Die AfD kann in Ostdeutschland an rassistische und völkische Einstellungen anknüpfen

Identitätspolitik Ost

Die AfD ist keine originäre Ostpartei, trifft in Ost­deutsch­land aber auf ein besonders günstiges gesellschaftliches Klima.
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»Es fühlt sich schon wieder so an wie in der DDR«, rief Björn Höcke im Sommer 2019 auf dem Cottbuser Marktplatz 1 000 begeisterten AfD-Anhängerinnen zu. »Und dafür haben wir nicht die friedliche Revolution gemacht, liebe Freunde. Das wollen wir nie wieder erleben!« Der Co-Vorsitzende der Thüringer AfD war zum Wahlkampfauftakt für die brandenburgische Landtagswahl in die Stadt gekommen. Allerdings hat der im westfälischen Lünen geborene Höcke die DDR gar nicht selbst erlebt, und während der »friedlichen ­Revolution« ging er noch in Rheinland-Pfalz zur Schule. Dieser Widerspruch scheint aber wenige zu stören.

In einer Umfrage des Berliner Instituts Wahlkreisprognose gab im Mai eine relative Mehrheit (23 Prozent) der Befragten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen an, dass die AfD »am ehesten die Interessen Ostdeutschlands« vertrete. Die Linkspartei landete mit 17 Prozent nur auf dem zweiten Platz. Dies liegt aber weniger an konkreten Lösungsvorschlägen der AfD für spezifisch ostdeutsche Probleme als daran, dass sie es schafft, mit Parolen wie »Vollende die Wende«, »Wir sind das Volk« oder »Der Osten steht auf« jene ostdeutsche Gefühlswelt anzusprechen, die – neben realen Ohnmachtserfahrungen – von einer angeblichen anhaltenden Unterdrückung und Abwertung durch den Westen geprägt ist.

Die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der völkischen Partei, deren Führungsriege weiterhin mehrheitlich aus Westdeutschen besteht, liegt im gesellschaftlichen Klima in Ostdeutschland begründet.

Zehn Jahre nachdem die AfD in Oberursel bei Frankfurt am Main als rechtsliberale, euroskeptische Partei gegründet wurde, hat sie sich in Ostdeutschland als rechtsextreme Kraft etabliert, mit einem stabilen Wählerpotential von 20 bis 25 Prozent. Bei der vergangenen Bundestagswahl wurde die AfD in Sachsen und Thüringen sogar stärkste Kraft. Im rot-rot-grün regierten Thüringen, wo im Sommer kommenden Jahres Landtagswahlen anstehen, liegt die AfD einer Insa-Umfrage zufolge derzeit bei 28 Prozent, sechs Punkte vor der Linkspartei. In Westdeutschland kann die Partei von solchen Zahlen nur träumen. Ihr bestes Wahlergebnis dort erreichte sie 2018 in Hessen mit 13,1 Prozent, bei der Bundestagswahl 2021 kam sie bundesweit auf 10,3 Prozent.

»Da trifft die AfD eine Tonlage, die in Ostdeutschland auf einen anderen zeitgeschichtlichen Resonanzraum trifft, als das im Westen der Fall ist«, benannte der Soziologe David Begrich neulich in der Taz eine Ursache ihres Erfolgs. Eine weitere ist, dass völkisch-nationalistische und rassistische Einstellungsmuster im Osten gesellschaftlich akzeptierter sind als im Westen, vielerorts herrscht eine rechte Hegemonie. Deswegen zieht es militante Neonazis ebenso wie völkische Siedler aus Westdeutschland vermehrt in die neuen Bundesländer.

Die AfD ist keine Ostpartei im Sinne einer spezifisch auf ostdeutsche Themen ausgerichteten Politik oder einer personellen oder regionalen Verbundenheit. Die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der völkischen Partei, deren Führungsriege weiterhin mehrheitlich aus Westdeutschen besteht, liegt im gesellschaftlichen Klima in Ostdeutschland begründet. Die Inhalte der AfD knüpfen besonders gut an eine spezifisch regressiv-autoritäre Form ostdeutscher Identitätspolitik an.

Diese speist sich auf zweierlei Weise aus der Wendegeschichte. Zum einen aus der auf die Wende folgenden »sozialen Katastrophe« (Manja Präkels), die weite Teile der ehemaligen DDR erschütterte. Zu dem damit verbundenen Gefühl der Demütigung durch »den Westen« kommt, zum anderen, auch der Stolz, schon einmal auf der Straße ein System gestürzt zu haben. Derart funktionierte auch die Erfahrung der rassistischen Pogrome Anfang der neunziger Jahre, die dem randalierenden Mob ein Gefühl der Ermächtigung gegeben haben. Daraus zieht die mittlerweile in die Jahre gekommene »Generation Hoyerswerda« bis heute ihr Selbstbewusstsein.

Die Parole »Wir sind das Volk«, der sich auch die AfD bedient, steht in dieser doppelten Tradition. Diese Identitätspolitik bedient beispielsweise auch der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), dessen Mittagsmagazin seit kurzem den Zusatz »Der starke Osten« trägt. Viele Beiträge zur ostdeutschen Identitätsdebatte bedienen jenen identitären Stolz und das Selbstmitleid und entlasten dabei die Prota­gonist:innen der konformistischen Rebellion von jeglicher Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, ­gegen die sie rebellieren.

Auch die besonders von der CDU betriebene Verharmlosung des Rechtsextremismus sowie das Verständnis für das rechtsautoritäre Milieu, dessen Auftreten oftmals selbst als eine ostdeutsche Eigenart verklärt wird, begünstigt die AfD im Osten. So rechtfertigte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im vergangenen Herbst, während vielerorts auf rechten Montagsdemonstrationen Russland-Fahnen geschwenkt wurden, eine spezifisch ostdeutsche Perspektive auf den Ukraine-Krieg. Man müsse akzeptieren, »dass wir eine andere Position haben«, forderte Kretschmer, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU ist. Politische Fragen werden so zu einer Frage der Identität. Damit einher geht eine Normalisierung des rechtsautoritären Milieus, von der am Ende die AfD profitiert.