Das Set der Taste Tribes vom »Nischen«-Festival

Elektronik für Entnervte

Das Festival »Bildet Nischen« versuchte, die Sehnsucht nach dem Klang des alten Westberliner Zodiak zu bedienen.
Musikrezension Von

Westberlin: eine Insel, vollauf subventioniert von der Bundesrepublik, mit ganz viel Platz, kurz: eine Stadt als Großnische. Nahezu alles war hässlich, aber nahezu alles war möglich – wie etwa das 1967 gegründete Zodiak Free Arts Lab, ansässig im Gebäude der Schaubühne am Halleschen Ufer. Die Plakate, die man aushing, versprachen: »Total freie Musik. Jeder spielt, alle spielen, jeder kann es, alle sollen.« Ein Versprechen, das gehalten wurde, bei freiem Eintritt zumeist.

Die Experimente, die dort stattfanden, waren nicht nur im musikalischen, sondern auch im wirtschaftlichem Sinn frei; Geldverdienen war in Westberlin mit seinen gedeckelten Mieten nur in begrenztem Maße nötig, so dass man seine Musik da nicht mit hineinziehen musste. Diese Freiheit hörte man der aus dem Zodiak entstandenen »Berliner Schule« an, anders als bei den streng rhythmischen Elektronik-Pionieren aus Düsseldorf.

Die Konzerte zeigten an, was aus improvisierter elektronischer Musik hätte werden können, wenn diese nicht zum Produktionsmittel für Low-Budget-Disco geworden wären.

Die Sehnsucht nach dem Klang des Zodiak ist groß. Das Festival »Bildet Nischen. Rückkopplungen aus dem Zodiak Free Arts Lab« im vergangenen September, (fast) am alten Kreuzberger Ort, versuchte, sie zu bedienen, ohne allzu sehr das eingespielte Deutungsmuster aufzugreifen, dass elektronische Musik, Kraftwerk und Techno die deutsche Vergeltung für Elvis und die Beatles darstellten. Und ja, die Konzerte zeigten an, was aus improvisierter elektronischer Musik hätte werden können, wenn diese nicht zum Produktionsmittel für Low-Budget-Disco geworden wären.

Ein Hörbeispiel ist im März erschienen: das Set der Taste Tribes, bestehend aus Hans Joachim Irmler (Faust), Günter Müller (Nachtluft), Wolfgang Seidel (Eruption) und – beim Konzert nur virtuell zugegen – Alfred Harth (Just Music, Goebbels/Harth). Es knüpft an die gelassene Zeiteinteilung der »Berliner Schule« an, verzichtet aber komplett auf romantische Anklänge – wie sie für die Produktionen von Klaus Schulze oder Tangerine Dream typisch waren, die wie die Mitglieder von Taste Tribes ihre musikalische Erfahrungen im Zodiak gemacht hatten. Entsprechend heißt die Platte auch »Nischen« – besonders empfohlen für von elektronischer Tanzmusik Entnervte.


Cover

Taste Tribes: Nischen (Moloko)