Auch die diesjährige »Nakba«-Demonstration in Berlin wurde verboten

Nakba-Tag abgesagt

Wie schon im Vorjahr wurde die Demonstration zum »Nakba-Tag« in Berlin verboten. Am Samstag fand in Kreuzberg dennoch eine Demonstration statt.

Die diesjährige Demonstration zum »Nakba-Tag« fiel kleiner aus als geplant. Am Samstag nahmen etwa 200 Menschen an einem Umzug teil, der von der Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« initiiert worden war. Die Polizei trennte im Verlauf etwa die Hälfte der Teil­nehm­er:innen vom Rest. Zur Begründung hieß es, es habe aus der abgetrennten Gruppe antisemitische Äußerungen gegeben. Es seien Platzverweise erteilt und acht Strafanzeigen aufgenommen worden.

Zuvor hatte die Polizei die für denselben Tag angesetzte »Nakba 75«-Demonstration kurzfristig verboten. Sie hätte deutlich größer ausfallen sollen: Angemeldet war sie für 1.000 Teil­neh­mer:innen. Unterstützt wurde die Demonstration von der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, der Gruppe »Palästina spricht« und der Linkspartei Berlin-Neukölln. Zur Begründung des Verbots hieß es, bei der Versammlung wären antisemitische und volksverhetzende Aussagen sowie Gewalttaten zu befürchten gewesen. Bei dieser Einschätzung stütze man sich auf »Erfahrungen der vergangenen Jahre und auch der jüngeren Vergangenheit«. Das Verbot wurde vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg bestätigt.

In den vergangenen Wochen waren bereits andere antiisraelische Demonstrationen verboten worden, und auch vor einem Jahr waren bereits Demons­trationen zum »Nakba-Tag« verboten worden. Unter dem Begriff »Nakba« (Katastrophe) wird jedes Jahr am 15. Mai an die Flucht Hunderttausender Paläs­tinenser:innen infolge des ersten arabischen Kriegs gegen Israel im Jahr 1948 erinnert. Der Tag jährte sich 2023 zum 75. Mal.

Die Demonstration, die am Samstag hätte stattfinden sollen, lief unter dem Motto »Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht – Nein zum Demonstrationsverbot«. Die Veranstalter beklagen, dass man für das Verhalten Einzelner verantwortlich gemacht werde. In der Taz klagte Qassem Massri von »Palästina spricht«, dass eine Demonstration seiner Gruppe vom 23. April 2022 von der Polizei als Verbotsargument angeführt worden sei. Damals war vor laufender Kamera ein Journalist als »Drecksjude« beschimpft worden. »Das war ein Jugendlicher!« sagte Massri der Taz. »Und wo kommen wir hin, wenn man von den Handlungen Einzelner auf ganze Populationen schließt? Das ist der Kern von Rassismus!«

Videos der Beobachtungsstelle Democ zeigen allerdings, dass bei der damaligen Versammlung Gruppen von Teilnehmern in Sprechchören unter anderem »Schlag zu, oh Qassam, lasst die Zionisten nicht schlafen« riefen – die Qassam-Brigaden sind der militärische Arm der Hamas; ihre Raketen, mit denen sie regelmäßig Israel beschießen, werden ebenfalls Qassam genannt. Ein anderer Sprechchor lautete »Mit unserem Blut befreien wir dich, oh Aqsa«. Auch »From the river to the sea, Palestine will be free« war Democ zufolge zu hören gewesen.

Trotz allem dürfte die Einschätzung der Berliner Gerichte juristisch zumindest nicht ganz unumstritten sein. Deutlich wird das am versuchten Verbot einer »Nakba«-Demonstration in Frankfurt am Main am 15. Mai 2021. Die Behörden verwiesen damals auf die angespannte politische Lage im Nahen Osten sowie vor allem auf ein Flugblatt der Gruppe Samidoun, die zu der Demonstration aufgerufen hatte. Bei der Gruppe handelt es sich um Gefangenensolidaritäts-Netzwerk mit Verbindungen zur terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Auf dem Flugblatt sei zu einer »Woche des palästinensischen Kampfes« aufgerufen worden. Das Ganze sei mit zwei bewaffneten Kämpfern bebildert gewesen. Hieraus habe sich – gerade aufgrund von parallel stattfindenden Veranstaltungen in der Frankfurter Innenstadt – eine besondere Gefahrenlage ergeben.

Ob die derzeitige Berliner Verbotspraxis einer Überprüfung anhand der Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts standhalten würde, lässt sich bezweifeln.

Das Frankfurter Verwaltungsgericht und der hessische Verwaltungsgerichtshof hatten das Verbot jedoch aufgehoben. Das Verbot einer Demonstration – so die Argumentation des Verwaltungsgerichts – sei immer nur das letzte Mittel, um von dem Umzug ausgehende Gefahren abzuwehren. Nur wenn der Versuch einer einvernehmlichen Lösung oder die Erteilung von Auflagen nicht ausreichen, lasse sich ein Verbot rechtfertigen. Im Frankfurter Fall konnte das Gericht nicht erkennen, warum man die befürchteten Gefahren nicht auch mit Auflagen hätte vermeiden können. Die Anmelderin habe sich zudem stets glaubhaft von Gewalt distanziert.

Damit orientiert sich das Frankfurter Verwaltungsgericht an der Linie des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte 1985 mit dem ­sogenannten Brokdorf-Beschluss Maßstäbe für den Schutz von Versammlungen gesetzt. Um eine Demonstration zu verbieten, genügen demnach bloße Vermutungen oder der Verdacht, dass diese einen unfriedlichen Verlauf nehmen könnte, nicht.

Die Gefahrenprognose muss vielmehr auf konkreten Tatsachenfeststellungen beruhen. Eine Demonstration lässt sich außerdem selbst dann nicht ohne weiteres verbieten, wenn mit Ausschreitungen durch Einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist. Schließlich würde man ansonsten die Versammlungsfreiheit aller Teil­nehm­er:innen – auch der friedlichen – einschränken. Eine Versammlung aufzulösen oder zu verbieten, dürfe vielmehr nur in Betracht kommen, wenn alles andere versucht worden sei – nach dem Verhängen von Auflagen oder Maßnahmen gegen die unfriedlichen Teile der Versammlung. Ob die derzeitige Berliner Verbotspraxis einer Überprüfung anhand dieser Maßstäbe standhalten würde, lässt sich zumindest bezweifeln.