Franz Zobel, Beratungsstelle Ezra, über den Umgang mit rechter Gewalt in Thüringen

»Die Entpolitisierung der Tat hat diese verharmlost«

Ende März fiel das Urteil im sogenannten Staatskanzlei-Prozess am Landgericht Erfurt. Dem Gericht zufolge waren alle fünf an dem Überfall beteiligt, der Richter stellte bei den Tätern Lust auf Gewalt fest, ein rechtes Tatmotiv galt jedoch als nicht ausreichend belegt. Die Jungle World sprach mit Franz Zobel von Ezra, der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Thüringen.
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Das Gericht sah bei der Urteilsverkündung ein rechtes Tatmotiv nicht ausreichend belegt. Wie beurteilen Sie diese Einordnung?
Für uns ist unverständlich, wie das Gericht zu dem Schluss kommt, dass ein rechtes Tatmotiv nicht ausreichend geklärt sei. Zum einen spricht dafür der extrem rechte Hintergrund der ­Täter, der durch öffentliche Recherchen bekannt war. Zwei Angeklagte mussten sich zum Beispiel wegen des brutalen Neonazi-Angriffs auf den Leipziger Stadtteil Connewitz 2016 vor Gericht verantworten.
Zum anderen hat der Prozess mehrfach deutlich gemacht, dass die Betroffenen als linke Personen gelesen wurden, aufgrund von Aufnähern, T-Shirts und Tattoos. In Chatprotokollen haben die Täter von »Zecken« gesprochen. Kurz vor dem Angriff ist die Tätergruppe laut Zeugenaussagen zudem mit rassistischen Beleidigungen aufgefallen. Viele weitere Hinweise, die sich mit jedem Verhandlungstag wie Puzzleteile zu einem deutlichen Bild zusammengefügt haben, haben gezeigt, dass die rechte Ideologie der Täter tatauslösend und -begleitend gewirkt haben muss. Die Entpolitisierung der Tat hat diese verharmlost.

In Thüringen hat sich Ezra zufolge die Anzahl rassistischer und rechter Angriffe im vergangenen Jahr nahezu verdoppelt, insgesamt wurden 180 Fälle registriert. Worauf führen Sie diesen Anstieg zurück?
Einen wesentlichen Grund für den Anstieg sehen wir in der massiven Mobilisierung der extremen Rechten. Nahezu ein Viertel aller Angriffe haben wir bei Demonstrationen registriert, hinter denen ex­trem rechte Einzelpersonen oder Netzwerke aus sogenannten Querdenkern, AfD, Reichsbürgern und Neonazis standen. Ein Großteil dieser Angriffe richtete sich gegen Journalist:innen, wobei sich die Zahl der Angriffe auf diese im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2021 beinahe verdreifacht hat.
Rassismus bleibt wie die Jahre zuvor mit 88 Fällen das häufigste Tatmotiv. Wie sich 2021 schon abzeichnete, haben wir es in Thüringen mit einer neuen Welle rechter und rassistischer Gewalt zu tun. Mit Blick auf die kommenden Monate sehen wir die Gefahr, dass die Lage eskalieren kann. Aktuell zeigt sich das bei den rassistischen Mobilisierungen gegen Geflüchtete in Ostdeutschland. Aber auch die Markierung von Linken und Antifaschist:innen als Feindbild hat schon jetzt eine erhebliche Relevanz. Im letzten Jahr haben sich die Fallzahlen rechter Gewalt gegen vermeintlich politische Gegner:innen verdoppelt.

Sie registrierten auch eine Zunahme von Heranwachsenden unter den von diesen Gewalttaten Betroffenen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr über 100 Mal Kinder und Jugendliche Opfer rechter Gewalt. Welche Maßnahmen fordern Sie, um den Schutz speziell dieser Altersgruppen zu erhöhen?
Es kann nicht sein, dass ein 71jähriger, der einem achtjährigen Kind in einem Schwimmbad in Mühlhausen mit dem Knie in die Magengegend tritt und es rassistisch beleidigt, faktisch straffrei davonkommt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine geringe Geldauflage einstellt. Es braucht deshalb endlich einen glaubhaften Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung rechter Gewalttaten in Ostdeutschland. Dieser Fall macht zudem deutlich, dass es vor allem Rassismus ist, der sich immer wieder auch gegen Kinder und Jugendliche entlädt. Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr 85 Fälle rassistischer Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gezählt.