24.10.2024
Wahlkampf und systematische Manipulation der Öffentlichkeit in den sozialen Medien

Strukturwandel der Bot-Öffentlichkeit

Der Erfolg von Rechtspopulisten wie Donald Trump wäre ohne gezielte Manipulationen in sozialen Medien nicht denkbar. Auch für autoritäre Regime wie im Iran, China oder Russland eröffnen sich hier Möglichkeiten der Einflussnahme.

Donald Trump tritt an, um erneut Präsident der USA zu werden, in der EU regieren vermehrt Rechtspopulisten und die Rechtsextremisten erstarken. Was sind die Ursachen dieses rechten Aufschwungs und was könnte ihn aufhalten? Lars Quadfasel stellte zunächst fest, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus und seiner Protagonisten vom Format Donald Trump keine Besonderheiten der USA darstellen. Georg Seeßlen beschrieb den Erfolg Donald Trumps als Ausdruck der dunklen Seite des Amerikanischen Traums (36/2024). Jörg Finkenberger analysierte das Erstarken des Rechtspopulismus als Folge der Krise bürgerlicher Politik, die auch die Sozialdemokratie längst erfasst hat (38/2024). Robert Feustel riet zu einem souveränen Umgang mit rechtspopulistischen Lügen (39/2024). Jan Tölva argumentierte, identitäre Selbstzuordnungen würden immer wichtiger für Wahlentscheidungen (42/2024).

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Als Donald Trump 2015 antrat, Präsident der USA zu werden, mag er für für extrem konservative Großspender der Republikaner wie Robert Mercer, einen seiner ersten Förderer, ein Glücksfall gewesen sein. Allerdings hätte sich früher oder später sicherlich ein ähnlich skrupelloser, machthungriger und charismatischer Kandidat gefunden, der womöglich sogar über mehr politisches Grundwissen und diplomatische Fähigkeiten verfügt hätte als der Reality-TV-Star Trump. Einer, der bei Mitgliedern des Generalstabs der US-Armee nicht so große Bedenken ausgelöst hätte, dass sie sich über Notfallpläne Gedanken machen, um Nation und Welt gegebenenfalls vor irrsinnigen Entscheidungen zu schützen.

Doch wäre Trump im Falle eines erneuten Wahlsiegs ein weitaus gefährlicherer Präsident als während seiner ersten Amtszeit, und das nicht nur, weil er mittlerweile immer wieder öffentlich darüber spricht, dass er gegen linke Demonstrierende, illegale Einwanderer und seine politischen Gegner am liebsten die Armee einsetzen möchte. Weit besorgniserregender ist die Tatsache, dass er vier Jahre Zeit hatte, sich nach Personal umzuschauen, das gegebenenfalls kein Problem mit gesetzeswidrigen Befehlen des Präsidenten hat, weil es selbst von Gewalt gegen politische Gegner träumt.

Was Trump aufhalten könnte, ist eigentlich leicht zu beantworten: Wähler, die sich mehrheitlich für Kamala ­Harris entscheiden. Dazu kann man, realistisch betrachtet, zumal aus der Ferne nichts beitragen. Die weit interessantere Frage lautet: Wie kann jemand wie Trump in Zukunft verhindert werden? Allerdings sind alle Antworten darauf kompliziert. Denn sie enthalten keine kuscheligen Lösungen wie Händchen- oder Kerzenhalten für die Demokratie und gegen Hass, plakative Hashtags oder das Posten hübscher Selfies unter Slogans wie »Gesicht zeigen« bei Facebook oder X (vormals Twitter).

Ein neuer politischer Stil hat sich entwickelt: Anhänger von Parteien verhalten sich wie fanatische Fußballfans, die Elfmeter­entscheidungen gegen ihre Vereine für grundsätzlich falsch halten.

Vielmehr wäre es wichtig, sich mit dem zu beschäftigen, was Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 maßgeblich ermöglicht hatte: Als Erstes wäre Cambridge Analytica (CA) zu nennen, das in London ansässige Politikberatungsunternehmen, das eigenen Aussagen zu­folge mit Hilfe von psychographischem Profiling und gezieltem Data-Mining schon bei 200 Wahlkämpfen im Ausland mitgemischt hatte und schließlich, finanziert von Robert Mercer, exklusiv für den späteren 45. US-Präsidenten arbeitete. CA gelang es, über die sozialen Medien maßgeblichen Einfluss auf US-Wähler zu nehmen.

Dazu gehörte, die Anhänger von Bernie Sanders in ihrem Misstrauen gegen Hillary Clinton zu bestärken. Man schaltete für sie gezielt Annoncen auf Facebook, die ihre Vorurteile bekräftigen sollten. Und überließ dabei nichts dem Zufall: Googelte das als eher internetaffin geltende Zielpublikum nach in den Anzeigen genannten interessanten Schlüsselwörtern, präsentierte man ihm durch geschickte Suchmaschinenoptimierung als erste Treffer Links zu eigens präparierten Websites. CA machte sich die Tatsache zunutze, dass die meisten User nicht akribisch alle Google-Ergebnisse durchsehen, sondern höchstens die, die auf den ersten beiden Seiten gezeigt werden.

Ähnliche gezielte Kampagnen gab es auch für Konservative, die dadurch sozusagen an Trump gewöhnt wurden. Der CA-Skandal wird bis heute verharmlosend als Facebook-Skandal bezeichnet, und die damaligen Beeinflussungsmechanismen sind öffentlich kaum zur Kenntnis genommen worden. Immerhin setzte sich damals bei vielen die Einsicht durch, dass die Betreiber von sozialen Medien stärker in die Verantwortung zu nehmen seien, was angesichts von Elon Musks Umtrieben bei X und Plattformen wie Tiktok jedoch kaum als gelungen gewertet werden kann.

Ein weiterer Faktor für Trumps Wahlsieg waren ausgerechnet die von Trump und seinen Anhängern so verachteten etablierten Massenmedien, die maßgeblich dazu beitrugen, dass aus dem anfangs belächelten Außenseiter-Freak der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Bis Juni 2015, als Trump überraschend seine Kandidatur bekanntgab, hatte der damalige Gouverneur von Florida, Jeb Bush, ein Sohn des ehemaligen Präsidenten George H. W. Bush, als aussichtsreichster Bewerber gegolten.

Trumps pompöse Bekanntgabe seiner Kandidatur an seinem New Yorker Wohnsitz wurde von den meisten Fernsehsendern live übertragen, anschließend machten sich Expertenrunden in den Studios lustig über den Mann, der den meisten bis dato vor allem als Hauptdarsteller der Dokusoap »The Apprentice« bekannt war. In den Wochen danach wurden jeder öffentliche Auftritt, jede Pressekonferenz und jede Wahlkampfveranstaltung des neuen Politstars live übertragen, selbst CNN unterbrach regelmäßig sein Auslandsprogramm für die neue Folge der Trump’schen Selbstinszenierungen.

Faktenchecks taugten nicht gegen Trumps Lügen 

Es kam, wie es kommen musste: Nach kurzer Zeit war der dauerpräsente Außenseiter zum aussichtsreichen Bewerber geworden, dessen rallies von Zigtausenden Fans besucht wurden. Wirklich schlüssige Erklärungen dafür, dass die Fernsehstationen Trump so viel Sendezeit einräumten, während die Auftritte seiner Konkurrenten oft nur als Zusammenfassungen gesendet wurden, gab es nie – zumal der Kandidat während der Live-Übertragungen unermüdlich gegen die ihn angeblich ignorierende Presse und die Medien hetzte.

Als Gegengewicht gegen live von ihm verbreitete Lügen taugten die anschließend gesendeten Faktenchecks nicht, und das nicht nur, weil die Trump-Fans nach den Events einfach abschalteten. Durch Social Media und einen neuen Parteitypus vor allem in europäischen Ländern, wie die Piratenparteien, hat sich ein neuer politischer Stil entwickelt: Anhänger von Parteien verhalten sich zunehmend wie fanatische Fußballfans, die zum Beispiel Elfmeterentscheidungen gegen ihre ­Vereine für grundsätzlich falsch halten und es schaffen, ein klares Handspiel selbst nach der vierten Wiederholung in Zeitlupe komplett zu übersehen.

Mit anderen Worten: Selbst wenn glatte Lügen durch Fakten widerlegt werden, wird das nicht zur Kenntnis genommen; recht zu haben wird zum Selbstzweck. Was sich auf Facebook und X unter anderem regelmäßig daran zeigt, dass Nutzer gleich unter Kommentaren, die eine Lüge argumentativ entkräften, diese Lüge wieder­holen.

Dieses Verhalten ist übrigens mitnichten auf die Anhängerschaft rechter Parteien beschränkt, wie der Fall Armin Laschet zeigte. Empörung, Häme und Spott über den CDU-Kanzlerkandidaten, der während eines Gesprächs von Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit Opfern der Flutkatastrophe im Ahrtal fröhlich lachte, ließen selbst dann nicht nach, als ein größerer Bildausschnitt zeigte, dass Laschet mitnichten gleich hinter dem Bundespräsidenten, sondern etwas entfernt in einer Gruppe stand, in der die meisten ebenfalls lachten.

Kellyanne Conways »alternative Fakten«

Ein verpasster Wahlsieg ist allerdings bei weitem nicht das schlimmste Resultat von Fake News und Propagandalügen. In den USA gab es bereits mehrere Morde von unter anderem durch Qanon-Verschwörungsmärchen aufgehetzten Tätern. Ein wirksames Gegenmittel gegen das, was Trumps frühere Beraterin Kellyanne Conway einst nonchalant »alternative Fakten« nannte, wurde noch nicht gefunden.

Das liegt auch daran, dass Demokratien ziemlich wehrlos gegen Propaganda sind, die von anderen Staaten oder sogar Terrorgruppen gesteuert wird: Avril Haines, Director of National Intelligence, also Leiterin des Zusammenschlusses der 18 US-Geheimdienste, teilte beispielsweise am 9. Juli mit, über Erkenntnisse zu verfügen, wonach der Iran versuche, die antiisraelischen Campus-Proteste an US-Universitäten zu beeinflussen. Mitarbeiter des iranischen Regimes posierten beispielsweise in sozialen Medien als Demonstrierende und versuchten, die Stimmung weiter anzuheizen; in einigen Fällen wurden die Protestierenden sogar finanziell unterstützt. Haines warnte damals, dass der Iran »in seinen Bemühungen, im Ausland Einfluss zu nehmen, immer aggressiver geworden« sei.

Einen Damm gegen die Flut gefälschter Bilder und manipulativer Botschaften zu ziehen und damit zu verhindern, dass Menschen zu Erfüllungsgehilfen krimineller Organisationen oder autoritärer Regime werden, dürfte wegen der immer weiter zunehmenden Bedeutung sozialer Medien in Zukunft nur noch schwieriger werden.

Bereits im Dezember 2023 hatten US-Geheimdienste erklärt, der Iran habe bei den Midterm-Wahlen zum Kongress im Jahr zuvor versucht, mit teilweise KI-generierten Inhalten Wähler zu beeinflussen. Und nicht nur das Mullah-Regime, auch russische und chinesische Trollfabriken seien aktiv gewesen.

Einen Damm gegen die Flut gefälschter Bilder und manipulativer Botschaften zu ziehen und damit zu verhindern, dass Menschen zu Erfüllungsgehilfen krimineller Organisationen oder autoritärer Regime werden, dürfte wegen der immer weiter zunehmenden Bedeutung sozialer Medien in Zukunft nur noch schwieriger werden. Zumal dann, wenn Trump im November erneut zum US-Präsidenten gewählt werden sollte und sich daran macht, die von ihm bei diversen Ge­legenheiten verkündeten Pläne zu verwirklichen. Zu denen zählt unter anderem die Schwächung der Nato, wenn nicht sogar ihre Auflösung sowie die ­Destabilisierung der EU – ganz zu schweigen von innenpolitischen Absichten wie der Ernennung von noch mehr ultrakonservativen Richtern und Richterinnen, Massenabschiebungen sowie Rache an seinen politischen Gegnern.