17.10.2024
Auf einer Buchmesse

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Auf der Buchmesse

»Hast du auch keine Akkreditierung?« fragte Julia die neben ihr stehende Dominika, die ebenfalls keine goody bag in der Hand hielt. Während scheinbar alle anderen Teilnehmer des Urban Sketching Meeting in Świdnica, Polen, ihre von Sponsoren gespendeten, mit Zeichenmaterialien vollgestopften Taschen inspizierten, waren Julia, Dominika und ich leer ausgegangen. Wir waren zu spät gekommen, um uns noch akkreditieren zu lassen. Uns drei verband sofort, dass wir zwar bei der Bescherung dabei waren, aber keine Geschenke bekamen.

In den folgenden Tagen zeichneten wir viel gemeinsam und freundeten uns an. Dominikas Spezialität ist die Reportagezeichnung. Gern zeichnet sie unter erschwerten Bedingungen, im Halbdunkel und in Bewegung, wie zum Beispiel auf Konzerten. Sie zeichnet sogar in Höhlen und ist selber Höhlenforscherin. In Świdnica ermunterte sie mich dazu, an einem kleinen Wettbewerb teilzunehmen. Die Aufgabe war es, aus ­einem Karton Papierstreifen zu ziehen und darauf eine Reportage über das Festival anzufertigen. Mit jeweils zwei Streifen gingen wir dann auf eine Stadtführung. Während ich nur alle paar Minuten etwas festhielt, schien Dominika die gesamten Führung im Laufen in Wort und Miniaturbild zu dokumentieren. Ich war schwer beeindruckt.

Dominikas Spezialität ist die Reportagezeichnung. Gern zeichnet sie unter erschwerten Bedingungen, im Halbdunkel und in Bewegung, wie zum Beispiel auf Konzerten. Sie zeichnet sogar in Höhlen und ist selber Höhlenforscherin.

Am Freitagnachmittag voriger Woche kam Dominika aus Danzig dann über das Wochenende zu uns zu Besuch. Am Abend gingen wir zur Release-Party der Marseille-Ausgabe der Jungle World ins »About Blank«, am Samstagmittag zu einem Treffen der Berliner Urban Sketcher und am Abend auf die Eröffnung der Ausstellung »Bilderberg Konferenz X – A Decade of Comix Decadence« im Haus Schwarzenbeck.

Die umfangreiche Ausstellung zeigt Werke der vergangenen zehn Jahre des »Bilderberg Underground Comix Festivals« und der dazugehörigen Publikationen. Ich habe schon sehr viele Ausstellungen im Haus Schwarzenbeck gesehen und sogar mit anderen Jungle World-Zeichnern selbst dort ausgestellt. Die »Bilderberg«-Retrospektive ist jedoch die beste Präsentation, die ich jemals dort gesehen habe.

Am Sonntag gingen wir mit David und Raina, zwei ebenfalls mit uns befreundete Urban Sketcher, schon am Vormittag ins Haus der Kulturen der Welt. In einem Podiumsgespräch berichteten kanadische Kleinverlegerinnen und -verleger von der Szene in Montreal und Quebec und ihrer jährlichen Messe. Ich bin selbst ein leidenschaftlicher DIY-Veröffentlicher, aber irgendwie ging das, was auf der Bühne gesagt wurde, an mir vorbei. Es war zu viel Kunst und zu wenig Punk.

Zu viel Kunst und zu wenig Punk

Die Buchmesse »Miss Read« im Haus der Kulturen der Welt, die wir anschließend besuchten, präsentierte dann eine gigantische Auswahl an Kleinst­publikationen. Leider wieder überwiegend Kunst und fast kein Punk. Zumindest erstand ich zwei Singles und ein Fanzine von Marcel Bontempi an einem Stand einer netten holländischen Rock-’n’-Rollerin.

Außerdem fand ich ein kleines, klassisches Comic-Fanzine im A5-Format. »Maxi Crush« von Club de Bridge ist eine schwule Liebesgeschichte im heutigen Berlin, die in einem sehr klaren Stil erzählt wird. Auch von Club de Bridge erwarb ich für sechs Euro »Teufelssee«, einen kleinen graphisch hübsch gezeichneten Plan vom »schwulsten See in Berlin«. Ich gehöre nicht zur Zielgruppe, aber hier passt der Inhalt zum Stil. Außerdem war mir Kunst mit einem praktischen Zweck schon immer die liebste. Julia kaufte übrigens ein Street-Art-Buch mit 300 herausnehmbaren Stickern. Am Schluss zerstört sich das Buch sozusagen selbst. Praktischer geht es nicht.

Anschließend gingen wir alle zu uns nach Hause und machten selbst Kunst. Wir zeichneten gemeinsam im Rundlauf, wie beim Tischtennis. Ein Spiel, das wir uns in Świdnica ausgedacht haben. Alle zeichnen drei Minuten lang in ihr ­eigenes Skizzenbuch und geben es dann weiter. Dadurch entstehen sehr schöne, überraschende Gemeinschaftswerke.