17.10.2024
Russland lässt wenig Bereitschaft zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg erkennen

Putin lässt die Waffen sprechen

Der russische Präsident Wladimir Putin lässt wenig Bereitschaft zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg erkennen, seine Truppen befinden sich in der Offensive.

Mit Wladimir Putin sprechen – diese Idee taucht seit Beginn des Ukraine-Kriegs regelmäßig auf. Sahra Wagenknecht plädiert ununterbrochen dafür. Bei der Abschlusskundgebung der ­Demonstration mit dem programmatischen Titel »Nie wieder Krieg« am 3. Oktober in Berlin mokierte sich die BSW-Co-Vorsitzende, sie finde es »so was von nervig«, mit dem Argument konfrontiert zu werden, »dass man doch aus moralischen Gründen nicht mit Putin reden darf«.

Mit viel Kritik bedachte sie in ihrem Beitrag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Dabei hatte die Wochenzeitung Die Zeit nur wenige Tage zuvor berichtet, Scholz erwäge, im November nach zwei Jahren Funkstille ein Telefongespräch mit dem russischen Präsidenten zu initiieren.

Der russische Regierungssprecher Dmitrij Peskow reagierte prompt, bestätigte jedoch nur, dass es seither keinen direkten Gesprächskontakt mehr gegeben habe. Als Reaktion auf die Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Putin wolle gar nicht mit Scholz telefonieren, schrieb die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti gleich im Titel einer Meldung, das sei eine »verwegene Behauptung«.

Dabei gerät die zentrale Frage in den Hintergrund, was genau der Gegenstand eines direkten Gesprächs mit Putin sein sollte. Und ob die Anhänger einer schnellstmöglichen Friedenslösung mit einem anderen Vorschlag als der Kapitulation der Ukraine aufwarten könnten.

Russlands Raketen haben im Verlauf des Kriegs die Hälfte der ukrainischen Energieversorgungs­systeme zerstört.

Gebietsverluste temporärer Natur, wie sie jüngst Tschechiens Präsident Petr Pavel der ukrainischen Führung nahegelegt hatte, werden, realistisch betrachtet, früher oder später auf der Tagesordnung stehen. Für die betroffene Bevölkerung, die durch eigene Erfahrung jahrelanger russischer Besatzung weiß, was sie dann erwartet, wäre das allein schon ein herber Schlag. Aber wer garantiert, dass Russland nach einem Abkommen über einen Waffenstillstand nicht erneut angreift und seine Zerstörungskraft mit voller Wucht entfaltet?

Derzeit schaffen russische Truppen Tatsachen. In den vergangenen zwei Monaten haben sie im Donezker Gebiet mehr Gebietsgewinne erreicht als zuvor von Januar bis August. Zwar rechnet das Institute for the Study of War (ISW) aufgrund von Nachschubproblemen in den folgenden Monaten mit einem Ende der russischen Offensive im Donbass. Auf lange Sicht jedoch hat sich der Kreml auf Kriegführung eingestimmt. Ende September wurde bekannt, dass in den kommenden Jahren staatliche Ausgaben in Höhe von etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär vorgesehen sind. Diese Quote liegt zwar deutlich unter den sowjetischen Ausgaben während des Kalten Kriegs, aber fast doppelt so hoch wie heutzutage in den USA.

Ernüchterndes Fazit

Die russische Journalistin Farida Rustamowa, die sich seit Jahren mit dem Kreml befasst, veröffentlichte Anfang Oktober zusammen mit ihrem Kollegen Maksim Towkajlo auf ihrem unabhängigen Webportal Poyasnitelnaya Zapiska eine Einschätzung, wie Putins Umfeld über eine baldige Beendigung der Kriegshandlungen denkt. Die beiden verweisen auf eine Reihe namentlich nicht genannter Gesprächspartner, dar­unter hochrangige Vertreter des Staatsapparats, die in direktem Austausch mit Putin stehen.

Ihr Fazit klingt ernüchternd. Nach einigen Lichtblicken, wie etwa dem größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg Anfang August, den manche Kommentatoren als vorsichtiges Signal für kommende Gespräche deuteten, herrsche Eiszeit. Mit Blick auf Putins Haltung glaube derzeit niemand der Befragten an ein baldiges Kriegsende. Befürworter baldiger Friedensverhandlungen seien im Esta­blishment, anders also noch vor wenigen Monaten, in der absoluten Minderheit.

Als am Morgen des 6. August ukrainische Truppen über die russische Grenze in das Gebiet Kursk vordrangen, äußerte sich der russische Präsident öffentlich zunächst nicht dazu. Erst Tage später kommentierte er die Vorfälle. Ein Gesprächspartner gab an, dass sich in der politischen und militärischen Führung danach die Ansicht durchgesetzt habe, jetzt müsse man noch härter gegen die Ukraine vorgehen.

Erhebliche Schäden auch in Russland

Im August planten Russland und die Ukraine, eine Delegation in die Hauptstadt von Katar zu entsenden, um dort über eine Vereinbarung zu verhandeln, die Energieinfrastruktur beider Länder nicht weiter anzugreifen. Das jedenfalls hatte die Tageszeitung Washington Post mit Verweis auf diplomatische Kreise berichtet, die in die Vorbereitungen eingebunden waren. Doch nach dem 6. August habe die russische Seite das geplante Treffen suspendiert. Die ukrainische Führung soll ohne Erfolgserwartungen trotzdem bereit gewesen sein, Vertreter nach Katar zu schicken, was dort wiederum auf Ablehnung stieß.

Russlands Raketen haben im Verlauf des Kriegs die Hälfte der ukrainischen Energieversorgungssysteme zerstört. Erst kürzlich konstatierte Fatih Birol, der Vorsitzende der Internationalen Energieagentur (IEA), in einer Presseerklärung, dass der bevorstehende Winter der härteste Test für das ukrainische Stromnetz seit der Invasion Russlands werde.

Ende Mai 2024 waren einem Bericht der Agentur zufolge etwa 70 Prozent der ukrainischen Wärmeerzeugungskapazitäten entweder beschädigt oder befanden sich auf von Russland besetztem Gebiet. Durch ­ukrainische Angriffe insbesondere auf ölverarbeitende Anlagen verzeichnet mittlerweile jedoch auch Russland erhebliche Schäden.