Fitness-Gadgets machen Menschen weder gesünder noch zufriedener

Der vermessene Patient

Praxis und Theorie. Eine gesundheitspolitische Kolumne.
Kolumne Von

»Ich habe nur gute Werte«, strahlt die über 70jährige an Bluthochdruck erkrankte Patientin den Hausarzt an und streckt ihm freudig das Handgelenk mit einer neuen Smartwatch entgegen. Der kann seine Überraschung nur mühsam verbergen, denn Alter und Gadget passen nicht zusammen. Normalerweise tragen mehr oder weniger gut trainierte Frauen und Männer zwischen 20 und 60 die kleinen blinkenden Bildschirme am Unterarm. Sie demonstrieren damit: Ich habe mein Leben im Griff, ärztliche Hilfe und Untersuchung sind nicht notwendig.

Das verdeutlicht auch die Stiftung Warentest: »Vibration als Motivation: Die Smartwatch kann ihren Träger zum Beispiel darauf hinweisen, dass jetzt fünf Minuten Bewegung angebracht wären. Manch einer lässt sich so zu einem aktiveren Lebensstil verführen, zu bewussteren Pausen oder entspanntem Atmen.«

Nur zum Blutabnehmen sei er noch gut, denkt der leicht gekränkte Hausarzt. Schließlich sind die kleinen Geräte keine Labore. Aber das kommt noch: Dann werden täglich Vitaminspiegel und alle möglichen anderen Daten im Blut gemessen und auf dem Bildschirm angezeigt. Doch der Triumph der Technik trügt. Im Fall der oben genannten Patientin steht es 1:0 für den Hausarzt, denn der mit Technik aus dem 20. Jahrhundert – Blutdruckmanschette und Stethoskop – kontrollierte Blutdruck ist viel höher als der von der Smartwatch gemessene. Verkaufen die Hersteller etwa nur Geräte, die gefällige Werte abliefern? Wer möchte schon dafür bezahlen, dass er ständig mit seinen gesundheitlichen Risiken konfrontiert wird. Beruhigen sollen die kleinen Blinkdinger – und nicht noch mehr Stress verursachen.

Vor allem können sie Daten sammeln und sie denen weiterleiten, die daran interessiert sind. Das sind in erster Linie Krankenversicherungen, die über jedes Sahnetörtchen beziehungsweise jeden Schritt genauestens Bescheid wissen wollen. Die Techniker-Krankenkasse (TK) hat einen Wettbewerb ausgerufen: Wer in zehn von zwölf Wochen jeweils 60.000 Schritte nachweist, bekommt Bonuspunkte. Und anstatt sich die Gesundheitsdividende auszahlen zu lassen, kann man von der TK ein neues Fitnessarmband erhalten. So ist der total überwachte Patient nicht weit. Ein Traum für jede Versicherung.

Darüber hinaus können Daten nicht nur mit Versicherungen oder Arbeitgebern, sondern auch mit Kollegen geteilt werden. Ganze Abteilungen wetteifern darum, wer am Monatsende mehr Schritte zurückgelegt und wer mehr Kalorien verbrannt hat. Auch im Alltag beruhigt der Blick auf die personalisierte Statistik am Handgelenk: Das Herz schlägt, ich lebe noch!

Der Markt für Smartwatches wächst rasant: 2014 gaben sechs Prozent der Befragten ab 16 Jahren an, so einen kleinen Datensammler zu besitzen, fünf Jahre später waren es schon 36 Prozent. Für das Jahr 2020 wurde allein in der BRD ein Absatz von 3,2 Millionen Geräten prognostiziert, im Jahr zuvor wurden 2,8 Millionen verkauft.

Krankenversicherungen wollen über jedes Sahnetörtchen beziehungsweise jeden Schritt genauestens Bescheid wissen.

Warum eigentlich? Werden die Menschen gesünder oder zufriedener? Leben sie länger und besser? Es gibt keine verlässlichen Studien, die diese Fragen beantworten könnten. Was bekannt ist: Überwiegend Junge und Gesunde nutzen Fitness-Gadgets, selten chronisch kranke Seniorinnen. Vielleicht gibt es diese Studien auch nicht, weil die Hersteller und Krankenkassen ahnen, was herauskommen könnte: Es hilft nicht viel. Übergewicht und Bluthochdruck steigen auch mit Fitnesstrackern, und die Angst, krank zu werden und daran auch noch selbst schuld zu sein, bleibt – aller Selbstüberwachung zum Trotz. Auch am Arbeitszwang, an Stress, Hektik und existentiellen Sorgen, an fehlender Zeit für Bewegung und am mangelnden Geld für gesunde Ernährung wird sich allein durch digitale Toys nichts ändern.

Darüber hinaus müssen Kranke lange Wartezeiten für Arzttermine, schlechte Behandlung in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie fehlende Medikamente in Apotheken fürchten. Zudem sind die Uhren oft unzuverlässig. Das bedeutet, dass sich die einen in falscher Sicherheit wägen und die anderen unnötig beunruhigt zum Arzt gehen, um aufgrund falscher Werte überflüssige Untersuchungen in Anspruch zu nehmen.

Aber von Angst und Verunsicherung zu profitieren und das vermeintlich passende, beruhigende Angebot in Form von Diäten, ­Fitnesskursen oder eben Smartwatches zu verkaufen – das funktioniert immer.

Der Hausarzt sehnt sich inzwischen selbst nach einem sanften Vibrieren am Handgelenk. Eine Pause und entspanntes Atmen würden ihm jetzt guttun.