Umzüge und Sozialkompetenzen

Neue Wohnung, neues Ich

Eine nichtrepräsentative Umfrage im Freundeskreis bestätigte die These: Menschen befällt ein gewisses Unbehagen, sobald sie einen Raum betreten, den man tagtäglich zu benutzen gezwungen ist: das Treppenhaus.

Es sind wohl am häufigsten die neurotischen Großstädter, die zwischenmenschliche Begegnungen mit den Nächsten scheuen, die über, unter und neben einem wohnen. Eine mögliche unangenehme Situation im Hausflur kündigt sich meist bereits akustisch durch das Klimpern von Schlüsseln, schweres Atmen, Trampeln an – oder im schlimmsten Fall auch durch Geruch.

Eine Interaktion und somit eine nicht gewollte Teilnahme am Leben eines Fremden wird zwischen den Etagen stattfinden. Die Auflösung der heimeligen Anonymität löst Scham aus, die sich bei jedem Schritt mit dem Knarzen der Stufen ins Hirn frisst und für Schweißperlen auf der Stirn sorgt. Das Treppenhaus ist also ein perfekter Ort, um die sozialen Phobien des introvertierten Städters auszulösen.

Bei einem Umzug allerdings gehen die gewohnten Strategien fehl, den Kontakt mit den Nachbarn zu vermeiden, wie zum Beispiel den Blick zu senken oder zu telefonieren (sei es auch nur ein Fake-Telefonat). Unweigerlich wird man vollbeladen auf Menschen stoßen, ein Gespräch ist dann unausweichlich. Keine Chance mehr, sich aus dem Weg zu gehen.

Umzug also gleich Neuanfang!

Nicht nur kann das Treppenlaufen als frühjahrssportliche Aktivität ­betrachtet werden, auch hilft der gezwungene Aufenthalt im Hausflur, sich gänzlich neu zu präsentieren: Das mit Umzugskisten und Pflanzen vollgepackte Treppenhaus wird dann zum Experimentierraum, zum Versuchslabor, in dem soft skills der Kommunikation probiert werden können: zum Beispiel Empathie ­zeigen, wenn die betagte, neue Nachbarin aus dem vierten Stock davon berichtet, sie müsse nach jeder Etage Pause machen, denn die Beine schmerzen.

Die nächste Herausforderung: der Versuch, einen Termin beim Bürgeramt zu buchen, um den neuen Wohnsitz anzumelden.

Das neue Motto ist, Hilfe anzubieten, proaktiv die Gelegenheit zu nutzen, um hausintern ein gutes Ansehen zu begründen. Denn wer weiß, vielleicht wird demnächst ja eine hellere Wohnung mit Balkon im oberen Stockwerk frei?

Glaubt man, seine sozialen Unzulänglichkeiten im zwischenmenschlichen Kontakt vorerst überwunden zu haben, steht man jedoch vor der nächsten Herausforderung: dem Versuch, einen Termin beim Bürgeramt zu buchen, um den neuen Wohnsitz anzumelden. Das frisst so viel Energie, dass man sich einfach nur in der neuen Wohnung verkriechen möchte.