Flugtaxis könnten bei der Verkehrswende behilflich sein

Über den Wolkenkratzern

Flugtaxis sind längst keine Gedankenspielerei von Science-Fiction-Autor:in­nen mehr. Im kommenden Jahr sollen sie bereits bei den Olym­pischen Spielen über Paris fliegen, auch Saudi-Arabien hat für die Planstadt Neom Kleinstjets beim deutschen Hersteller Lilium geordert.

Wenn man das Wort Flugtaxi hört, dann klingt das nach Science-Fiction. Vielleicht denken manche an das fliegende gelbe Taxi, mit dem Bruce Willis als Korben Dallas im Film »The Fifth Element« in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Hochhausschluchten des New Yorks des 23. Jahrhunderts steuert. Der Regisseur Luc Besson hatte sich beim Design des Taxis von dem Band »Les Cercles du pouvoir« aus der französischen Comicreihe »Valérian et Laureline« in­spirieren lassen, die im 28. Jahrhundert spielt. Er war von den Bildern des Comics sogar so beeindruckt, dass er Bruce Willis’ Rolle umschrieb und aus einem Fabrikarbeiter einen Taxifahrer machte.

Die Realität ist jedoch weit weniger spektakulär, dafür es wird wahrscheinlich nicht mehr bis zum 23. oder gar 28. Jahrhundert dauern, bis am Himmel über den Städten echte Flugtaxis unterwegs sind. In Paris sollen sie bereits anlässlich der Olympischen Spiele im kommenden Jahr fliegen, in Dubai 2026. Saudi-Arabien hat für seine Planstadt Neom bereits 100 Stück geordert.

Der Traum von fliegenden Autos ist fast so alt wie das Auto selbst. Erste Versuche, ein flugfähiges Automobil zu konstruieren, gab es bereits kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende. Als erstes zumindest theoretisch alltagstaugliches Flugauto gilt allerdings das von dem US-amerikanischen Ingenieur Moulton Taylor entworfene Aerocar aus dem Jahr 1949. Doch von diesem wurden nur sechs Exemplare gebaut.

Auch heute noch gibt es ernsthafte Bemühungen, Auto und Flugzeug zu kombinieren. Das bekannteste derartige Modell ist das Aircar der slowa­kischen Firma Klein Vision, dem im vergangenen Jahr nach intensiven Tests von der slowakischen Luftfahrtagentur offiziell die Lufttüchtigkeit bescheinigt worden ist. Viel wichtiger werden jedoch die zahlreichen Modelle anderer Hersteller sein, die nur aufs Fliegen ausgerichtet sind und sich grob in zwei Gruppen einteilen lassen.

Zum einen wären da die Multi­kopter, also Luftfahrzeuge, die mehrere auf einer Ebene angeordnete Rotoren nutzen, um Auftrieb zu erzeugen. Von diesen erinnern einige, die wie die Modelle 184 und 216 der chinesischen Firma Ehang die Rotoren unterhalb der Kabine haben, an handelsübliche, wenn auch überdimensionierte Drohnen. Andere wie das Model Volocity der deutschen Firma Volocopter wirken eher wie ein klassischer Helikopter mit einer höheren Zahl an Rotoren.

Zum anderen gibt es Modelle mit sogenannten Kippflügeln, deren Rotoren bei Start und Landung senkrecht, während des Fluges jedoch waagerecht ausgerichtet sind – ein Prinzip, auf dem auch der Senkrechtstarter V-22 Osprey der US-Streitkräfte beruht, der bereits seit 2007 im Einsatz ist. Das bekannteste der zivilen Modelle ist der Vahana von Airbus. Der Lilium-Jet der deutschen Firma Lilium mit Sitz in Amsterdam schließlich verfügt ebenfalls über kippbare Flügel. Im Gegensatz zu anderen Modellen hat er jedoch keine offen liegenden, sondern Mantelpropeller, was ihn deutlich energieeffizienter machen soll.

So unterschiedlich diese Fluggeräte konstruiert sein mögen, ihnen allen ist gemein, dass es sich um sogenannte Evtols, electric vertical take-off and landing aircrafts, handelt, also um elektrisch betriebene Luftfahrzeuge mit der Fähigkeit, vertikal zu starten und zu landen. Zudem sind fast alle Modelle, die sich derzeit in der Entwicklung befinden, darauf ausgelegt, auch autonom, also ohne menschliche Führung, fliegen zu können.

Letzteres ist unter anderem deshalb wichtig, weil abzusehen ist, dass Evtols das Aufkommen des Flugverkehrs steigern werden, so dass es – zumindest bei den derzeitigen Standards der Ausbildung – schwierig sein wird, ausreichend qualifizierte Pi­lot:innen für den Betrieb all dieser Modelle zu finden. Wenn die Lohn- und Lohnnebenkosten für Pilot:innen eingespart werden können, wird das ein gewichtiger Wettbewerbsvorteil auf einem umkämpften Markt für Flugtaxis sein, auf dem wahrscheinlich nur sehr wenige Wettbewerber werden überleben können. Die Fähigkeit zum autonomen Fliegen gehört daher mittelfristig wohl zu den Mindestanforderungen.

Vorstellbar wäre eine Übergangsphase, in der die Evtols noch von Pilot:innen geflogen werden oder diese zumindest zur Sicherheit mit an Bord sind. Die Unternehmensberatungsfirma Deloitte rechnet mit einer weiten Verbreitung autonom fliegender Evtols im Lauf der 2030er Jahre. Auch wird der Personenverkehr wohl nur einer der Einsatzbereiche für die neuartigen Luftfahrzeuge werden. Der Fracht- und Güterverkehr könnte bei Markteinführung eine weit größere Rolle spielen, nicht zuletzt weil bei Flügen ohne Passagier:innen in der Bevölkerung weniger Sicherheitsbedenken bestehen dürften.

Hinzu kommt, dass die logistischen Anforderungen an einen Umschlagplatz für den Frachtverkehr ganz andere und deutlich geringere sind als an einen Vertiport, wie die Start- und Landezonen im Personen- beziehungsweise Frachtverkehr genannt werden, umgangssprachlich als Hubschrauberflugplatz bekannt. Tatsächlich sind die Herausforderungen, die die Einführung von Evtols mit sich bringen, groß. Nicht nur müssen etliche neue gesetzliche Regelungen erarbeitet werden, auch die Stadtplanung müsste die erforderliche Infrastruktur schaffen.

Das Flugtaximodell von Volocity hat eine Spannweite von über elf Metern, ein kurzer Stopp am Straßenrand ist damit nicht möglich.

In nicht allzu ferner Zukunft könnten auf kürzeren Verbindungen zwischen Städten, die heute von Flugzeugen bedient werden, Evtols eingesetzt werden. Innerhalb von Ballungsräumen, aber auch im ländlichen Raum sowie in Gebirgs- und Küstenregionen könnten sie zumindest punktuell auch in den öffentlichen Personennahverkehr integriert werden. Gerade zu Anfang jedoch dürften sie wahrscheinlich vor allem im Individualverkehr zum Einsatz kommen – also eher Flugtaxi als Flugomnibus sein.
Anders als Taxis auf der Straße werden diese Flugtaxis jedoch nicht einfach überall anhalten können. Ein Volocity beispielsweise hat eine Spannweite von über elf Metern. Ein kurzer Stopp am Straßenrand ist damit nicht möglich. Folglich wird erst einmal eine Infrastruktur aus verkehrstechnisch günstig gelegenen Vertiports geschaffen werden müssen. Es wird keine leichte Aufgabe, in verdichtete und zudem wachsende urbane Räumen diese neue Art des Transports einzufügen.

Interessierte Unternehmen dürften mit politischer Hilfe Druck auf die Stadtverwaltungen ausüben, Vertiports bereitzustellen oder zumindest zu genehmigen. Anders als bei Hubschraubern, die schon heute diejenigen, die es sich leisten können, über die verstopften Straßen von Metropolen wie São Paulo hinwegtragen, soll es sich bei den geplanten Transportservices mit Evtols wohl eher nicht um ein Luxusangebot für Superreiche handeln. Das Ziel der beteiligten Firmen scheint vielmehr Massenproduktion. Den Berechnungen von Herstellern wie Lilium oder Archer Avi­ation zufolge sollen die Kilometerpreise von Flugtaxis mittelfristig etwa genauso viel kosten wie eine herkömmliche Taxi- oder Uber-Fahrt. Das ist sicher nicht billig, aber für die meisten, die sich heute ein Taxi leisten können, auch alles andere als unbezahlbar. Unklar ist allerdings, wie realistisch solche Kalkulationen sind – zumindest dürften sie die Serienfertigung in großen Stückzahlen voraussetzen.

Flugtaxis und Evtols sind bedeutend leiser, weniger umweltschädlich und vielseitiger einsetzbar als herkömmliche Formen des Lufttransports. Vor allem aber versprechen sie ­gewaltige Umsätze und Gewinne. Deloitte rechnet allein beim Personenverkehr in den USA für das Jahr 2040 mit ­einem Umsatz von knapp 18 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa dem Eineinhalbfachen des heutigen US-Umsatzes von Uber. Derart verheißungsvolle Aussichten dürften die Unternehmen zu energischen Versuchen veranlassen, sich über Bedenken hinweg- und ihre Interessen durchzusetzen.

Bedenken wären jedoch durchaus angebracht. Flugtaxis und Evtols würden die Städte und damit das Leben vieler Menschen verändern, wenn der massenhafte Individualverkehr auch noch den Luftraum erobert. Das würde mittel- und langfristig für die Transport- und Verkehrsbranche insgesamt ähnlich große Veränderungen mit sich bringen wie die des Mobiltelefons für die Telekommunikationsbranche. Anders als bei Uber, Airbnb oder Net­flix beispielsweise geht es hier nicht nur um eine neue Art des Handels mit im Kern gleichen oder zumindest ähnlichen Dienstleistungen, sondern um eine weitgehend neue Technologie, mit der kaum Erfahrungen bestehen.

Eine sinnvolle Verknüpfung mit den bestehenden Verkehrswegen, die Evaluation des Energie- und sonstigen Ressourcenverbrauchs sowie der Folgen für die Natur – allen voran für die Vogelwelt – und nicht zuletzt die Berücksichtigung sozialer Fragen, all das sind Aufgaben, die man nicht der Industrie überlassen sollte. Wenn das gelingt, könnten am Ende die Flugtaxis und Evtols zum nützlichen Bestandteil der Verkehrswende werden.