Ratloser Wahlkampf-Antifaschismus
Der Antifaschismus eint fast alle Strömungen der deutschen Linken – auch wenn man darunter durchaus Verschiedenes versteht. Er ist eine der wenigen Grundüberzeugungen, die für die traditionelle Linke der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und des Parteikommunismus genauso wichtig war wie für die seit den sechziger Jahren entstandene Neue Linke sowie die sogenannten neuen sozialen Bewegungen und ihre Nachfolger.
Über Jahrzehnte mobilisierte und politisierte der Antifaschismus Generationen jugendlicher Linker. Im Kampf gegen Neonazis wurde und wird in linksliberalen und sozialdemokratischen Kreisen linksradikale Militanz, die Angriffe auf Personen einschließt, noch am ehesten akzeptiert. Der Gestus des Rebellischen, der vor allem dem autonomen Antifaschismus innewohnt, strahlt weit in die Popkultur, wie sich zuletzt markant an Danger Dans Hit über die »Kunstfreiheit« zeigte.
Vor diesem Hintergrund stellt der Aufstieg der AfD die größte Herausforderung für Linke unterschiedlichster Couleur seit dem Ende der DDR dar. Bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg droht das erste Mal seit 1945 eine rechtsextreme Partei als stärkste Kraft in deutsche Landesparlamente einzuziehen. Die Frage, wie dies noch verhindert werden könnte, bestimmte in den vergangenen Monaten die Diskussion in unterschiedlichsten linken Organisationen, Projekten und Zusammenhängen.
Vor allem bislang unorganisierte basisorientierte Linke treten derzeit auf der Suche nach einem Umfeld, in dem sie politisch wirksam werden können, der Linkspartei bei.
In der Öffentlichkeit und in den Medien erhielt indes vor allem das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Aufmerksamkeit. Bis in die CDU hinein wurden Hoffnungen laut, dass die neue Partei der AfD Wähler:innen abspenstig machen und eventuell gar verhindern könne, dass die AfD als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorgeht. Nach der Parteigründung des BSW im Januar kamen politikwissenschaftliche Analysen, unter anderem von der Friedrich-Ebert-Stiftung, zu dem Ergebnis, dass, wie die SPD-Zeitung Vorwärts schrieb, das »BSW in erster Linie eine Konkurrenz für die AfD darstellen sollte«. Dass diese Vorstellungen wenig realistisch waren, zeigte sich jedoch bereits bei den Europawahlen. Statt den Wahlerfolg der AfD zu minimieren, gewann das BSW vor allem die Stimmen vormaliger Wähler:innen von SPD und Linkspartei.
Bei der Spaltung der Linkspartei war zwar nur ein kleiner Teil des Funktionärsapparats und der Mandatsträger:innen zum BSW gewechselt. Folgt man den aktuellen Umfragen, wird dasselbe jedoch zumindest in den ostdeutschen Bundesländern der größte Teil der bisherigen Wähler:innen der Linkspartei tun. Offensichtlich ist sowohl in Wissenschaft und Medien, aber auch in der Linkspartei selbst unterschätzt worden, wie groß die Offenheit für nationalistisch-etatistische Positionen in dieser Wählergruppe ist. Vor allem jüngeren Funktionär:innen, die nach der Vereinigung von PDS und WASG zur Linkspartei im Jahr 2004 politisiert worden sind, scheint das Ausmaß der inhaltlichen und kulturellen Unterschiede zwischen vielen der Funktionär:innen der Partei und ihren Wähler:innen oftmals nicht bewusst gewesen zu sein.
Linkspartei verliert dramatisch an politischer Relevanz
Die näher rückenden Wahltermine in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, bei denen die Linkspartei nach dem Verlust ihres Fraktionsstatus im Bundestag im vergangenen Jahr erneut dramatisch an politischer Relevanz einzubüßen droht, waren es mutmaßlich, die Mitte August Janine Wissler und Martin Schirdewan zum Rücktritt von ihren Ämtern als Parteivorsitzende bewegten. In ihrer Rücktrittserklärung betonten die beiden jedoch, dass die Linkspartei eine Zukunft habe, und verwiesen auf 8.000 Neueintritte, die es seit seit der Abspaltung des BSW gegeben habe.
Hört man sich in den Großstädten Ostdeutschlands um, bestätigt sich in der Tat, dass derzeit in bemerkenswerter Zahl zuvor nicht parteipolitisch Aktive der Linkspartei beitreten. Sie motiviert häufig der Wunsch, etwas gegen einen drohenden Wahlerfolg der AfD zu tun. Zu einem nicht geringen Anteil nehmen diese Neumitglieder am Haustürwahlkampf teil, mit Kandidat:innen wie dem Leipziger Nam Duy Nguyen, dessen Wahlkampfteam mit dem Versprechen wirbt, Zehntausende Wähler zu besuchen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. So sollen ehemalige Linkspartei-Wähler:innen reaktiviert und neue Wähler gewonnen werden.
Neue Klassenpolitik
Sie beziehen sich dabei auf Vorschläge der sogenannten Neuen Klassenpolitik, die eine Refokussierung der Linken auf die Vertretung der Interessen von Arbeiter:innen und Armen einfordert. Inspiriert von US-amerikanischen Organizing-Konzepten und den Wahlerfolgen der Kommunistischen Partei Österreichs in Salzburg und Graz hofft man darauf, Unzufriedenheit und Frust über niedrige Löhne und hohe Mieten aufgreifen zu können und so das Wähler:innenpotential der AfD zu beschränken.
Vor allem bisher unorganisierte und basisorientierte Linke treten derzeit auf der Suche nach einem Umfeld, in dem sie politisch wirksam werden können, der Linkspartei bei. Politische Gruppen und Organisationen der außerparlamentarischen Linken greifen hingegen zu ihren gewohnten Instrumenten und Kampagnen. Eine der wichtigsten dürfte die Kampagne für ein AfD-Verbot sein, die von einem Bündnis aus Organisationen wie dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, dem Paritätischen Wohlfahrtverband und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie Einzelpersonen wie dem Leiter der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, getragen wird.
Kampagnen für AfD-Verbot und »Björn Höcke ist ein Nazi«
Die Kampagne schließt an Diskussionen in zivilgesellschaftlichen und linken Kreisen an, in denen die Vorstellung entwickelt wurde, dass bereits eine öffentliche Debatte über ein AfD-Verbot die Partei delegitimiere. Die Niederlage, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit dem Versuch, das Magazin Compact zu verbieten, erlitten hat, stellt diese Einschätzung zumindest in Frage: Zwar steht die endgültige gerichtliche Entscheidung noch aus, doch hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Eilverfahren Teile des Verbots vorerst außer Kraft gesetzt, so dass das Magazin weiter erscheinen kann und sich die Herausgeber als Sieger präsentieren und auf ein eventuell in einigen Jahren drohendes Verbot vorbereiten können.
Ebenfalls das Ziel der Delegitimierung der AfD verfolgen die Kampagnen »Björn Höcke ist ein Nazi« des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus und die Kampagne »Wählen ja. #AfDnee.« des Vereins für demokratische Bildung und Kultur – Demokult aus Frankfurt am Main. Die Kampagne »Wir bleiben stabil« wiederum versucht, Kommunalpolitiker:innen und Betreiber von Veranstaltungsorten zu überzeugen, die sogenannte Brandmauer zur AfD aufrechtzuerhalten und keine Kooperationen mit den Rechtsextremen einzugehen oder zuzulassen. Daneben gibt es diverse regionale Kampagnen, die lokale Personen oder Organisationen dazu bewegen sollen, öffentlich gegen die AfD Stellung zu beziehen.
Ein weiterer Tätigkeitsbereich vorwiegend von Gruppen in Städten mit großer linker Szene wie Berlin oder Leipzig ist die Unterstützung linker Gruppen in der ostdeutschen Provinz. Diese sollen insbesondere materiell unterstützt, aber auch durch Teilnahme an ihren Veranstaltungen ermutigt werden, weiter unter schwierigen Bedingungen aktiv zu bleiben. Zu den anstehenden Wahltagen soll es zudem Konzerte und Kundgebungen geben, so organisiert das Jugendprojekt »Kein Bock auf Nazis« am 21. September in Potsdam ein Großkonzert mit Bands wie ZSK, Madsen und den Sportfreunden Stiller.
Militanter Antifaschismus auf der Straße
Am Konzept eines militanten Antifaschismus auf der Straße festhaltende Gruppen und Projekte wie die Rote Flora in Hamburg propagieren ein militantes Vorgehen gegen die AfD, obwohl sich sowohl die Partei als auch ihre Wähler davon in den letzten Jahren weitgehend unbeeindruckt zeigten. Tatsächlich erfolgreiche eher militante Aktionen wie jüngst die Verhinderung eines Auftritts von Björn Höcke durch eine mutige Straßenblockade in Jena gingen wiederum von einem unter anderen von den Jenaer Jusos getragenen Bündnis aus.
All die unterschiedlichen Formen linker Antworten auf die Herausforderung durch die drohenden AfD-Wahlerfolge bieten damit kaum etwas anderes als mehr vom Immergleichen. Eine Auseinandersetzung mit dem Scheitern linker Politik, sowohl im parlamentarischen als auch außerparlamentarischen Bereich, das sich nicht nur im Aufstieg der AfD ausdrückt, findet in diesem Zusammenhang nicht statt.
Es gibt kaum Diskussionen über die fundamentale und weit über Deutschland hinausreichende Krise bürgerlich-demokratischer Vergesellschaftung, die sich im Aufstieg rechter autoritärer Parteien ausdrückt.
Der parlamentarischen Linken ist es in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen, in Form von Mitte-links-Koalitionen tiefgreifende Reformprojekte anzustoßen. Die radikale Linke hat es nicht geschafft, soziale Bewegungen aufzubauen, die reale Gegenmacht entfalten. Grundsätzliche Einsprüche gegen bürgerliche Herrschaft werden wirksam nur noch von rechts formuliert.
Auch gibt es kaum Diskussionen über die fundamentale und weit über Deutschland hinausreichende Krise bürgerlich-demokratischer Vergesellschaftung, die sich im Aufstieg rechter autoritärer Parteien ausdrückt. Stattdessen wird der Kampf gegen die AfD auf den Wahlakt konzentriert und unter Rückgriff auf die Chiffre 1933 Angst vor einer faschistischen Machtübernahme geschürt. Unter diesen Bedingungen ist zu befürchten, dass dieser hilflose Parlamentarismus außerparlamentarischer Linker einfach eine weitere Etappe im Zerfall linker Milieus in der Bundesrepublik Deutschland markiert.