Allein gehaltene Papageien können per Videochat mit Artgenossen kommunizieren

Facetime für Papageien

Ein Forschungsteam hat Papageien per Videochat miteinander kommunizieren lassen, was ihnen helfen soll, sich weniger einsam zu fühlen. Versuche zur Interaktion von Tieren mit Computern stehen erst am Anfang.

Die Forschung geht davon aus, dass Menschen bereits vor mehr als 10 000 Jahren damit angefangen haben, Haustiere zu halten. Als Erstes domestiziert wurde wahrscheinlich der Wolf, aus dem sich schließlich der heutige Hund entwickelte. Singvögel wurden deutlich später Teil der menschlichen Haushalte. Es gibt Vermutungen, dass in Brasilien Papageien bereits vor 5 000 Jahren als Haustiere gehalten wurden. Spätestens im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung wurden im Zuge der Feldzüge Alexanders des Großen in Europa die ersten Papageien aus Asien eingeführt, und im Römischen Reich wurden sie oft als Ziertiere gehalten.

Als Folge der durch den Kolonialismus angetriebenen ersten Globalisierung kamen ab dem 15. Jahrhundert nach und nach wieder mehr Papageien nach Europa, blieben jedoch bis in die Neuzeit hinein ein Luxusgut und ein Statussymbol der Reichen und Mächtigen. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Alleine in den USA gibt es heutzutage Schätzungen zufolge mehr als 20 Millionen Papageien in Haushalten.

Ähnlich wie Wölfe leben auch Pa­pageienvögel in freier Wildbahn meist in größeren Gruppen, in Gefangenschaft werden sie jedoch in der Regel einzeln gehalten. Für sie sollen die Menschen, mit denen sie unter einem Dach leben, ihr Rudel beziehungsweise ihre Kolonie sein. Dass Menschen ihre Artgenoss:in­nen jedoch eins zu eins ersetzen können, ist mehr als unwahrscheinlich. Oft entwickeln allein gehaltene Papageien aufgrund der Isolation und Langeweile psychische Pro­bleme und Verhaltensauffälligkeiten. Insbesondere intelligente Vögel, haben Forscher herausgefunden, fangen dann beispielsweise an, sich Federn aus­zureißen oder ihre Käfige zu zerkauen.

Aus diesem Grund haben vier Wissenschaftlerinnen an der University of Glasgow sowie dem Massachusetts In­stitute of Technology und der Northeastern University in Boston ein Experiment unternommen. Im Rahmen der »Conference on Human Factors in Computing Systems« (CHI) im April in Hamburg präsentierten sie die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel »Birds of a Feather Video-Flock Together«.

Bei den Chats war zu beobachten, dass die Papageien einander nachahmten, gemeinsam Bewegungen ausführten oder sich gleichzeitig putzten.

Hinter diesem etwas holprigen Wortspiel versteckt sich ein bemerkenswertes Forschungsprojekt: 15 Papageien verschiedener Arten wurde beigebracht, mit Hilfe eines Smartphones oder eines Tablets Videoanrufe bei ­anderen Papageienvögeln verschiedener Arten durchzuführen. Wenn sie eine Glocke läuteten, kam der Mensch, bei dem sie leben, mit dem entsprechenden Gerät und ließ sie auf dem Bildschirm auswählen, wen sie an­rufen wollen. Während der maximal fünf Minuten dauernden Anrufe selbst konnten sie frei mit den Vögeln am anderen Ende der Leitung interagieren. Verloren sie das Interesse oder zeigten sie Abwehrverhalten, wurde der Anruf abgebrochen.

Das Experiment lief über rund drei Monate. Insgesamt initiierten die ­Vögel im Laufe des Versuchszeitraums 147 Anrufe. Ihre Halter:innen machten ­detaillierte Notizen und nahmen über 1.000 Stunden Videomaterial auf, das von den Forscherinnen analysiert wurde.

Mehr als drei Viertel der Vögel zeigten eindeutige Reaktionen, wenn der jeweils andere Vogel den Bildschirm betrat, was als klares Zeichen dafür gewertet werden kann, dass sie ihr Gegenüber tatsächlich wahrnahmen. Dafür spricht auch, dass bei knapp 60 Prozent der Anrufe beide Vögel für die vollen fünf Minuten miteinander interagierten. Ferner zeigen die Daten, dass ­Vögel, je öfter sie angerufen wurden, umso öfter selbst Anrufe initiierten, und je öfter sie Anrufe tätigten, desto aktiver interagierten sie.

Viele der Vogelhalter berichteten, dass ihre Tiere im Versuchszeitraum ausgeglichener und selbstbewusster gewirkt hätten. Bei den Gesprächen war zu ­beobachten, dass die Papageien einander nachahmten, ­gemeinsam Bewegungen ausführten oder sich gleichzeitig putzten. Sie kommunizierten mit­einander und einige Halter berichteten sogar, dass ihr Vogel offenbar neue Geräusche und Verhaltensweisen von seinem Gegenüber gelernt habe.

Das Fazit der vier Wissenschaftlerinnen ist daher positiv. »Ich war ziemlich überrascht von der Bandbreite des ­gezeigten Verhaltens«, erzählte Ilyena Hirskyj-Douglas von der University of Glasgow dem Guardian. »Einige Vögel sangen, andere spielten oder zeigten ihrem Gegenüber ihre Spielzeuge.«

Ihre Kollegin Jennifer Cunha von der Northeastern University verwies auf das durchweg positive Feedback der Menschen, die sich mit ihren Papa­geien an der Studie beteiligt hatten und die ein solches »Facetime für Vögel« gerne weiterhin nutzen würden.

Genau hier jedoch liegt das Problem der Studie. Zwar untersucht sie tatsächlich die Interaktion von Vögeln untereinander. Sie sind dabei jedoch nie alleine. Ihre Halter:innen sind stets anwesend und somit Teil der Versuchsumgebung. In Ausschnitten der untersuchten Videos ist deutlich zu hören, wie sie mit ihren Vögeln sprechen, etwa wenn diese die jeweilige Glocke betätigen, und auch wie sie sie dazu animieren, einen der Vögel auf dem Bildschirm auszuwählen. Anders wäre es technisch wahrscheinlich auch gar nicht möglich gewesen, und doch werden so der Ablauf und die Ergebnisse des Experiments nicht unwesentlich beeinflusst.

Streng genommen untersucht die Studie also nicht die Interaktion von Tieren und Computern, sondern die von Tieren, Menschen und Computern. Nicht umsonst wurde sie im Rahmen einer Konferenz präsentiert, deren ­Fokus auf dem »menschlichen Faktor« im Umgang mit Computern liegt. Nichtsdestoweniger steht sie im Kontext eines wachsenden Forschungsfelds, das die vielfältigen Möglichkeiten der Interaktion zwischen Tieren und Computern untersucht.

Bereits 2016 fand im englischen Milton Keynes, einer Planstadt aus den sechziger Jahren, die erste eigenständige Konferenz zum Thema »Animal-Computer Interaction« (ACI) statt. Den Anstoß hierzu hatte ein Treffen von an dem Thema Interessierten bei der CHI-Konferenz 2012 in Austin, Texas, gegeben. Dass sich die Forschungsfelder ACI und HCI (Human-Computer ­Interaction) überschneiden, ist also durchaus naheliegend.

Schon damals präsentierten brasi­lianische und US-amerikanische Forscher:innen eine Studie mit dem Titel »A Dog Using Skype«, die untersuchte, inwiefern Videoanrufe sich zur Interaktion zwischen Hund und Halter:in eignen. In einem bereits 2012 durchgeführten Versuch konnten sie zeigen, dass Hunde in der Lage sind, Befehle, die ihnen via Skype und in komprimierter Tonqualität gegeben werden, zu verstehen.

Ihr Augenmerk lag dabei auf den Vorteilen, die eine solche Form der Interaktion für die jeweiligen Menschen hat. Sie sahen jedoch auch das Potential, auf diese Weise den Tieren einen Weg aus der alltäglichen Einsamkeit zu weisen. In einer Welt, in der die meisten Menschen der Lohnarbeit außerhalb der eigenen vier Wände nachgehen, sind Haustiere häufig einen großen Teil des Tages alleine. Gerade für Hunde oder Papageien, die von Natur aus überaus sozial sind, kann das eine nicht unerhebliche Belastung darstellen. Artgerecht im Wortsinne ist es jedenfalls sicher nicht.

Doch da Tiere nun einmal mit Menschen zusammenleben, wofür es durchaus gute Gründe gibt, sollte ihr Leben so angenehm wie möglich gestaltet werden. Computer können dazu nützlich sein und digitale Kommuni­kation zwischen Tieren und Tieren oder zwischen Tieren und Menschen stellt hierbei nur einen Teilbereich dar.

Auf der letztjährigen ACI-Konferenz im englischen Newcastle wurde unter anderem eine vorbereitende Studie zur computergestützten Interpretation des Schwanzwedelns von Hunden vorgestellt. Eine andere befasste sich mit Gesichtserkennung für Wildtiere. Es ist durchaus denkbar, dass in absehbarer Zukunft mit Hilfe künstlicher Intelligenz Tiere besser verstanden werden können, was es ermöglichen würde, ihre individuellen Bedürfnisse stärker zu berücksichtigen. Ob das dann auch geschieht, ist selbstverständlich eine ­andere Frage, bei deren Beantwortung auch kein Computer helfen kann.