Lizenzierte Enteignung
Es war nicht gerade ein Sturm, aber ein paar kräftige Böen zogen schon durch das sozialmediale Wasserglas, als die VG Wort kürzlich per Rundmail eine Änderung der Wahrnehmungsverträge für Autorinnen und Autoren ankündigte. Für alle, die ihr Geld nicht mit literarischem oder journalistischem Schreiben verdienen: Die Verwertungsgesellschaft Wort (so der vollständige Name) ist so was wie die Gema, nur nicht für Musik, sondern für Texte. Sie verwaltet die Tantiemen aus Zweitverwertungsrechten an Sprachwerken und schüttet diese an all jene aus, die einen Wahrnehmungsvertrag mit ihr geschlossen haben.
Trotz des ähnlich schwer zu durchschauenden Verteilungsschlüssels für diese Auszahlungen genießt die VG Wort jedoch einen deutlich besseren Ruf als die Gema. Während man Letzterer vorwirft, dass sie mit ihren überhöhten Abgaben schon Kneipen, Clubs und Festivals in den Ruin getrieben hat und bei weniger bekannten Bands und Einzelinterpreten von den eingenommenen Geldern kaum etwas ankommt, hört man von den Wahrnehmungsberechtigten der VG Wort nur selten Kritik. Umso überraschender die plötzliche Erregung, als die Gesellschaft eine »Erweiterung der Rechteeinräumung« ankündigte, um künftig auch die Nutzung von Werken zum Training unternehmensinterner Anwendungen der sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) lizenzieren zu können.
Digitalen Neuerungen wohnt im Kapitalismus immer auch eine zerstörerische Kraft inne, die man, damit es nicht so bedrohlich klingt, als »Disruption« bezeichnet.
Nun ist es nicht verwunderlich, wenn Autorinnen und Autoren eine Technologie, die Computer in die Lage versetzt, eigenständig Texte zu generieren, eher kritisch sehen. Zwar hat das mit »künstlicher Intelligenz« im Wortsinn noch rein gar nichts zu tun, weshalb vorerst auch niemand fürchten muss, dass in näherer Zukunft intelligente Maschinen die Menschheit ausrotten könnten, wie man das aus Science-Fiction-Filmen kennt. Doch digitalen Neuerungen wohnt im Kapitalismus immer auch eine zerstörerische Kraft inne, die man, damit es nicht so bedrohlich klingt, als »Disruption« bezeichnet. Wo immer Algorithmen Tätigkeiten übernehmen, die zuvor von Menschen ausgeführt wurden, wirken sie disruptiv (also zerstörerisch) auf deren Berufe und Geschäftsmodelle.
Das müsste nicht unbedingt schlecht sein, würde es der Idee folgen, dass alle eines schönen Tages in einem Utopia ohne Lohnarbeit leben und sich lustvoll ihren Hobbys hingeben können, während Maschinen dafür sorgen, dass es dabei an nichts fehlt. Dummerweise ist das nicht die Idee.
»Zum Arbeiten geboren«
Zwar sind die Menschen mit Sicherheit nicht »alle zum Arbeiten geboren«, wie Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich den ideologischen Kern der deutschen Sozialdemokratie in einem Satz zusammenfasste, aber mit dem Leben im Kapitalismus geht nichtsdestotrotz für die meisten Leute der Zwang einher, mittels Verkaufs von Arbeitskraft Einkommen zu erwirtschaften. Rafft die Disruption Arbeitsplätze dahin, braucht es andere Arbeitsplätze. Und wer nicht rechtzeitig was Passendes findet, muss sich vom Jobcenter so lange erniedrigen und sanktionieren lassen, bis er endlich bereit ist, für einen Euro die Stunde alle Restwürde fahren zu lassen.
Insofern hält das Großthema KI durchaus einige Unbill bereit, nicht nur für Schreiberlinge. Denn nahezu jede Form von Schreibtischarbeit kann und wird irgendwann von Algorithmen erledigt werden. Ja, selbst in klassischen Handwerks- oder Pflegeberufen sollte man sich nicht zu sicher fühlen. Schließlich werden auch die motorischen Fähigkeiten von Robotern immer besser.
Disruption des Sozialstaats statt Überwindung des Kapitalismus
Über kurz oder lang wird der digitale Fortschritt mithin Massen an wirtschaftlich komplett unnützen Menschen produzieren, die nicht mehr in der Lage sind, über Arbeit Mehrwert zu generieren und Konsum zu finanzieren, und die man auch zu nichts anderem mehr umschulen kann. Und weil diese Prozesse nicht politisch gesteuert werden, sondern man den sogenannten freien Markt den Weg bestimmen lässt, wird an seinem Ende zweifellos eher die Disruption dessen stehen, was man einst Sozialstaat nannte, als die Überwindung des Kapitalismus.
Damit zurück zur VG Wort, die wahrlich keine Schuld daran trifft, dass private Unternehmen bereits seit Jahren alle Texte, derer sie habhaft werden können, zum KI-Training nutzen. Diese Enteignung geistigen Eigentums zu unterbinden oder zu reglementieren (und so die darin potentiell schlummernde dystopische Entwicklung eventuell zu verhindern), wäre eine politische Aufgabe.
Die VG Wort versucht nur, den Unternehmen mittels Lizenzierung wenigstens ein paar Cent Entschädigung für die Urheber der Texte abzuluchsen.
Die VG Wort hingegen versucht nur, den Unternehmen mittels Lizenzierung wenigstens ein paar Cent Entschädigung für die Urheber der Texte abzuluchsen. Also eigentlich kein Grund zur Aufregung – schon gar nicht für jene Autorinnen und Autoren, die eben noch Chat GPT begeistert willkommen hießen und diesen Chatbot sogleich mit eigenen und fremden Texten fütterten, um die anfangs noch recht skurrilen Ergebnisse fröhlich auf denselben Social-Media-Kanälen zu posten wie jetzt ihre Sorge vor der Änderung der VG-Wort-Wahrnehmungsverträge.
Lizenzierung hin oder her, die KI-Anwendungen werden weiter lernen und dabei stetig besser werden. Mag es auch noch eine Weile dauern, bis sie in der Lage sind, literarisches Schreiben oder Meinungsbeiträge überzeugend zu simulieren – wer sein Geld mit dem Erstellen rein faktenbasierter Zeitungsmeldungen oder banaler Kurztexte zu »bunten Themen« verdient, sollte sich lieber beizeiten nach einem neuen Einkommen umsehen.