In Berlin wird eine fast 50 Jahre alte feministische Tradition wiederbelebt: der Frauenbuchladen

Mehr als nur Bücher

Mit der Eröffnung eines Frauenbuchladens wurde in Berlin eine fast 50 Jahre alte feministische Tradition wiederbelebt. Für Betreiberinnen und Kundinnen waren die Läden immer schon viel mehr als nur Buchhandlungen.

Sie hießen »Xanthippe«, »Lilith«, »Miranda« oder »Lillemor’s« – in den siebziger und achtziger Jahren entstanden in vielen westdeutschen Großstädten Frauenbuchläden. In 40 Städten habe es über die Jahre rund 50 von ihnen gegeben, teilt die Publizistin Doris Hermanns der Jungle World mit.

In Kürze erscheint ihr Buch »Sand im Getriebe des Patriarchats. Frauen – Buch – Bewegung« im Aviva-Verlag, in dem sie die Geschichte und Bedeutung der Frauenbuchläden analysiert. »Das war eine richtige Euphoriewelle damals«, sagt sie. »Deutschland hat im internationalen Vergleich eine ganz außergewöhnliche Indie-Szene bei Verlagen und Buchhandlungen.«

Literatur von Frauen und über sie, Emanzipatorisches und Feministisches, Ratgeber, aber auch Liebesromane oder Krimis mit lesbischen Protagonistinnen seien damals auf den Markt gekommen und sofort stark nachgefragt worden. Dem männlich geprägten Literaturbetrieb entgegenzuwirken, das sei die eigentliche Motivation der Ladengründerinnen gewesen.

»Mit Buchläden kann man doch nicht reich werden«, sagt die Publizistin Doris Hermanns, deren Buch »Sand im Getriebe des Patriarchats. Frauen – Buch – Bewegung« demnächst erscheint. 

Um persönlichen Profit und betriebswirtschaftlichen Erfolg sei es den meisten nicht gegangen. Nur wenige konnten mit den Läden ihren Lebensunterhalt sichern. »Mit Buchläden kann man doch nicht reich werden«, sagt Hermanns, die selbst in Antiquariaten tätig war und in der Rezensionszeitschrift Virginia veröffentlicht. Ein Ladenkollektiv mit 16 Frauen musste schnell lernen, dass der Versuch, alle zu ernähren, zum Scheitern verurteilt war.

Die Frauenbuchläden waren nie einfach nur Läden. Sie dienten außerdem als soziokultureller Treffpunkt und als Anlaufstelle für Frauen, die Gewalt erlebten und Hilfe brauchten. »Damals sind Frauennotrufe und Frauenhäuser entstanden, es gab diese professionellen Strukturen ja noch gar nicht. Die Frauen haben einfach viel selbst gemacht und sich gegenseitig geholfen«, erinnert sich Hermanns. Eine Feministin auf Reisen habe immer zuerst den Frauenbuchladen der jeweiligen Stadt besucht, um Kontakte zu knüpfen oder nach Übernachtungsmöglichkeiten zu fragen.

1975 erster Frauenbuchladen in Deutschland

Die weltweit ersten Frauenbuchläden wurden 1970 in den USA gegründet. In Europa öffnete der erste Frauenbuchladen 1974 in Paris seine Türen, die »Li­brairie des femmes«. Zur Hochzeit der Frauenbuchläden gab es in der Bundesrepublik gut dreißig davon gleichzeitig, den Anfang machte »Lillemor’s« in München 1975. Zwei der Gründerinnen hatten zuvor die »Librairie des femmes« in Paris kennengelernt und wollten daraufhin auch in München einen Laden eröffnen, der ausschließlich von und für Frauen ausgelegt war. In Berlin existierten einmal vier Frauenbuchläden gleichzeitig. Nach 1990 entstanden auch in Ostdeutschland zwei Frauenbuchläden, die »Pusteblume« in Dresden und das »Tian« in Leipzig.

»Ich verkaufe nichts, in dem europäische Frauen über Frauen aus anderen Kontinenten schreiben.« Monica Tschanz, Frauen-Lesben-Buchhandlung

Irgendwann sprangen die großen Buchhändler auf den Zug auf und stellten »Frauenregale« auf, deren Inhalt dem emanzipatorischen Anspruch vieler Feministinnen aber selten gerecht wurden. Der Rowohlt-Verlag brachte die Reihe »Rororo Neue Frau« auf den Markt und machte zum Beispiel die spätere Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison in Deutschland bekannt.

Diese Hochzeit ist allerdings lange her. Ursula Neubauer und Andrea Gollbach, die Deutschlands ersten Frauenbuchladen betrieben, haben das »Lillemor’s« 2022 nach knapp 50 Jahren aus Altersgründen dichtgemacht. Ihr umfangreiches Archiv haben sie an das Münchner Literaturarchiv Monacensia übergeben. Kleine, unabhängige Buchhandlungen halten sich oft gerade so über Wasser; in vielen Fußgängerzonen sind nur noch Filialen der großen Buchhandelsketten zu finden.

Der Bedarf ist da

»Ich war mir sicher, dass Bedarf dafür da ist«, sagt Monica Tschanz der Jungle World. Deshalb hat sie im selben Gebäude wie das Frauenkulturzentrum Begine die »Frauen-Lesben-Buchhandlung Berlin« in Schöneberg eröffnet. Auf rund 20 Quadratmetern bietet sie dort seit Anfang August Bücher von Frauen und über sie an, hauptsächlich Neuerscheinungen. Und es zeigt sich: Der Bedarf ist wirklich da. »Weil andere Buchhandlungen immer nur einen Teil im Angebot haben«, so Tschanz, wolle sie einen Überblick über das aktuelle Angebot an Frauenliteratur, feministischen und Lesbenbüchern anbieten. Aber auch Tschanz musste sich aus Platzgründen beschränken. »Aber man kann natürlich alles hier bestellen.«

Auch ein Regal mit Büchern zum Thema Antisemitismus hat Monica Tschanz eingerichtet. Die vielen neuen Bücher, die nach dem 7. Oktober erschienen sind, habe sie nicht einfach in der Kategorie Politik einordnen wollen.

Tschanz ist eigentlich Bildungsreferentin und Reiseleiterin, sie steht kurz vor dem Ruhestand. Vom finanziellen Erfolg des Buchladens ist sie weniger abhängig. Und weil das Haus, in dem sich der Laden befindet, einem Verein gehört, sei die Ladenmiete erschwinglich. »Sonst hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht«, so Tschanz.

Ihr ist besonders wichtig, dass in der von ihr verkauften Literatur Frauen für sich selbst sprechen. »Ich verkaufe nichts, in dem europäische Frauen über Frauen aus anderen Kontinenten schreiben«, sagt sie. Besonders das Angebot zur Lesbenliteratur komme gut an beim Publikum, aber auch Werke, die sich aus weiblicher Perspektive mit Literaturwissenschaft befassen. »Alles ist gefragt«, sagt sie stolz. Auch ein Regal mit Büchern zum Thema Antisemitismus hat sie eingerichtet. Das Thema sei ihr persönlich sehr wichtig. Die vielen neuen Bücher, die nach dem 7. Oktober erschienen sind, habe sie nicht einfach in der Kategorie Politik einordnen wollen.

Auch ein Regal mit Büchern zum Thema Antisemitismus hat Monica Tschanz eingerichtet

Auch ein Regal mit Büchern zum Thema Antisemitismus hat Monica Tschanz eingerichtet

Bild:
Silvia Stieneker

Der Boom der Frauenbuchläden ist längst Geschichte. Tschanz will es trotzdem einfach probieren. Sie hofft, durch versierte Beratung und den Genuss von »Büchern zum Anfassen« Kundschaft zu finden. In der Begine nebenan plant sie Buchvorstellungen und Lesungen. Los geht es am 19. September mit Joey Juschka, einer jungen lesbischen Autorin, die »Berliner Szenen« geschrieben hat, in denen der Ankündigung zufolge »die ganze queere Verschrobenheit der Stadt« zur Sprache kommt.