In dem lateinamerikanischen Land führt das Drogengeschäft zu einem Anstieg der Mordrate

Ecuador im Krisenmodus

Die Regierung verhängt immer wieder den Ausnahmezustand über die betroffenen Regionen und vereinfacht den Zugang zu Waffen. Präsident Guillermo Lasso muss sich außerdem einem zweiten Amtsenthebungsverfahren stellen.

Karol Noroña, eine 27jährige Journalistin, verließ Ecuador Ende März. Über einen Informanten hatte sie eine Morddrohung vom Anführer einer Drogenbande erhalten. Noroña hat dort recherchiert, wo es in Ecuador besonders riskant ist: in den Gefängnissen und im Umfeld der Drogenbanden. Die liefern sich seit einigen Jahren einen brutalen Kampf um Schmuggelrouten und die Kontrolle bestimmter Regionen wie Guayaquil, Durán oder Samborondón. Seit Februar 2021 starben mehr als 500 Insassen bei Gefängnisaufständen, Auftragsmörder erschossen drei Staatsanwälte, einen Richter und einen ehemaligen Staatsanwalt, ein weiterer überlebte ein Attentat. Die Mordrate hat sich 2022 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt, von 14 auf 25 pro 100 000 Einwohner und Jahr.

Ecuadors Präsident Guillermo Lasso Mendoza hat Anfang April im Kampf gegen Drogenbanden und andere organisierte Kriminelle den Ausnahme­zustand über die Hafenstadt Guayaquil, einen ökonomischen Knotenpunkt des Landes, und die beiden Küstenprovinzen Santa Elena und Los Ríos verhängt. Da sei Karol Noroña bereits außerhalb Ecuadors in Sicherheit gewesen, sagte Isabela Ponce, die Redaktionsleiterin des Online-Portals GK, für das Noroña schreibt, dem New Yorker Komitee zum Schutz von Journalistinnen (CPJ). Die Organisation berichtete über den Fall und fordert: »Die ecuadorianischen Behörden müssen die Verantwortlichen vor Gericht bringen und sicherstellen, dass kriminelle Gruppen die Arbeit der Presse des Landes nicht behindern.«

Ob GK eine Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft in der Hauptstadt Quito einreichen wird, ist unklar. Das Portal äußert sich skeptisch über die Erfolgschancen, schließlich hatte Noroña selbst darüber berichtet, dass einige mutmaßliche Drogenhändler und Bandenführer von dieser Behörde eine besonders nachsichtige Behandlung erhalten hätten.

In einem Streit mit der Gruppe Los Gángsters um Gebietshoheit und Schutzgeldeinnahmen massakrierte die Drogenbande Los Tiguerones neun Fischer.

Die 2011 gegründete Website GK, die mit investigativen Beiträgen aufwartet, bezeichnet die Morddrohung an Karol Noroña als ein »weiteres Beispiel für die Sicherheitskrise im Land und das Vordringen des Drogenhandels in alle Bereiche der Gesellschaft«. Reporter:in­nen werden immer öfter von der organisierten Kriminalität drangsaliert: Allein im März wurden an fünf Journa­list:in­nen von Radio- und Fernsehkanälen Briefbomben versandt, wie dem Vierteljahresbericht der Organisation Fundamedios aus Quito zu entnehmen ist, die Angriffe gegen Presseorgane dokumentiert.

Fernando Carrión Mena, emeritierter Professor an der Universität Buenos Aires und Dozent an der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften in Quito, sagt: »Für die Unsicherheit in Ecuador sind vor allem die Drogenbanden verantwortlich, die jährlich rund 800 Tonnen Kokain aus Kolumbien und Peru nach Übersee schmuggeln.« Längst sei der Hafen von Guayaquil zu einer wichtigen Drehscheibe im internationalen Drogenhandel geworden. Um dessen Kontrolle kämpfen mehrere Drogenbanden außerhalb, aber auch innerhalb der Gefängnisse. Auftragsmorde, so Carrión, seien in Ecu­ador so alltäglich geworden, wie es früher nur aus Kolumbien und Mexiko bekannt war.

Die Regierung Lasso hat wiederholt den Ausnahmezustand über besonders umkämpfte Regionen verhängt, wie derzeit im Norden des Landes im Verwaltungsbezirk Esmeraldas an der Grenze zu Kolumbien. Von den dortigen Häfen wird Kokain vor allem aus Kolumbien über Mexiko die USA und nach Europa geschmuggelt. Den ecuadorianischen Behörden zufolge hatte in Esmeraldas am Mittwoch vergangener Woche die Drogenbande Los Tiguerones in einem Streit mit der Gruppe Los Gángsters um Gebietshoheit und Schutzgeldeinnahmen neun Fischer massakriert. Weder bemühe sich die Regierung um strukturelle Reformen, noch stelle sie mehr Mittel für einer größere und besser ausgestattete Polizei bereit, kritisiert Carrión.

Die sich ausweitende Sicherheitskrise kommt zu einer Wirtschaftskrise hinzu. Die Arbeitslosigkeit lag im Januar zwar offiziell nur bei 3,8 Prozent, doch sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung unterbeschäftigt. All das sorgt dafür, dass die Regierung Lasso in Umfragen nur auf 13 Prozent Zustimmung kommt. Seine Regierung hat keine stabile Mehrheit im Parlament und ist von Skandalen und Streitigkeiten gebeutelt.

Lasso wirbt derweil für einen nationalen Dialog: »Wir haben einen gemein­samen Feind: Kriminalität, Drogenhandel und organisiertes Verbrechen«, sagte er am 29. März in einer Radio- und Fernsehansprache. Auf die sozialen Probleme ging er erst gar nicht ein. Die werden durch Lassos Sparpolitik noch verschärft und sorgen dafür, dass die Drogenbanden Zulauf erhalten. Hinzu kommen die Folgen des illegalen Goldschürfens im Amazonastiefland, das gleichfalls zunimmt. Quecksilber und Sedimente, die dabei in wichtigen Flüssen wie dem Río Napo freigesetzt werden, gefährden deren Ökosysteme. Lösungen für diese Probleme bleibt die Regierung Lasso schuldig.

Das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Lasso ist bereits im Gang. Das Verfassungsgericht sieht den Verdacht als begründet an, dass Lasso Kenntnis von korrupten Vorgängen in Staatskonzernen hatte, in die sein Schwager verwickelt ist. Das könnte Anfang Mai zu seiner Amtsenthebung im Parlament führen. Längst werden vorgezogene Neuwahlen gefordert. Doch davon will der Präsident nichts wissen. Auf die Kriminalitätswelle wiederum reagierte er Anfang April mit einem Dekret, das Privatpersonen den Zugang zu Waffen erleichtert.