»Die Brutalität der Taten ist enorm«
Was machen Sie, um über Femizide aufzuklären?
Wir zählen sie. Wenn wir von einem Femizid in Deutschland erfahren, recherchieren wir und veröffentlichen meistens auf Basis von Meldungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen kurzen Bericht. Gerade umfasst unsere Liste für das Jahr 2024 64 Femizide.
»Ursachenforschung ist wichtig, aber patriarchale Gewalt ist sowohl unter deutschen als auch unter nichtdeutschen Männern ein Problem.«
Was ist für Sie ein Femizid?
Ein Femizid ist für uns ein Mord an einer Frau, bei dem sie wegen ihrer sozialen Rolle als Frau getötet wurde. Wenn zum Beispiel eine Frau durch ihren Ex-Partner oder Partner ermordet wird, geschieht dies unserer Meinung nach aufgrund der patriarchalen Besitzansprüche. Diese Taten stellen die Mehrheit dar. Es gibt aber auch Mütter, die von ihren Söhnen getötet werden, oder Tötungen mit sexueller Motivation. Das sind für uns ebenfalls Femizide. Die Diskussion, was ein Femizid ist, ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Ist Ihnen in der Auseinandersetzung mit diesen Taten etwas Besonderes aufgefallen?
Die Brutalität der Taten ist teilweise enorm. Das war uns vorher nicht bewusst. Eine Frau wird oft nicht mit zwei oder drei Stichen, sondern gleich mit 30 Stichen getötet. Man spricht auch von »Übertötung«.
In der BKA-Statistik für das Jahr 2023 sind nichtdeutsche Staatsangehörige bei häuslicher Gewalt im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung deutlich überrepräsentiert. Wie gehen Sie damit um?
Schwierige Frage. Ursachenforschung ist wichtig, aber patriarchale Gewalt ist sowohl unter deutschen als auch unter nichtdeutschen Männern ein Problem.
Sie sprechen von einer sogenannten Gewaltpyramide. An der Basis der Pyramide beginnt es mit einem Witz über Frauen und steigt – zum Beispiel über physische Übergriffigkeit – bis zu Mord auf. Ist das nicht etwas zugespitzt?
Witze beeinflussen das Frauenbild und führen dazu, dass es bei manchen Taten eine geringere Hemmschwelle gibt oder sie weniger stark verurteilt werden. Allein dass Frauen ihr Verhalten im Alltag aufgrund von belästigenden Sprüchen oder Witzen anpassen, ist für mich eine derartige Freiheitseinschränkung, dass das thematisiert und bekämpft werden muss.
»Allein dass Frauen ihr Verhalten im Alltag aufgrund von belästigenden Sprüchen oder Witzen anpassen, ist für mich eine derartige Freiheitseinschränkung, dass das thematisiert und bekämpft werden muss.«
Sie verlinken auf Ihrer Website auch eine Broschüre der Bewegungsstiftung. Darin heißt es, zur Prävention von Femiziden solle man Selbstverteidigung lernen, kollektive Selbstfürsorge betreiben und eigene Netzwerke stärken. Ist es nicht schon zu spät, wenn diese Dinge nötig sind?
Das ist wie mit den Frauenhäusern. Wenn die nötig sind, ist es auch schon zu spät. Eigentlich sollten sich Frauen gar nicht schützen müssen und Männer sollten nicht zu Tätern werden.
Was sind Ihre politischen Forderungen?
Es braucht mehr Geld für Frauenhäuser, gleiche Bezahlung für Frauen und ausreichend Wohnraum. Dann könnten Frauen gehen, wenn sie wollen. Oder müssen. Außerdem sollten Gerichte Femizide nicht milder bestrafen als vergleichbare, nicht geschlechtsspezifische Taten. Noch 2019 legte der Bundesgerichtshof den Verlust des gefühlten Besitzanspruchs auf eine Frau strafmildernd aus – als ein Umstand, der gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes spricht und damit gegen den Tatbestand Mord. 2023 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, nach der neben zum Beispiel rassistischen auch explizit »geschlechtsspezifische« Motive bei der Strafzumessung berücksichtigt werden sollen. Das begrüßen wir. Eine letzte Forderung bestünde darin, dass die Polizei für geschlechtsspezifische Gewalt sensibilisiert wird, sie rechtzeitig erkennt und ernst nimmt.
Instagram-Seite »Femizide stoppen«