In Thailand hat die Opposition haushoch die Wahlen gewonnen

Klatsche für die Junta

Die Oppositionspartei Move Forward ist als klarer Sieger aus der Wahl in Thailand hervorgegangen. Ihr Spitzenkandidat Pita Limjaroenrat kündigte eine Koalition mit sieben weiteren Parteien und grundlegende Reformen an.

Es ist eine krachende Niederlage für Thailands Militärjunta. Deren regierende Phak Palang Pracharath (Partei der Macht des Volksstaats) brach bei der Wahl des Repräsentantenhauses, des Unterhauses des Parlaments, am 14. Mai komplett ein: Mit nur 1,4 Prozent hat sie 22 Prozentpunkte und 75 Sitze eingebüßt. Die neue armeenahe Phak Ruam Thai Sang Chart (Vereinte Thai-Nation) mit dem seit einem Staatsstreich 2014 amtierenden Ministerpräsidenten General Prayut Chan-o-cha als Spitzenkandidat kam auf nur 11,9 Prozent. Die royalistisch-konservative Phak Prachathipat (Demokratische Partei) setzte ihre Talfahrt fort und kam ­lediglich auf 2,3 Prozent.

Die Niederlagen waren bereits pro­gnostiziert worden und sind doch in ihrer Deutlichkeit erstaunlich. Die Parteien, die mit nationalistischer und royalistischer Ideologie versucht haben, Militär­putsche als notwendig für die Verteidigung der Monarchie zu rechtfertigen, wurde der Mittelfinger gezeigt – oder vielmehr der Dreifingergruß der Demokratiebewegung für den Widerstand gegen die Willkürherrschaft. Es ist ein Triumph für die Demokratiebewegung, die unter der Führung von Studierenden und Jugendlichen 2020 offen zur Reform der Monarchie aufgerufen und damit Repression insbesondere in Form von Verhaftungen und verstärkter Polizeigewalt auf sich gezogen hatte.

Vorwärts, immer vorwärts
Die Überraschung bei den Wahlen ist der deutliche Sieg der progressiven Phak Kao Klai (Fortschrittspartei, international bekannt als Move Forward Party, MFP). Sie erhielt über 14 Millionen Stimmen, acht Millionen mehr als ihre später verbotene Vorgängerpartei, die Future Forward Party bei den Wahlen 2019. Das entspricht einem Stimmen­anteil von 36,2 Prozent. Damit verdrängte sie Phak Phuea Thai (Partei für Thais, PT, auch bekannt als Pheu Thai Party) mit 27,7 Prozent auf den zweiten Platz. Die PT steht dem 2006 durch einen Putsch gestürzten ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra nahe und wird von der prodemokratischen Rothemdbewegung und vielen Angehörigen der Arbeiter:innenklasse unterstützt, doch die MFP drückt am klarsten Hoffnung der neuen Demokratiebewegung auf Veränderung aus.

Während die PT sich eher vorsichtig bei Fragen der Veränderungen bei ­Armee und Monarchie verhielt, auch weil sie nicht verboten oder weggeputscht werden wollte, hat die MFP eine grundlegende Reform beider Institutionen ins Zentrum ihres Wahlprogramms gestellt. Demnach will sie ein Referendum für eine neue Verfassung organisieren, die den Einfluss der Armee zurückdrängen soll – zum Beispiel durch die Abschaffung des Senats, des vom Militär ernannten Oberhauses des Parlaments. Zudem will sie den Militärdienst abschaffen und die Armee verkleinern. Eine weitere Ankündigung ist eine Veränderung des berüchtigten Artikels 112 des Strafgesetzbuchs, der für Majestätsbeleidigung bis zu 15 Jahren Haft vorsieht. Er wird genutzt, um Diskussionen im Netz zu zensieren und Aktivist:innen zu verklagen und ein­zusperren.

Während die Oppositionspartei Phuea Thai vorsichtig mit Fragen des Militärs und der Monarchie umging, hat Move Forward eine Reform beider Instiutionen zentral ins Wahlprogramm gestellt.

Das sind Forderungen, mit denen sich ein Großteil der thailändischen Bevölkerung identifizieren kann – vor allem die jüngeren Generationen. Bezeichnenderweise hat die MFP fast alle Direktmandate, bis auf eines der PT, in der Hauptstadt Bangkok gewonnen. Das liegt auch daran, dass sie junge Akti­vist:in­nen unterstützt hat, indem sie beispielsweise die Kaution nach Ver­haftungen bezahlte.

Einige davon sind selbst MFP-Kandidaten geworden, wie Piyarat Chongthep. Er hat das Netzwerk Wevo (We Volunteer, »Wir melden uns freiwillig«) gegründet, das als Schutzgarde die Jugendproteste 2020 gegen das Militärregime begleitete und Demonstrant:in­nen vor Polizeiübergriffen schützte, und wurde wegen seiner Beteiligung an der Protestbewegung zu 20 Tagen Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Nun gewann Piyarat das Direktmandat in Bangkoks achtem Distrikt. In Pathum Thani, Teil des Industriegürtels nördlich von Bangkok, gewann die junge Aktivistin Chonthicha Jangrew, gegen die zahlreiche Verfahren unter anderem wegen Majestätsbeleidigung anhängig sind, haushoch gegen die Parteien der Armee.

Bewegung – Wahlsieg – Putsch?
Doch ein Wahlsieg garantiert noch keine Regierungsbildung. Den Ministerpräsidenten wählen die 500 Mitglieder des Repräsentantenhauses gemeinsam mit den 250 vom Militär eingesetzten Senatsmitgliedern. Offen ist, ob diese geschlossen gegen den MFP-Spitzenkan­didaten Pita Limjaroenrat stimmen werden. Möglich ist auch, dass die Wahlkommission oder das Verfassungsgericht Kandidaten disqualifiziert oder Parteien ganz verbietet, wie es zuletzt 2019 im Falle der Future Forward Party geschah. Auch der als unberechenbar geltende König Maha Vajiralongkorn wird wohl ein Wörtchen mitreden.

Die Armee könnte leicht putschen – doch wie die Wahlergebnisse zeigen, ist ihre gesellschaftliche Legitimität an einem Tiefpunkt, genau wie die des Königs. Gegen eine so klare Mehrheit erneut zu intervenieren, würde gewaltige Proteste auf den Straßen auslösen, ein gewaltsames Vorgehen dagegen den Rückhalt der beiden Institutionen in der Bevölkerung weiter verringern.

Diesen Umstand versucht Limjaroenrat zu nutzen: Er hat eine Koalition aus acht Parteien mit einer deutlichen Mehrheit im Parlament zusammen­gebracht. Nach dem Verhalten der Senatoren gefragt, erwiderte er, dass er keinen Grund sehe, warum diese nicht für einen Kandidaten stimmen sollten, der die Unterstützung der breiten Mehrheit des Repräsentantenhauses genießt. Er kündigte bereits an, als Ministerpräsident als Erstes die »eingesperrten Kinder« aus den Gefängnissen zu holen.

Die soziale Frage
Vieles hängt von der Mobilisierung und den Strategien der demokratischen und sozialen Bewegung ab. Sollte die MFP eine Regierung anführen und ­tatsächlich versuchen, die Generäle zu entmachten, dürfte es Widerstand ­seitens des Establishments geben. Entscheidend ist das Gewaltmonopol, das beim Staat und im Falle Thailands insbesondere beim Militär liegt. Will man dessen Macht zu sehr einschränken, wird es wohl gewaltsam reagieren. Lässt man es gewähren, kann es immer wieder gegen demokratische Regierungen intervenieren, wie es im Nachbarland Myanmar geschehen ist. Dort hat die zivile Regierung, deren Partei zuvor gegen die Militärdiktatur opponiert hatte, die ökonomische und militärische Macht der Armee intakt gelassen, die dann nach für ihre Parteien schlechten Wahlergebnissen putschte. Die sehr breite dortige Protestbewegung wurde brutal niedergeschlagen, das Land befindet sich in einem Bürgerkrieg.

In Thailand haben die Massenbewegungen der vergangenen Jahrzehnte auch große Teile der arbeitenden Klassen politisiert. Für sie war die Demokratiefrage mit den sozialen Fortschritten unter Ministerpräsident Thaksin verwoben. Thailand hat sich erfolgreich industrialisiert und ist inzwischen ­eigentlich ein wohlhabendes Land. Doch davon hat die Mehrheit wenig, die für Löhne von 300 Euro im Monat arbeiten muss. Sehr viele leiden unter den ökonomischen und sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie – ein weiterer Grund für die Wahlniederlage der jetzigen ­Regierung.

Die Arbeiter:innen sind längst von den führenden Parteien entdeckt worden. Die PT hat auch deshalb bei dieser Wahl viele Stimmen dazugewonnen, weil sie versprach, den Mindestlohn zu verdoppeln sowie 20 Millionen gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. Andere Parteien wetteiferten mit populären Maßnahmen, um Stimmen zu ergattern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass beide großen Oppositionsparteien von reichen Unternehmern angeführt werden. Thailändische Sozialisten wie der im britischen Exil lebende Giles Ji Ungpakorn sind daher skeptisch, ob eine Koalition aus MFP und PT konsequent gegen die Generäle vorgehen, geschweige denn die sozialen Probleme ernsthaft angehen wird. Sie ­argumentieren, dass für eine tatsächliche Demokratisierung der thailändischen Gesellschaft eine Organisierung der prekär Beschäftigten sowie eine eigenständige politische Formation, unabhängig vom Kapital, notwendig sei.