Die Balance der Macht
Washington D.C. Wenn am 5. November in den USA gewählt wird, geht es nicht nur darum, wer ins Weiße Haus einzieht. Es werden auch alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses und 34 der 100 Sitze im Senat neu besetzt. Ob Haushalt oder Gesetzgebung – wenn ein Präsident oder eine Präsidentin die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses gegen sich hat, ist der politische Spielraum sehr begrenzt. Bereits die Mehrheit in einer Kammer bietet der Opposition viele Blockademöglichkeiten.
Derzeit verfügt die Republikanische Partei im Repräsentantenhaus, die Demokratische Partei im Senat über eine knappe Mehrheit. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass die Republikaner:innen die Dominanz im Repräsentantenhaus knapp verteidigen und zudem die Mehrheit im Senat erringen könnten. Aufgrund vieler sehr knapper Wahlergebnisse, die zu erwarten stehen, sind zuverlässige Vorhersagen jedoch nicht möglich.
Obwohl fast alle Analyst:innen die Republikanische Partei in beiden Kammern knapp vorne liegen sehen, könnte der Trend bei der Präsidentschaftswahl ein anderes Ergebnis bringen. Die meisten Wähler:innen geben alle Stimmen für Kandidat:innen derselben Partei ab. Je mehr Menschen für Harris stimmen, desto größer sind also auch die Siegeschancen der demokratischen Kandidat:innen. In 26 Wahldistrikten des Repräsentantenhauses gelten die Umfrageergebnisse als toss-up, als so knapp, dass keinerlei Vorhersage möglich ist. Um ihre Mehrheit zu wahren, müssten die Republikaner:innen elf davon sowie alle jene gewinnen, in denen ihr Sieg als wahrscheinlich, aber nicht sicher eingestuft wird.
Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass die Republikaner:innen die Dominanz im Repräsentantenhaus knapp verteidigen und zudem die Mehrheit im Senat erringen könnten.
Für den Senat haben die Republikaner:innen insbesondere die Wahlen in Arizona, West Virginia, Montana, Ohio und Nebraska im Blick. In mindestens zwei dieser Staaten müssen sie gewinnen, wenn sie die Mehrheit in der Kammer übernehmen wollen. In Arizona und West Virginia treten die bisherigen Senator:innen Kyrsten Sinema und Joe Manchin nicht erneut zur Wahl an. Beide hatten sich zuvor für unabhängig erklärt, weil ihnen die Demokratische Partei zu weit nach links gerückt sei.
Manchin wird im traditionell republikanisch dominierten West Virginia wahrscheinlich von dem Republikaner Jim Justice, derzeit Gouverneur des Bundesstaates, abgelöst werden. In Arizona hingegen liegt der Demokrat Ruben Gallego derzeit deutlich vor der Trump-Vertrauten Kari Lake, die vielen als zu extrem und zudem als unsympathisch gilt. Gallego hingegen gelingt es als Latino und ehemaligem Marine mit Fronterfahrung im Irak sehr gut, Gruppen anzusprechen, bei denen die Demokraten insgesamt an Zuspruch verloren haben, namentlich Arbeiter und eher sozialkonservative Immigrant:innen aus Lateinamerika.
Fahne nach dem Wind drehen
In Montana liegt der demokratische Senator Jon Tester in sämtlichen Umfragen der vergangenen zwei Monate hinter seinem Herausforderer, dem Multimillionär Tim Sheehy. Tester ist seit 2007 Senator und saß zuvor acht Jahre im Senat von Montana. Sheehy hingegen hat keinerlei politische Erfahrung und interessierte sich bis 2021 nach eigenen Angaben auch gar nicht für Politik. Sein größtes Versprechen ist es, den Republikanern wieder die Kontrolle im Senat zu verschaffen. Offenbar reicht das vielen in Montana vollkommen aus.
Das Rennen in Ohio bewerten alle namhaften Wahlforschungsinstitute als toss-up. In Umfragen liegt der demokratische Senator Sherrod Brown knapp vor seinem republikanischen Herausforderer, dem Geschäftsmann Bernie Moreno. Auch Moreno hat kaum politische Erfahrung. Dafür versteht er sich gut darauf, seine Fahne nach dem Wind zu drehen. 2020 kritisierte er die Verschwörungstheorie von der gestohlenen Wahl, ein Jahr später hatte er sie bereits übernommen. 2016 bezeichnete er Donald Trump als Verrückten, nun ist er dessen treuer Gefolgsmann. Der Opportunist ohne Rückgrat und Routine kann als ein typischer republikanischer Kandidat bei den diesjährigen Wahlen gelten.
Texas möglicher swing state der Zukunft
Hoffnungen darauf, ihrerseits einen zusätzlichen Sitz zu erringen, haben die Demokraten allenfalls in Texas, wo der texanische Repräsentantenhaus-Abgeordnete Colin Allred zumindest Außenseiterchancen gegen den bisherigen Senator Ted Cruz eingeräumt werden. Zum einen gilt das prosperierende Texas durch zahlreiche Zuzüge aus demokratisch dominierten Bundesstaaten als möglicher swing state der Zukunft, zum anderen hat Cruz sich einfach zu viele Fehltritte geleistet. Seine Reise nach Cancún im Winter 2021, als über vier Millionen Menschen in Texas nach einem verheerenden Wintersturm ohne Strom ausharren mussten, haben ihm viele bis heute nicht verziehen.
Schließlich wäre da noch Nebraska. Dort könnte die Republikanerin Deb Fischer ihren Senatssitz an Dan Osborn zu verlieren. Der ehemalige Gewerkschaftsführer steht zwar in vielen Fragen der Demokratischen Partei nahe, hat jedoch immer wieder betont, sich im Senat keinem caucus, also keiner Fraktion anzuschließen, sondern als »echter Unabhängiger« zu handeln. Bei den knappen Mehrheitsverhältnissen im Senat würde er damit im Fall seiner Wahl aus dem Stand zu einer der einflussreichsten Personen der US-Politik.