­Joaquín Mejía, Jurist, im Gespräch über nötige Reformen in Honduras

»Die Menschenrechtssituation ist nach wie vor prekär«

Im Interview mit der »Jungle World« spricht der Menschenrechtler Joaquín Mejía über die Bilanz des ersten Regierungsjahrs von Präsidentin Xiomara Castro in Honduras.
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Seit Dezember gilt in Honduras der Ausnahmezustand, wodurch in einigen Regionen des Lands Grundrechte wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden. Die Regierung hofft, dadurch effek­tiver gegen die organisierte Kriminalität und mächtige Gangs vorgehen zu können. Die Bevölkerung ist mit ­einer steigenden Zahl an Erpressungen sowie Drogenhandel und Korruption konfrontiert. Beobachter kriti­sieren die honduranische Regierung dafür, dass sie das Militär für Polizeiaufgaben im Landesinnern einsetzt. Die Regierung begründet das damit, dass der Staat nicht über eine ausreichend starke Polizei verfüge.

Am 7. Januar wurden die Umweltschützer Aly Domínguez und Jairo Bonilla erschossen, die sich gegen den Eisenerztagebau in der Nähe ihrer Gemeinde Guapinol eingesetzt hatten. Der Polizeibericht stellt dem Online-Portal »Amerika 21« zufolge »Raub« als Motiv fest. Allerdings seien weder die Mobiltelefone noch das Motorrad der ­Opfer mitgenommen worden, die Polizei habe zudem keinerlei Spuren am Tatort gesichert. Der Eisenerz­tagebau werde kritisiert, da er ein umweltschädliches und teils nachweislich illegales Projekt des hondu­ranischen Unternehmerehepaars Lenir Pérez und Ana Facussé sei. Die beiden galten als dem Zirkel um den ehemaligen Präsidenten Juan Orlando Hernández zugehörig, der wegen Verwicklung in den Drogenhandel in ­einem US-Gefängnis sitzt. Facussé habe »Amerika 21« zufolge familiäre Bande zur Familie von Manuel Zelaya, Präsident bis 2009 und Ehemann der derzeitigen Präsidentin Xiomara Castro. Joaquín Mejía machte die Re­gierung für den Doppelmord mitverantwortlich, da sie dem Tagebau nicht die Konzessionen entzogen habe.

15 Monate nach der Regierungsübernahme von Präsidentin Xiomara Castro sieht es für die meisten Menschen in Honduras alles andere als rosig aus: Ausnahmezustand, Morde an Kri­tikern des Eisenerztagebaus in Guapinol, kaum Reformen.
Der Regierungswechsel hat nicht den erhofften strukturellen Wandel auf allen Ebenen, in den Institutionen, in der Wirtschaft, in der Bevölkerung gebracht. Das ist schade, aber keine Überraschung, denn es war von vornherein klar, dass es viel Widerstand aus dem Staatsapparat und darüber hinaus geben würde.

Das ist gerade bei Bergbauprojekten der Fall und besonders in Guapinol, wo es Beweise dafür gibt, dass die Anlagen gesetzliche Vorgaben verletzen. Zum einen befinden sie sich in einem geschützten Nationalpark mit Trinkwasserschutzgebiet, zum anderen wurden allen Indizien und Aussagen zu­folge zwei Flüsse kontaminiert. Trotzdem wurde der Abbau nicht eingestellt. Die neue Regierung hat keine Konsequenzen aus ihrer Inspektion des Orts gezogen. Deshalb halte ich die derzeitige Regierung für mitverantwortlich für die Ermordung der beiden Aktivisten aus Guapinol.

Wie kann das sein? Gibt es Interessenkonflikte?
Zumindest deutet vieles darauf hin. In der Anwaltskanzlei, die die Interessen des Investorenehepaars Lenir Pérez und Ana Facussé vertritt, arbeitet die Frau des heutigen Innenministers, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Ehepaar ist auch mit der Familie der Präsidentin verbunden, deren Ehemann Manuel Zelaya derjenige sein könnte, der die Hand über das Ehepaar Pérez und ­Facussé hält.

Auch das Ministerium für Menschenrechte, das von der umstrittenen Ministerin Natalie Roque geführt wird, scheint keine bedeutenden Veränderungen zustande gebracht zu haben – täuscht der Eindruck?
Nein, es hat keine Verbesserung gegeben, die Situation ist nach wie vor prekär. Die Zahl der Angriffe auf Umwelt-, Menschenrechts- oder Landrechtsaktivistinnen ist hoch, auch die LGBT-Community wird attackiert. All das ist nicht neu, es hat Kontinuität, aber das Problem ist: Es gibt keine Besserung, obwohl zunächst viel Hoffnung in einen Neuanfang unter einer linken Regierung gesetzt wurde.

Die Vereinten Nationen und die Regierung haben auf Initiative Castros im Dezember ein Abkommen über eine unabhängige externe Antikorruptionsmission unterschrieben. Die Internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (CICIH) soll die Regierung mit internationalen Ermittlern bei der Aufklärung der Strukturen der Drogenkriminalität und der Rolle der Vorgängerregierung unter Präsident Juan Orlando Hernández unterstützen. Wie realistisch ist, dass die Mission die Arbeit aufnimmt?
Es gibt eine Absichtserklärung, die von beiden Seiten unterschrieben wurde. Aber hinter den Kulissen wird gerangelt, gefeilscht, verhandelt und gekungelt. Hinzu kommt, dass die Petition, die Castro an die UN geschickt hat, sehr viel weiter reicht als das Mandat der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala. (Die ­UN-Kommission war bis 2019 damit beauftragt, Schwerverbrechen in Guatemala zu verfolgen, Anm. d. Red.) Die CICIH würde demnach weitreichende Befugnisse beim Kampf ­gegen die Korruption erhalten und zumindest teilweise die Funktion der ­Generalstaatsanwaltschaft übernehmen. Das war vielen Menschen in Honduras nicht klar, aber auch vielen Experten nicht – sie haben die Unterlagen wohl nur sehr oberflächlich gelesen.

Ist das rechtlich möglich und mit der Verfassung vereinbar? In der Absichtserklärung ist auch von einer Verfassungsänderung die Rede.
Die Verhandlungen laufen, eine UN-Sondierungsdelegation war erst kürzlich in Tegucigalpa, aber es gibt noch keine detaillierten Verlautbarungen. Die honduranische Verfassung besagt, dass das Monopol der Strafverfolgung bei der Generalstaatsanwaltschaft liegt. Deshalb wäre eine Verfassungsreform erforderlich, die der Kongress vornehmen müsste. Sie würde es der CICIH ermöglichen, bei Korruptions­delikten Ermittlungen einzuleiten oder Klage zu erheben. Die Regierung Castro und ihre Verbündeten haben aber nicht einmal eine einfache Mehrheit im Kongress, so dass die Annahme der Reform wenig realistisch scheint.

»Eine Umstrukturierung des Militärs ist notwendig, aber aufgrund von dessen Macht und der Verbindungen zum Drogenhandel schwer in die Wege zu leiten.«

Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass die Generalstaatsanwaltschaft grundlegend reformiert werden muss. Das ist ein elementar wichtiger Bereich und er wird derzeit de facto von den alten Mächten kontrolliert. Etliche Personen aus dem direkten Umfeld der Präsidentin sind gegen eine derart weitreichende Beschneidung der Befugnisse der Generalstaatsanwaltschaft und ihre Übertragung auf die CICIH. Der Widerstand von korrupten Politikern und den Anführern der organisierten Kriminalität dürfte wachsen.

Welche Relevanz hat die nach langen Verzögerungen Ende Februar erfolgte Wahl der 15 Richter:innen für den Obersten Gerichtshof durch das Parlament des Landes, den ­Nationalkongress?
Das ist eine wichtige Entscheidung und ich bin der Meinung, dass die Nominierungskommission zuvor gute ­Arbeit geleistet und sehr transparent agiert hat.

Wie beurteilen Sie den immer noch geltenden Ausnahmezustand?
Ich halte ihn für angemessen, denn es ist schwer, gegen Erpressung von Schutzgeld durch Banden vorzugehen. Allerdings gibt es Probleme bei der Umsetzung durch die Polizei und der Armee mangelt es teils an Ausbildung. Aber es bestehen auch Verbindungen zu den Banden, manche Banken sind in Geldwäsche verstrickt – der Ansatz geht nicht weit genug.

Was sind aus Ihrer Perspektive die wichtigsten Herausforderungen, denen sich die Regierung jetzt stellen muss?
Schwierige Frage. Die Entmilitarisierung oder zumindest der Umbau der Armee wird debattiert und damit ein Referendum über die Zukunft der Armee. Die Streitkräfte sind nicht erst seit der autoritären Präsidentschaft von Orlando Hernández zum direkten Komplizen des Drogenhandels geworden. Das war in den siebziger und achtziger Jahren nicht anders. Castro ist es bisher nicht gelungen, das Mi­litärbudget zu kürzen, die Macht der Streitkräfte zu reduzieren oder ihnen ihre Aufgaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu entziehen – wie es viele Menschenrechtsorganisationen und die Zivilgesellschaft fordern. Eine Umstrukturierung des Militärs ist notwendig, aber wegen dessen Macht und Verbindungen zum Drogenhandel schwer in die Wege zu leiten.