgefahr für Menschen bisher nicht sehr hoch, doch kann das Virus schwere Erkrankungen mit einer Sterblichkeit verursachen, die um ein Vielfaches über jener des Coronavirus liegt.

Besonders pathogene Erregerstämme

Bei den sogenannten aviären Influenzaviren handelt es sich um eine Gruppe von Grippeviren, die an Vögel angepasst sind und diese als Wirte bevorzugen. Es gibt unterschiedliche Stämme. Manche sind vergleichsweise harmlos, hingegen lösen Viren der Subtypen H5 und H7 die sogenannte Geflügelpest aus, andere besonders pathogene Erregerstämme können auch für Menschen tödlich sein.

Vieles spricht dafür, dass solche gefährlichen Virusmutationen in der Massentierhaltung entstehen. Während Wildvögel, insbesondere Enten und Gänse, immer schon ein natürliches Reservoir für niedrigpathogene Varianten darstellten, entstünden die hochpathogenen Varianten offenbar nur bei Geflügel, erklärt die Biologin Elke Reinking, Pressesprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), der Jungle World. Das FLI ist das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.

Der Biologe Martin Rümmler, Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), merkte im Gespräch mit der Jungle World an: »Bei dichter Haltung breitet sich das Virus besser aus als unter natürlichen Bedingungen.« Es gebe zwei Thesen zur Ausbreitung: Einige Wissenschaft­ler:innen verweisen auf Zugvögel, die das Virus verbreiten, andere hingegen auf die Massentierhaltung. Während sich das Virus in Wildtierpopulationen schnell erschöpfe, biete die Haltung von Geflügel in engen Ställen eine ideale Brutstätte. Die These sei schlüssig, »aber wir kennen die Mechanismen nicht«, sagt Rümmler. Allerdings haben seiner Ansicht nach beide Erklärungen ihre Berechtigung und schließen einander auch nicht aus.

Die Tierrechtlerin Friederike Schmitz betont in ihrem Buch »Anders satt«, in dem sie für den Ausstieg aus der Massentierhaltung plädiert, dass die vielen Vogelgrippeausbrüche und immer neuen Virusstämme der vergangenen Jahre ein Resultat der Geflügelindus­trie seien, die immer weiter wachse. Aufgrund der Art und Weise, wie die Tiere gehalten werden, seien diese ohnehin geschwächt, daher könnten sich Viren schnell ausbreiten und mutieren.

In Peru wurden über 700 tote Seelöwen mit einer H5N1-Infektion gefunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Tiere untereinander angesteckt haben.

Obendrein könnten verschiedene Viren, die gleichzeitig eine Zelle befallen haben, untereinander Teile ihrer Gensequenzen austauschen. Schmitz verweist auf die sogenannte Schweinegrippe von 2009, die eigentlich Schweine-Vogel-Menschen-Grippe heißen müsste, weil der Subtypus des Virus H1N1 Sequenzen von Vogel-, Schweine- und menschlichen Grippeviren enthält. Allein im ersten Jahr ihrer Ausbreitung habe diese Grippe Schätzungen zufolge weltweit zwischen 151 000 und 575 000 Menschen getötet.

Neue und gefährliche Varianten von schon lange bekannten H5- oder H7-Viren könnten in Geflügelbeständen entstehen, sich auf Wildtiere übertragen und von diesen weiterverbreitet werden, warnt auch die FLI-Sprecherin Reinking. Die Ausbreitung durch Zugvögel sei detailliert untersucht und beschrieben worden. Insgesamt schätzt das FLI das Risiko einer Geflügelpest durch H5N1 sowohl für Wildvögel als auch Käfigvögel und Geflügel derzeit als hoch ein.

Für Wildtiere, von denen viele Arten aus anderen Gründen existentiell gefährdet sind, ist die Lage besonders bedrohlich. Der Nabu-Experte Martin Rümmler verweist auf Brandseeschwalbe und Basstölpel, Letztere eine in Deutschland vom Aussterben bedrohte extrem seltene Art, deren einzige hiesige Brutkolonie auf Helgoland durch die Ausbreitung des Virus stark dezimiert wurde. Diese schreite derzeit ungewöhnlich schnell voran.

Neue Dimension der Bedrohung

Ungewöhnlich sei auch, dass die Vogelgrippe sich im Sommer weiter ausgebreitet hatte, nicht bloß im Winter. Inzwischen sei das Virus in mehr als 70 Wildvogelarten entdeckt, zum Beispiel auch beim Seeadler. Sollte das Virus die Antarktis erreichen, könnte sie dort unter den Pinguinen wüten.

Brisant sind Berichte über infizierte Füchse, Ottern, Bären oder Katzen. Verglichen mit der hohen Belastung von Vögeln sind das immer noch seltene Fälle; die Säugetiere könnten sich beispielsweise angesteckt haben, als sie Kadaver von belasteten Wildvögeln fraßen. Allerdings wurden in Peru über 700 tote Seelöwen mit einer H5N1-Infektion gefunden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Tiere untereinander angesteckt haben.

Besonders alarmiert sind Wissenschaftler:innen über einen Ausbruch in einer spanischen Pelztierfarm mit rund 50 000 Tieren im vergangenen Oktober. In diesem Fall sei das Virus »möglicherweise von Nerz zu Nerz« weitergegeben worden, sagt die Pressesprecherin des FLI. Die Ansteckung könnte aber auch durch infizierte Wildvögel ausgelöst worden sein oder durch belastetes Geflügelfleisch, das an die Nerze verfüttert wurde.

Hätte sich das Virus so weit verändert, dass sich Säugetiere direkt untereinander anstecken, wäre das eine neue Dimension der Bedrohung, weil es zur Infektion keinen direkten Kontakt mit Vögeln mehr bräuchte. Zugleich rückt die Gefahr näher, dass sich immer mehr Menschen durch Mutationen infizieren.

Reinking erinnert daran, dass die sogenannte Spanische Grippe (H1N1) vermutlich auf ein aviäres Influenzavirus zurückging. Diese raffte zwischen 1918 und 1920 20 bis 50 Millionen Menschen dahin.

Seit 2003 wurden der Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt rund 870 Ansteckungen von Menschen mit der H5N1-Variante aus 21 Ländern gemeldet, von denen etwa 460 Fälle tödlich verlaufen sein sollen. Demnach sterben deutlich mehr als die Hälfte der infizierten Personen. Besonders gefährdet sind bislang Menschen, die direkt mit kranken Tieren in Berührung kommen, etwa auf Geflügelfarmen. Fleisch oder Eier infizierter Tiere sollen ungefährlich sein, wenn sie ordentlich gekocht oder gegart wurden.

»Bei dichter Haltung breitet sich das Virus besser aus als unter natürlichen Bedingungen.« Martin Rümmler, Vogelschutzreferent beim Naturschutzbund Deutschland

Das Robert-Koch-Institut schätzte die Gefahr für Menschen in einer Erklärung Anfang Februar als »sehr gering« ein. »Wir können aber nicht davon ausgehen, dass dies so bleibt«, warnte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf einer Pressekonferenz ebenfalls Anfang Februar.
Das Virus müsse verschiedene Hürden überwinden, um Säugetiere besser infizieren zu können, und dann weitere, um von Tier zu Tier übertragen zu werden, sagt Reinking. Für eine Übertragung auf den Menschen kämen weitere Hürden hinzu. Mit einer Pandemie durch das gegenwärtig zirkulierende H5N1-Virus sei »derzeit nicht zu rechnen«. Dennoch müssten alle Infektionen bei Säugetieren genau untersucht werden, insbesondere Veränderungen des Virus, um die weitere Entwicklung im Auge zu behalten.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte auf seiner Homepage mit, es gebe Überwachungsprogramme für Wildvögel und Hausgeflügel und man beobachte die Entwicklung in Asien sehr genau. Bei Reisen außerhalb der EU solle beachtet werden, dass es »zahlreiche Gefahren« der Ver- und Einschleppung von aviärer Influenza gebe. Reisende dürfen kein Geflügel oder Fleischprodukte aus Drittländern mitbringen, für den Handel gibt es Grenzkontrollen.

Umweltschützern ist das viel zu wenig. Martin Rümmler vom Nabu fordert eine Abkehr von der Massentierhaltung. »Je größer und dichter die Bestände, desto leichter haben es die Viren«, sagt er. Auch der Transport von Fleisch und Tieren über lange Strecken müsse reduziert werden. Impfungen hingegen würden wenig helfen, weil sich geimpfte Tiere infizieren und das Virus auch weitergeben könnten, aber unentdeckt bleiben, weil sie keine Sym­ptome zeigen.

Wichtig sei, die Resilienz von Wildvögeln zu erhöhen. Dazu gehöre, mehr Lebensräume für diese Arten zur Verfügung zu stellen, etwa zum Brüten. Dass Menschen immer mehr Flächen für Siedlungen, Straßen, Rohstoffabbau oder Landwirtschaft in Anspruch nehmen und damit den Platz für Wildtiere einschränken, trägt wesentlich zum Artensterben bei und ist zusammen mit der Massentierhaltung für die Ausbreitung von gefährlichen Viren verantwortlich.