Artensterben im Anthropozän

Licht am Ende der Todesspirale

Laborbericht Von

Entscheidungen in den Geowissenschaften laufen häufig in einer ähn­lichen Geschwindigkeit ab wie die von ihnen untersuchten Prozesse. So prägte der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen bereits im Jahr 2000 den Begriff des Anthropozäns für das gegenwärtige, vom Menschen geprägte Erdzeitalter. Der Vorschlag, die Bezeichnung offiziell in die geologische Zeitskala aufzunehmen, fand seither ­Zustimmung in diversen Fachgremien, ein Beschluss der Dachorganisation International Union of Geological Sciences steht jedoch bis heute aus.

Dabei ist die Sachlage klar: Menschliche Aktivitäten haben sich irreversibel in die Geologie eingeschrieben. Das Anthropozän wird sich in ferner Zukunft zwar nur als fingerdicke Schicht »voll mit Plastikmüll und Coladosen« (so der Geobiologe Gert Wörheide) im Fossilbericht wiederfinden, aber durch einen Artenschwund gekennzeichnet sein, der bereits jetzt als das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte gilt.

Derzeit liegt die Aussterberate zehn- bis mehrere hundertmal höher als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre – Tendenz rapide steigend. Wie verheerend der Kollaps der Biodiversität am Ende ausfallen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wie lange es noch dauert, bis unser Wirtschaftssystem mit Vollkaracho gegen die Wand fährt (oder aber die Menschheit auf wundersame Weise einen Ausweg aus der kapitalistischen Todes­spirale findet).

Als Messlatte für ein Worst-Case-Szenario gilt gemeinhin das größte Massenaussterben der Erdgeschichte vor rund 252 Millionen Jahren, auch bekannt als Perm-Trias-Grenze. Megavulkanismus von kontinentalen Ausmaßen führte damals zum Aussterben von circa 75 Prozent der Land- und 95 Prozent (!) der Meeresbewohner.

Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt auf, dass es sich um einen selbstverstärkenden Prozess handelte: Demnach starb anfangs »nur« etwas mehr als die Hälfte der Arten aus, die angeschlagenen Ökosysteme existierten zunächst rund 61 000 Jahre weiter. Der ganz große Zusammenbruch erfolgte erst, als so viele Spezies verschwunden waren, dass freiwerdende ökologische Nischen nicht mehr neu besetzt wurden und die bereits strapazierten Nahrungs­netze dadurch endgültig zerrissen. Ein Schelm, wer da an die Entwicklungen der heutigen Zeit denkt.

Einen Lichtblick liefert immerhin eine weitere Studie, die kürzlich zu dem Ergebnis kam, dass es in der frühen Trias nicht wie bisher angenommen rund zehn Millionen, sondern lediglich eine schlappe Million Jahre dauerte, bis sich wieder komplexe Ökosysteme etablierten. Auf lange Sicht muss man sich also um die Biodiversität des Planeten keine Sorgen machen – zumindest nicht, bis die Sonne sich in ein paar Milliarden Jahren zu einem Roten Riesenstern aufbläht und die Erde in eine große Backkartoffel verwandelt. Ob aber unsere Nachfahren Teil der künftigen Artenvielfalt sein werden, ist mehr als fraglich.