17.10.2024
Rechtsextreme bedrohten die Kiewer Buchhandlung »Zbirka« wegen der Präsentation eines Buchs über LGBT-Personen

Lesung mit Polizei

Rechtsextreme bedrohten die Kiewer Buchhandlung »Zbirka«, weil dort ein Fotobuch über ukrainische LGBT-Personen vorgestellt werden sollte. Die Veranstaltung fand schließlich unter Polizeischutz statt.

Kiew. »Bürger jenes Landes, das ich vor dem Feind verteidigt habe, bedrohen mich und mein Geschäft in meinem Land. Sie rufen offen zur Gewalt auf«, schrieb Natalija Kuzmenko, eine ehemalige ukrainische Militärangehörige und Gründerin der Sachbuchhandlung »Zbirka« in Kiew, vergangene Woche auf Facebook. Ihre Buchhandlung erhielt Drohungen von rechtsextremen Gruppen, weil Kuzmenko geplant hatte, das Buch »Fragile as Glass« der deutschen Fotografin Sitara Thalia Ambrosio vorzustellen, in dem ukrainische LGBT-Personen und ihre Erfahrungen nach dem russischen Einmarsch im Jahr 2022 porträtiert werden.

»Es schmerzt mich sehr, dass ich, nachdem ich freiwillig gegen einen äußeren Feind gekämpft habe, nun gegen einen inneren Feind kämpfen muss. Und dieser Feind ist Unwissenheit, mangelnde Bildung und Manipulation der Öffentlichkeit«, fuhr Kuzmenko fort, die von Anfang 2022 bis Ende 2023 den ukrainischen Streitkräften angehört hatte. Darunter postete sie Screen­shots rechtsextremer Telegram-Kanäle voller LGBT-feindlicher Hetze und ­Gewaltaufrufe.

Die Drohungen trugen dazu bei, die Veranstaltung bekannt zu machen. Viele Besucher kamen, um ihre Unterstützung zu zeigen.

Kuzmenkos Facebook-Post verbreitete sich schnell und wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen. Dass derartige Veranstaltungen von Rechtsextremen bedroht werden, kam in den vergangenen Jahren immer wieder vor. Beispielsweise wurde die Pride Parade in Kiew 2015 von Rechtsextremen angegriffen und fand in den darauffolgenden Jahren unter teils schwerem Polizeischutz statt. Die Drohungen gegen »Zbirka« zeigen, dass Rechtsextreme auch mitten im Krieg nicht davon ablassen.

Yehor, der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, ist 22 Jahre alt und einer der Protagonisten des Buchs »Fragile as Glass«. Ein Foto von ihm mit seinem damaligen Partner ist auf dem Cover zu sehen. Er war nicht überrascht, dass die Buchhandlung Drohungen erhielt. »Das war zu erwarten«, schrieb er der Jungle World. »Heutzutage herrscht in der Gesellschaft eine solche Spannung, dass viele sofort überall einen ›Feind‹ ausfindig machen.« Doch sei es nicht in Ordnung, wenn manche meinten, sie hätten das Recht, anderen zu drohen und ihnen vorzuschreiben, wie sie zu leben hätten.

Kuzmenko bestand auf ihrem Recht auf Meinungsäußerung

Die Buchhandlung »Zbirka« war Anfang des Jahres mit dem Anspruch gegründet worden, hochwertige Literatur anzubieten und kritisches Denken zu befördern, schrieb Kuzmenko in ihrem Facebook-Post. Das war es, was sie sich vorstellte, als sie ihr Geschäft nach ihrer Entlassung aus dem Militärdienst eröffnete: »Ich wollte das Leben in vollen Zügen leben und der Buchladen sollte meine Therapie werden, und wurde schließlich etwas viel Größeres.«

Es sei beängstigend gewesen, als die Drohungen in die Öffentlichkeit gelangten, sagt Yehor. Aber als Homosexueller in der Ukraine »ist man sich dieses Risikos immer bewusst«, meint er. »Man lebt weiter und unternimmt kleine Schritte, indem man darüber spricht und versucht, einen zivilisierten Dialog zu führen – mit Menschen aus seinem Umfeld oder mit jedem, der für einen solchen Dialog offen ist.« Auch dazu diene das Buch »Fragile as Glass«.

Kuzmenko wehrte sich gegen die Bedrohungen und bestand auf ihrem Recht auf Meinungsäußerung. Sie ging mit ihrem Facebook-Post an die Öffentlichkeit und bat um Unterstützung. Außerdem meldete sie die Bedrohungen der Polizei und forderte den Schutz der Buchvorstellung.

Dutzende Polizeibeamte bewachten die Buchhandlung 

Die Veranstaltung am Freitag voriger Woche verlief schließlich ohne Zwischenfälle. Mehrere Dutzend Polizeibeamte bewachten die Buchhandlung und kontrollierten, ob die Besucher Waffen oder gefährliche Gegenstände bei sich führten. Die Drohungen hatten dazu beigetragen, die Veranstaltung bekannt zu machen. Viele Besucher:in­nen kamen, um ihre Unterstützung zu zeigen, so dass der kleine Raum der Buchhandlung überfüllt war.

»Wir hatten wieder das Gefühl, in einem demokratischen Land zu leben, wo der Staat seine Bürger schützt und diese das Recht haben, Bücher unterschiedlichen Zielgruppen vorzustellen«, sagt Kuzmenko der Jungle World. »Das war der Haupterfolg.«

Das Buch wurde von der Fotografin und zwei der im Buch Porträtierten, Edward Reese und Oleksandr Nowoschazkyj, präsentiert. Die aus Deutschland angereiste Fotografin Ambrosio erzählte, wie sie Yehor vor zweieinhalb Jahren im westukrainischen Lwiw kennengelernt habe, wohin dieser mit seinem damaligen Freund aus Kiew geflohen war.

Porträts von Menschen in einer prekären Lage

Sie hatte nicht geplant, eine Fotoreportage speziell über queere Personen zu machen, als sie nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine gereist war, das habe sich einfach ergeben. Nach Yehor habe sie noch weitere queere Ukrainer:innen getroffen und die Bedeutung des Themas erkannt. Ihr Buch enthält eine Reihe von Fotografien junger Ukrainer:innen und erzählt über ihr Leben. Es sind Porträts von Menschen in einer prekären Lage, die plötzlich in den Schrecken des Kriegs hineingeraten sind.

»Ich sehe in dem Buch keine ›Propaganda‹«, sagt Yehor im Hinblick auf die bei den Rechtsextremen übliche Phrase der »LGBT-Propaganda«. »Es sind persönliche Geschichten.« Er selbst war bei der Buchvorstellung nicht anwesend. Nicht weil er Angst gehabt habe, sondern weil er habe arbeiten müssen. Er ist erleichtert, dass nichts Schlimmes passiert ist. »Das war ein Schritt in die richtige Richtung«, sagt er.