Bewaffnete Aktion in Russland

Nazis gegen Putin

Einige russische Rechtsextreme kämpfen auf Seiten der Ukraine. Denis Kapustin, der kürzlich offenbar einen Angriff auf russisches Territorium anführte, wuchs in Deutschland auf und ist europaweit vernetzt.

Das Bild ging rasch um die Welt: Zwei bewaffnete Männer in auffallend sauberen Uniformen stehen in einem verschneiten Wald. Gepostet hatte es Denis Kapustin – der sich selbst auch Denis Nikitin oder »White Rex« nennt –am 2. März auf seinem Telegram-Kanal. »Ich hätte nicht gedacht, dass die russische Grenze, gerade zu Kriegszeiten, so löchrig ist«, schrieb er dazu.

An dem Tag ist eine unbekannte Anzahl russischer Nazis unter Kapustins Führung aus der Ukraine in die russische Region Brjansk eingedrungen. Das russische Regime behauptete später, sie hätten dort zwei Zivilisten erschossen, Kapustin selbst sprach in der Financial Times nur davon, dass es eine Schießerei gegeben habe. Was sich genau ereignet hat, ist unklar.

Kapustin hatte im August 2022 in der Ukraine das »Russische Freiwilligenkorps« gegründet, in dem sich Russen zusammenschließen sollten, um »gegen das kriminelle Putin-Regime und seine Handlanger« zu kämpfen. Im Kampf gegen Wladimir Putins »Gulag-2.0-System« sei es eben notwendig, dass Russen auf Russen schießen – beziehungsweise auf »Russländer«, wie Kapustin in einem Interview betonte: Er und seine Mitstreiter seien echte Russen, auf der Gegenseite kämpfe lediglich die »politische Nation« Russland, zu der auch Minderheiten wie Tschetschenen und Dagestaner gehörten. Auch das Freiwilligenkorps postete am 2. März ein kurzes Video, das angeblich Kapustin in Russland zeigt. Er wolle den Landsleuten zeigen, dass »freie Russen mit Waffen in der Hand gegen das Regime kämpfen können«, sagt Kapustin in dem Video.

Kapustin ist nicht der einzige russische Nazi, der sich in der Ukraine aufhält. Viele flohen dorthin vor Strafverfolgung, manche kämpften bereits 2014 auf Seiten des Regiments Asow im Donbass.

Neben Kapustin sollen Aleksej Ko­žem­jakin – auch genannt »Kolowrat« (Hakenkreuz) –, der ehemalige Polizist und Nazi Oswald Lemoch sowie der ex­trem rechte Schauspieler und Yogalehrer Kyrill Kanachin beteiligt gewesen sein. Alle sind sie in die Ukraine geflohen – zum Teil offenbar nach Kontakt mit den russischen Strafverfolgungsbehörden oder um ihnen zu entgehen.

Der russische Präsident Wladimir Putin nannte den Vorfall in einer Rede einen »Terrorakt«. Von einer russischen »Provokation«, einer »False-Flag-Aktion« sprach dagegen der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Dass das Freiwilligenkorps als Teil der Internationalen Legion den ukrainischen Streitkräften unterstellt sei, wie Kapustin behauptet, hat die ukrainische Regierung nie bestätigt. Keinen Beleg gibt es für die Behauptung Kapustins, er habe vom Präsidenten der Ukrai­ne die offizielle Erlaubnis, auf ukrainischer Seite zu kämpfen.

Aus Russen bestehender faschistischer Ethnostaat
Der russische Inlandsgeheimdienst FSB behauptete vergangene Woche sogar, einen Anschlag von Kapustin auf den russischen Oligarchen Konstantin Malofejew vereitelt zu haben. Dieser ist Monarchist, Eigentümer des orthodoxen Senders Zargrad TV, Gründer und Aufsichtsratsmitglied des extrem rechten und verschwörungsideologischen Think Tanks Katehon. Ihm schwebt ein zaristisches Russland vor, mit Putin als Monarchen.

Kapustin lehnt das System Putin ab. Statt eines von Russen dominierten Imperiums strebt er wohl eher einen nur aus Russen bestehenden faschistischen Ethnostaat an, der ebenfalls orthodox-zaristische Züge tragen soll. Einige Kämpfer von Kapustins Freiwilligenkorps tragen das Abzeichen der russischen Nazi-Kollaborateure von der »Russischen Befreiungsarmee«, auch Wlassow-Armee genannt. Organisiert wurde sie Ende 1944 von dem in deutsche Gefangenschaft geratenen sowjetischen General Andrej Wlassow unter der Regie von Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS.

Kapustin unterhielt Kontakte zur italienischen faschistischen Casa Pound, zum ukrainischen Regiment Asow, zur Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) und zu zwei führenden deutschen Neonazis

Das Emblem des Korps, ein stilisiertes Schild mit Schwert, ist in dem von Kapustin veröffentlichten Video zu sehen. Es erinnert stark an das der paramilitärischen Jugendorganisation »Weiße Idee« des russischen Faschisten Wiktor Larionow aus der Zwischenkriegszeit. Vom finnischen Exil aus hatte Larionow im Juni 1927 mit einigen Mitstreitern illegal die Grenze zur Sowjetunion überquert. Er verübte einen Sprengstoffanschlag auf die Leningrader Parteizentrale und schaffte es zurück nach Finnland. Das liest sich wie eine Blaupause für die Aktivitäten von Kapustins Freiwilligenkorps – wenn dieses auch kein so prominentes Ziel in Reichweite hat. Später ging Larionow nach Berlin, wo er für »Nowoje Slowo« arbeitete, die pronationalsozialistische Zeitung der russischen Emigration.

Kapustin steht aber nicht nur in der Tradition des exilrussischen Faschismus, sondern ist auch in der westeuropäischen Nazi-Szene vernetzt. Er wurde in Moskau geboren, siedelte aber schon als Teenager mit seiner Familie nach Deutschland über, lebte in verschiedenen Ländern, spricht mehrere Sprachen und verfügt über viele Kontakte ­in der europäischen Neonazi-Szene.

Kapustin unterhielt Kontakte zur italienischen faschistischen Casa Pound, zum ukrainischen Regiment Asow, zur Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) und zu zwei führenden deutschen Neonazis, Thorsten Heise und Tommy Frenck. Außerdem galt er als Führungsfigur in der rechten Kampfsportszene. Er veranstaltete Kampfsportevents in ganz Europa und nahm als MMA-Kämpfer auch selbst an ihnen teil, beispielsweise dem »Kampf der Nibelungen« in Sachsen. 2008 gründete er das extrem rechte Bekleidungslabel »White Rex«.

Spätestens seit seiner Ausweisung aus Deutschland 2019 lebt er dauerhaft in der Ukraine. Die Produkte seines Labels vertrieb eine Zeitlang der Schweizer Nazi Florian Gerber von der PNOS. Seit Anfang dieses Jahres läuft der Vertrieb über den Online-Shop des bayerischen Neonazis Patrick Schröder.

Wotanjugend sympathisiert mit der Asow-Bewegung
Kapustin ist nicht der einzige russische Nazi, der sich in der Ukraine aufhält. Viele flohen dorthin vor Strafverfolgung, manche kämpften bereits ab 2014 auf Seiten des Regiments Asow im Donbass. Ende 2020 schätzte das russische nichtstaatliche Informations- und Analysezentrum Sowa die »russische nationalistische Diaspora« in der Ukrai­ne auf mindestens 150 bis 200 Personen, von denen 60 bereits 2014 auf ukrainischer Seite gekämpft hätten.

Aleksej Lewkin, der Sänger der nazistischen Black-Metal-Band M8l8th und Anführer der russischen Nazigruppe »Wotanjugend« (Die ukrainische Rechtsextremistin Olena Semenyaka verliert ihr Stipendium, Jungle World 5/2021), verließ zum Beispiel bereits 2014 Russland, um in die Ukraine zu gehen. Die Wotanjugend sympathisiert mit der Asow-Bewegung und fordert seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf Russisch dazu auf, auf ukrainischer Seite gegen Russland zu kämpfen. Aleksandr ­Parinow, ehemaliges Mitglied der »Kampforganisation der russischen Nationalisten« (BORN), ging in die Ukraine, als in einem Mordfall auch gegen ihn ermittelt wurde. Später soll er sich dem Regiment Asow angeschlossen haben.

Ein Massenphänomen sind russische Nazis, die auf ukrainischer Seite kämpfen, jedenfalls nicht. Viel mehr von ihnen gibt es in den russischen Streitkräften. Bewaffnete und kampferprobte Nazis werden auch nach Kriegsende eine Gefahr für alle bleiben, die nicht in ihr Weltbild passen.