Angriffe auf linke und queere Menschen in Serbien

Angst in der Dunkelheit

In Belgrad wurde ein 23jähriger schwuler Mann niedergestochen, in Novi Sad attackierten drei Nazis ein linkes Café.

Eine dreiköpfige Gruppe saß in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar auf einer Bank im Manjež-Park im Zen­trum von Belgrad, als sie angegriffen wurde: Eine Gruppe von Männern stach auf einen 23jährigen schwulen Mann mit einem Messer ein und griff eine zweite Person mit einer zerbrochenen Flasche an.

Der 23jährige erlitt schwere Verletzungen und musste sieben Tage im Krankenhaus versorgt werden. Inzwischen gehe es ihm besser, sagt er der Jungle World, »aber ich habe immer noch Angst, alleine rauszugehen«. Die mutmaßlichen Täter wurden von der Polizei gefasst. Ein 20jähriger wird wegen versuchten Mordes und ein 18jähriger wegen schwerer Körperverletzung angeklagt.

Das Motiv der Tat ist bislang nicht offiziell geklärt, die Nichtregierungsorganisation Da se zna hatte jedoch ­Anfang März zu einem Protest gegen homophobe Hassverbrechen im Manjež-Park aufgerufen. Da se zna dokumentiert Diskriminierung und homophobe Angriffe in Serbien.

Aus Angst vor homophoben Übergriffen meidet jede zweite queere Person in Serbien bestimmte Veranstaltungen und Orte.

Die neuesten Zahlen gibt es für das Jahr 2021. In diesem Zeitraum zählte die Organisation 83 Fälle von körperlichen und verbalen Angriffen auf LGBT-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Im Vergleich zum Vorjahr war die Zahl um 40 Prozent gestiegen. Die meisten registrierten Angriffe, 40 an der Zahl, fanden in Belgrad statt, acht in Novi Sad und sechs in Niš.

Europride in Serbien
Einer Studie der European Union Agency For Fundamental Rights (FRA) aus dem Jahr 2021 zufolge erlitten in den vorherigen fünf Jahren (2015–2020) 17 Prozent der queeren Menschen in Serbien körperliche Gewalt, auch sexueller Natur, wegen ihrer sexuellen Orientierung. Aus Angst vor homophoben Übergriffen meide jede zweite queere Person in Serbien bestimmte Veranstaltungen und Orte und 71 Prozent der gleichgeschlechtlichen Paare das Händchenhalten in der Öffentlichkeit.

Zuletzt hatte die Europride in Serbien für Spannungen gesorgt. Die Demonstration findet seit 1992 jedes Jahr in einem anderen Land statt, im vergangenen Jahr war Serbien an der Reihe. Doch dann hatte Präsident Aleksandar Vučić den lange vorbereitete Pride-Marsch in Belgrad kurzfristig abgesagt. Erst nachdem das international für Kritik gesorgt hatte, wurde der Umzug im letzten Moment doch noch ermöglicht, aber auf einer deutlich verkürzten Route.

Der Vorgang ist typisch für Vučićs Taktik im Umgang mit der EU. Einerseits will er die Unterstützung ultrarechter Gruppen und des konservativen, serbisch-orthodoxen Bevölkerungsteils, andererseits soll die Option auf eine EU-Integration erhalten bleiben. In Serbien wird diese Strategie oft als »Auf-zwei-Stühlen-Sitzen« beschrieben.
Schließlich zogen bei der Europride im vergangenen September knapp 1 000 Menschen durch die Straßen Belgrads. Der Umzug wurde von mehreren ­Tausend Polizisten vor dem rechten Gegenprotest abgeschirmt, darunter rechtsextreme Hooligans und ­orthodoxe Priester.

Trotzdem kam es zu homophoben Angriffen auf Demons­trationsteilnehmer:innen. Schon in den drei Jahren zuvor sei das Prajd info centar im Stadtzentrum Belgrads, in dem die Organisator:innen des Umzugs aktiv sind, 15 Mal Ziel von Vandalismus und Sachbeschädigung geworden, teilte eine der beteiligten Organisationen auf Twitter mit.

Schlagring, Teleskopschlagstock und ein großes Messer
Auch linke und antifaschistische Treffpunkte und Kollektive werden in Serbien regelmäßig angegriffen. Im Januar wurde das antifaschistische Café Crni Ovan (Schwarzer Widder) in Serbiens zweitgrößter Stadt Novi Sad zum Ziel. Als der Besitzer der Bar, Bojan Šovljanski, ein verheiratetes befreundetes Pärchen – die Frau war im sechsten Monat schwanger – hinausbegleitete, tauchten drei junge Männer auf und fragten mehrmals, wo denn die serbischen Flaggen seien.

Schließlich zückten die Angreifer Schlagring, Teleskopschlagstock und ein großes Messer und attackierten den Barbesitzer und einen weiteren Gast, der sich ihnen in den Weg stellte. Beide erlitten Verletzungen, einer von ihnen Stichwunden.

Die Angreifer trugen auf ihrer Kleidung Aufnäher mit Konföderiertenflagge aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, Hakenkreuze sowie die Aufschrift der extrem rechten serbischen Gruppierung Zentropa. Zu der Gruppe gehört die Zeitschrift Zentromag, deren Erstausgabe auf Serbisch, Französisch und 2021 auch auf Deutsch erschienen ist. Am 4. Februar veranstaltete die Gruppe in Belgrad eine Kundgebung zu Ehren von Milan Nedić, dem Anführer der Nazi-Marionettenregierung in ­Serbien während des Zweiten Weltkriegs.

Das Graffito »Nazi free zone« des unabhängigen Kulturzentrums Dom B-612 wurde mit einem keltischen Kreuz und der Aufschrift »Serbien den Serben« übersprüht.

Das Café Crni Ovan wurde 2019 eröffnet. Seitdem war es immer wieder Ziel von Angriffen. Der erste schwere Vorfall ereignete sich am 10. Dezember 2021, als der Ladenbesitzer und ein weiblicher Gast angegriffen und geschlagen wurden. Die Angreifer trugen damals »Anti-Antifa«-Symbole. Am 15. Juni vergangenen Jahres versuchten drei junge Faschisten, in das Lokal einzudringen. Die letzte in der Bar verbliebene Mitarbeiterin konnte sich in die Toilette retten, um die Polizei zu rufen.

Mehrere Zähne ausgeschlagen
In dem Zeitraum tauchten in der Stadt rechtsextreme Graffiti auf. Das Graffito »Nazi free zone« des unabhängigen Kulturzentrums Dom B-612 wurde mit einem keltischen Kreuz und der Aufschrift »Serbien den Serben« übersprüht. Das gleiche Graffito tauchte in der selben Nacht auf der Fassade des Jugendzentrums CK13 auf.

Ein anderer Überfall hatte sich einige Tage zuvor ereignet. Damals traf es den 29jährigen Nikola Tati. Er ist Antifaschist und Mitglied des Kollektivs »Rebuild Collective«, das Hardcore-Konzerte organisiert, und ist im Umfeld des Cafés Crni Ovan aktiv. Der Jungle World erzählte er, er sei in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni von drei jungen Männern verprügelt worden. Dabei seien ihm mehrere Zähne ausgeschlagen worden.

Obwohl die Polizei nach dem Notruf unmittelbar reagiert habe, habe man die Täter bis heute nicht gefasst. In der Nacht habe er ein T-Shirt mit der Aufschrift »Antifa« getragen und sei vom Crni Ovan auf dem Weg nach Hause gewesen. Es gehe ihm körperlich wieder gut, »meine Zähne sind auch wiederhergestellt, mir geht es auch psychisch ganz gut, aber ich habe etwas Angst, politische Aufschriften zu tragen. Ich sage nicht, dass ich sie nicht trage. Ich trage sie, aber ich trage auch immer einen Pulli oder eine Jacke, um sie zu bedecken.«