Carles Mulet García vom linken Bündnis Compromís aus València über die spanischen Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai

»Unidas Podemos war ein punktuelles Phänomen«

Carles Mulet García vom linken Bündnis Compromís aus València ist seit 2015 Senator. Im Interview mit der »Jungle World« spricht er über seine Sorge vor den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai, die zersplitterte Linke in Spanien und den Steit um das Wasser in dem immer mehr von Trockenheit gebeutelten Land.
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Bei den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai zeichnen sich sowohl in der Stadt València als auch in der Autonomieregion knappe Entscheidungen zwischen linken und rechten Bündnissen ab. Auch das Ende von Unidas Podemos könnte bevorstehen. Die Wahlergebnisse in Ihrer Herkunftsregion València gelten auch als Stimmungstest für die Parlamentswahlen im November. Wie ist die Stimmung dort?
Wir sehen dem Wahltag mit Sorge entgegen. Es ist ein offenes Rennen, sowohl in der Stadt València als in der Region. In der Stadt stellt meine Partei Compromís seit 2015 den Bürgermeister, Joan Ribó i Canut. In der Region regieren wir mit PSOE und Unidas Podemos, nach etlichen Legislaturperioden der absoluten Mehrheit des rechtskonservativen Partido Popular (PP). Nun könnte es wieder eine Wende nach rechts geben.

Welche Bedeutung hat es für Compromís, dass es von der neuen linken Plattform Sumar von Arbeitsministerin Yolanda Díaz im Wahlkampf um das Bürgermeisteramt in València unterstützt wird?
Unterstützung durch eine Politikerin wie Díaz ist unbezahlbar. Sie hat in der Linken eine neue Aufbruchsstimmung geweckt, so wie es sie einst nach dem plötzlichen Entstehen von Podemos aus der Protestbewegung des 15-M gegeben hat. Díaz hat es auch geschafft, innerhalb der Linken einen gewissen Konsens zu schaffen.

»Es gab immer bessere Resultate, wenn die linken Parteien in einer Allianz gemeinsam angetreten sind, trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung.«

Gewinnen wir einen Stadtratsposten in València, regieren wir weiter, sonst geht das Amt an den PP. Im Regionalwahlkampf unterstützt Díaz UP und dessen Spitzenkandidaten Héctor Illueca Ballester. Es ist kein Problem, wenn Díaz zwei Parteien den Rücken stärkt. Unser aller Ziel ist es, dass die Linken sowohl in der Stadt als auch in der Region gewinnen. Für UP sieht es aber schlecht aus, die Partei könnten an der Fünfprozenthürde scheitern. Einer Rechtswende in der Region wäre somit der Weg geebnet.

Warum schafft man keine neue »Frente Popular«, wie das von linken und liberalen Politikern gegen rechte Parteien gegründete Wahlbündnis 1936 in der Zweiten Spanischen Republik hieß?
lacht Das war schon immer unser Bestreben. Aber es ist schwer im territorial pluralen Spanien mit seinen nationalistischen Strömungen. Wir haben überaus positive Erfahrungen mit UP gemacht. Unser Bündnis Compromís schaffte es, vier Mandate bei den Parlamentswahlen 2015 und 2016 und einen Senatorenposten zu gewinnen, den ich selbst erhielt.

Auch die Rechte tritt mit drei Parteien an, dem PP, der rechtsextremen Partei Vox und der liberalen Partei Ciudadanos. Lange Jahre regierten im Grunde immer nur entweder der PP oder der PSOE und einige regionale nationalistische oder separatistische Parteien. Es gab immer bessere Resultate, wenn wir linken Parteien in einer Allianz gemeinsam angetreten sind, trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung, Strategien und Parteiprogramme.

Was haben Unidas Podemos und die gespaltene Linken falsch gemacht?
Die derzeitige Krise ist eine andere als die, die nach den Wahlen 2016 die Wende zu einer linken Koalition für Spanien eingeleitet hat. Damals traten UP und wir als etwas Neues, eine Alternative zu den Alteingesessenen, auf die politische Bühne. Jetzt gehören wir zu den Regierenden. Mit dem PSOE gemeinsam zu regieren, ist ein Übel. UP hat es in der Koalition nicht geschafft, viele der Wahlversprechen zu erfüllen und eine linke Politik durchzusetzen. Daher wenden sich Wähler:innen ab. Ein ewiges Problem der Linken ist es, sich intern zu verfeinden und zu spalten. Bei Compromís konnten wir das bisher zum Glück verhindern, aber UP trug ihre Konflikte öffentlich aus. Solche Konfrontationen schaden den Parteien, erst recht wenn sie vom Programm her fast identisch sind. Linke Wähler:innen strafen das ab.

Könnte es mit Sumar eine Trendwende geben? UP droht, aus vielen Städten und Regionen zu verschwinden.
UP war ein punktuelles Phänomen. Es war ein Experiment und ist mittlerweile überholt. Es ist eine alte kommunistische Tradition, die Partei als ideologisches Kulturerbe anzusehen und den Namen nicht aufzugeben, aus Angst, die Identität zu verlieren. Auch die emotionale Affinität der Wähler:innen zu UP ist vergangen, dem muss man keine Träne nachweinen. Parteien sind nur Instrumente, um gesellschaftliche Zustände zu verändern. Wenn ein Instrument nicht mehr funktioniert, dann sollten der Name, das Bild und Programm an die veränderte Situation angepasst werden.

Was strebt Ihre Partei Hinblick auf die Parlamentswahlen an: eine Allianz mit Sumar, mit UP oder mit niemandem?
Unsere erste Etappe sind die Regionalwahlen. Wir werden uns Ende Mai mit unserem linken Programm zur Wahl stellen und uns keine Konfrontation mit UP liefern. Wenn die Chemie mit Sumar stimmt, müssen wir aushandeln, ob wir Teil des Bündnisses werden und wie stark wir darin vertreten sein können. Es ist auch nicht klar, ob und wie sich UP und Sumar einig werden können. Je größer die Allianz ist, desto besser wird es für alle sein. Für die Zukunft von Sumar wird es große Bedeutung haben, ob Ada Colau die Wiederwahl als Bürgermeisterin von Barcelona schafft und ob wir von Compromís weiter den Bürgermeister von València stellen werden. Auf der anderen Seite werden wir auch sehen, welche Ergebnisse UP in den Regionen holt, ob die Partei ihre Parlamentarier:innen in Madrid und València behält oder am Einzug in die Regionalparlamente scheitert.

Und was ist Ihre persönliche Präferenz?
Das ist wie die Frage: Wen magst du lieber, den Papa oder die Mama? Ich würde mir wünschen, dass wir alle gemeinsam als breite Plattform antreten.

Eines der Kernthemen des Wahlkampfs ist die Dürre. Wie gravierend ist sie in der Region València?
Das ist hier ein altes Konfliktthema. Im Süden der Region, im vom PP regierten Alicante, dreht sich die Debatte um das Umleiten von Flusswasser über den Tajo-Segura-Kanal. Die Regionen streiten sich um das Wasser, das der Staat verteilt. Insbesondere der Tajo ist wegen mangelnder Klärung der Abwässer Madrids, die in den Nebenfluss Jarama gelangen, stark verschmutzt. Wasser wird für Golfplätze benutzt oder es werden halbaride Flächen für die Landwirtschaft bewässert, was die Grundwasserspiegel enorm absenkt. In der derzeitigen außerordentlich langen Trockenphase braucht es kurzfristige Lösungen, wie etwa mehr Meerwasserentsalzung. In Zukunft muss man die gängige Praxis überdenken und zum Beispiel verbieten, private Schwimmbäder zu füllen.

Carles Mulet García

Carles Mulet García stammt aus dem Dorf Cabanes in der Provinz Castelló, wo er 2003 mit der postkommunistischen linken Partei Esquerra Unida del País Valencià (Vereinigte Linke des Landes Valencia) als Stadtrat seine politische Laufbahn begann. Gemeinsam mit einigen weiteren Mitgliedern verließ er diese Partei 2007, um die ökosozialistische Iniciativa del Poble Valencià zu gründen, die bis heute Teil des regionalen linken Bündnisses Coalició Compromís (Kompromiss) ist.

Bild:
privat


Linke Parteienvielfalt:
Der sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Español (Sozialistische Arbeiterpartei Spanien, PSOE) und das linke Parteienbündnis Unidas Podemos (Gemeinsam können wir, UP) bilden seit 2020 die Regierung Spaniens, die von Compromís bei vielen Gesetzesbeschlüssen unterstützt wird. UP ist eine demokratisch-sozialistische Allianz, die von der Partei Podemos angeführt wird und die Vereinigte Linke (Izquierda Unida, IU), die grüne Partei Equo und andere linke Parteien umfasst. Mit Sumar (Summieren) ist im Frühjahr 2022 eine neue linke und progressive Wahlplattform entstanden, angeführt von Yolanda Díaz, der zweiten stellvertretenden Ministerpräsidentin sowie Arbeits- und Sozialministerin Spaniens und seit April Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin bei den spanischen Parlamentswahlen, die spätestens im Dezember stattfinden sollen. An Sumar beteiligt sind die Podemos-Abspaltungen Más País und Más Madrid, Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau vom katalanischen Podemos-Ableger En Comú, die Alianza Verde sowie kleinere Umwelt- und Regionalgruppen im ganzen Land, darunter auch die valencianische Compromís.
Als Protestbewegung 15-M bezeichnet man in Spanien eine Reihe von Demonstrationen und Besetzungen gegen die dortige Sparpolitik, die anlässlich lokaler und regionaler Wahlen 2011 begann. Die Bewegung kritisierte hohe Arbeitslosigkeit, Sozialkürzungen, politische Korruption und das Zweiparteiensystem in Spanien. Viele forderten grundlegende Rechte wie die auf Wohnen, Arbeit, Kultur, Gesundheit und Bildung. Die Bewegung beeinflusste die Gründung der linken Partei Podemos und veränderte das spanische Parteiensystem.