26.09.2024
Ismael Moreno Soto, Menschenrechtler, im Gespräch über Korruption der honduranischen Regierung

»Ein immenser Verlust an Glaubwürdigkeit«

In Honduras wird ein Video heiß diskutiert, das zeigt, wie der damalige Kongressabgeordnete Carlos Zelaya, der Schwager der heutigen Präsidentin Xiomara Castro, vor elf Jahren mit Drogenbossen über eine Wahlkampffinanzierung verhandelt. Die Veröffentlichung fällt zusammen mit Castros einseitiger Kündigung eines Auslieferungsabkommens mit den USA zur Bekämpfung von Drogenhandel und Korruption. Die »Jungle World« sprach mit dem bekannten honduranischen Jesuiten und Menschenrechtler Padre Melo über die Korruption im Land.

Die Redaktion der investigativjournalistischen US-Organisation Insight Crime, die auf das organisierte Verbrechen in Lateinamerika spezialisiert ist, hat am 3. September ein Video veröffentlicht, das Carlos Ze­laya bei einem Treffen mit Kartellbossen im Jahr 2013 zeigt; Zelaya ist Schwager der Präsidentin ­Xiomara Castro. Wie reagierte sie darauf?
Unangemessen. Sie hat wenige Tage vor der Veröffentlichung des Videos einseitig das Auslieferungsabkommen mit den USA gekündigt. Dieses Abkommen ist bisher das effektivste Instrument, um gegen die organisierten Drogenschmuggler vorzugehen, die das Land und eben auch die Politik unterwandern. Die Justiz in Honduras ist ausgesprochen schwach und Reformen kommen kaum voran.

Dabei wusste Castro von der anstehenden Veröffentlichung, da Insight Crime sie wenige Tage vorher nach einer Stellungnahme gefragt hatte. Das lange bestehende Auslieferungsabkommen hatte unter anderem die Übergabe des früheren honduranischen Präsidenten Juan Orlando Hernández, Castros Amtsvorgänger, an die US-Justiz ermöglicht, die ihn dann im März wegen Drogenschmuggel, illegalen Waffenbesitzes und Verschwörung zu 45 Jahren Haft verurteilte. Welche Rolle spielt das Video bei der Aufkündigung des Abkommens?
Es ist der schockierende Beweis, dass die »Narcos« schon lange im politischen System angekommen sind und dass eben auch Libertad y Refundación ­(Li­bre), die Partei der Präsidentin und von Carlos Zelaya, bereits 2013 Kontakt zur organisierten Kriminalität, zu Drogenbossen, hatte und eventuell auch noch hat. Zelaya ist nicht irgendeine Person, er ist der Schwager der Präsidentin, Bruder ihres Ehemanns, des ehemaligen Präsidenten Manuel Zelaya, und war Kongressabgeordneter, bis er Anfang September zurücktrat. Obendrein ist er der Vater des ebenfalls kürzlich zurückgetretenen Verteidigungsministers José Manuel Zelaya.

Obwohl Carlos Zelaya gestanden hat, Mitglieder des Drogenkartells Los Cachiros getroffen zu haben, und dafür die Verantwortung übernimmt, sehen viele darin einen Beweis für die weitverbreitete Korruption bei Libre. Zudem ist Castros Gatte Manuel Zelaya auch ihr Berater und omnipräsent in Honduras. Hat die Familie Zelaya politische Schlüsselpositionen besetzt?
Ja, ich warne schon länger davor, dass da eine Familie die politischen Strukturen dominiert und versucht, eine Dynastie aufzubauen – das ist mit den demokratischen Strukturen nicht vereinbar, die die Präsidentin zumindest ihren Ankündigungen nach stärken will.

Das im Wahlkampf 2021 versprochene Abkommen mit den Vereinten Nationen zum Aufbau einer UN-Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit (CICIH) ist auch zweieinhalb Jahre nach der Vereidigung Castros am 27. Januar 2022 nicht in Sicht. Woran liegt das?
An unterschiedlichen Faktoren: Einer ist die fehlende Kompetenz der Regierung, ein weiterer sind Widerstände innerhalb der Regierungspartei Libre. Es gibt durchaus Parteiflügel, die keine ­CICIH wollen, wahrscheinlich weil sie etwas zu verbergen haben. Hinzu kommt, dass die Regierung zwar nach eigenen Aussagen für das Gros der Bevölkerung eintreten will, aber in der Realität wenig Verbindungen zu sozialen Organisationen aufgebaut hat. Es gibt ein schädliches Schwarz-Weiß-Denken unter den Politikern: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, scheint die Devise. Das sorgt dafür, dass sich etliche Organisationen von Libre abgewandt haben, die anfangs große Hoffnungen in Castro setzten.

»Aus Sicht der USA droht Honduras zu einem weiteren Venezuela oder Nicaragua zu werden.«

Der Regierung fehlt ein konstruktiver Umgang mit der Zivilgesellschaft. Sie baut stark auf Propaganda, attackiert die politischen Gegner, gibt sich engstirnig. Das sorgt auch dafür, dass die Partei nur wenige Bündnispartner in der Gesellschaft hat – es fehlt an konkreten politischen Konzepten, die auch umgesetzt werden.
Das stärkt die Opposition. Sie nutzt die Angriffsflächen, die die Regierung Castro ihr bietet.

Könnte das Ende des Auslieferungsabkommens dafür sorgen, dass sich das ohnehin angespannte Verhältnis zu den USA weiter verschlechtert?
Ja, aber die Entscheidung der USA, mit Libre zu brechen, war bereits zuvor gefallen. Aus Sicht der USA droht Honduras zu einem weiteren Venezuela oder Nicaragua zu werden. Sie gehen auf Konfrontationskurs zu Castro und zu Libre. Dazu gehört, dass die USA bei der im November 2025 anstehenden honduranischen Präsidentschaftswahl die Opposition gegen Libre unterstützen wollen. Das lässt sich aus den Äußerungen der US-Botschaft ablesen. Die politische Krise in Honduras ist gravierend.

Was denken Sie, warum Xiomara Castro das Abkommen aufgekündigt hat?
Offiziell heißt es, weil sich die USA in innere Angelegenheiten einmischen würden. Die USA haben kritisiert, dass die honduranische Regierung den manipulierten Wahlsieg von Präsident Nicolás Maduro in Venezuela anerkannt hat. Sie unterstützt Maduro, ein Beleg dafür ist das Treffen von Verteidigungsminister José Manuel Zelaya mit seinem venezolanischen Amtskollegen Vladimir Padrino López. Aus Per­spektive der USA ist das indiskutabel und das wurde auch so mitgeteilt – daraufhin hat José Manuel Zelaya sein Amt niedergelegt.

»Die ›Narcos‹ sind in Honduras zu einem Machtfaktor geworden, an dem kaum jemand vorbeikommt.«

Allerdings gibt es auch Kritiker, die es Castro zutrauen, dass sie das Abschiebeabkommen mit den USA storniert hat, um ihre eigene Familie zu schützen. Auch gegen Manuel und Carlos Zelaya sowie weitere Funktionäre laufen in den USA Ermittlungsverfahren. Wenn die Präsidentin ihr Amt zum Schutz der Familie missbraucht hätte, wäre das dramatisch.

Wie wirkt sich das auf Castro aus?
Ihre Glaubwürdigkeit ist schwer beschädigt. Es stellt sich die Frage, ob sie einer Regierung vorsteht, die von der Drogenkriminalität unterwandert ist. Schädlich ist auch, dass die Präsidentin und ihr direktes familiäres Umfeld auf Kritiker losgehen und versuchen, sie zu diskreditieren, statt sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen. Das wäre nötig, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen – ihr konfrontativer Stil sorgt dafür, dass die Wahlprognosen für Libre nicht allzu rosig sind.

Welche Rolle spielen die Drogenbanden im Land?
Die »Narcos« sind in Honduras zu einem Machtfaktor geworden, an dem kaum jemand vorbeikommt. Ein Beispiel: Die Lokalregierung hier in El Progreso ist eng vernetzt mit den Drogenkartellen. Das ist kein Einzelfall und wird zu einem immer größeren Problem. Sie werden bei den Präsidentschaftswahlen hinter den Kulissen eine zentrale Rolle spielen.

Was sollte die Regierung Ihrer Ansicht nach tun?
Das Auslieferungsabkommen mit den USA wieder auflegen. Die Justiz in Honduras ist sehr schwach. Parallel dazu sollte endlich die CICIH eingerichtet werden, um die Korruptionsstrukturen in Honduras wirksam zu bekämpfen. Drittens rate ich zu einer Wahlreform, um die Präsidentschaftswahl transparent und fair abzuhalten, und als Letztes ist es nötig, dass Libre gegen kompromittierte Politiker:innen vorgeht.

Kürzlich hat der Generalstaatsanwalt Johel Zelaya, der nicht mit der Familie der Präsidentin verwandt ist, eine Liste vorgelegt mit 30 Namen von Politikern, gegen die Untersuchungen laufen. Könnte das ein Anfang sein?
Theoretisch ja, aber alles hängt davon ab, ob er politische Unterstützung erhält.

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Padre Melo, mit bürgerlichem Namen Ismael Moreno Soto, ist Jesuitenpater, Journalist und Menschenrechtler in Honduras

Ismael Moreno Soto

Bild:
Knut Henkel

Padre Melo mit bürgerlichem Namen Ismael Moreno Soto, ist Jesuitenpater, Journalist und Menschenrechtler in Honduras. Er ist seit Jahren Leiter des kritischen Radiosenders Radio Progreso in El Progreso, rund 30 Kilometer von der zweitgrößten Stadt des Landes, San Pedro Sula, entfernt, und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungs- und Kommunikationszentrums Equipo de Reflexión, Investigación y Comunicación (Eric).