24.10.2024
Das BSW stellt vor Länderkoalitionsverhandlungen Bedingungen an SPD und CDU

Wagenknecht marschiert durch die Länder

Das Bündnis Sahra Wagenknecht wurde bei seinen ersten drei Land­tags­wahlen im Osten Deutschlands jeweils drittstärkste Kraft. CDU und SPD sind auf die Partei angewiesen, wenn sie unabhängig von der AfD regieren wollen. Das BSW nutzt seine Position und stellt die ersten Forderungen.

Die Wagenknecht-Partei könnte als erfolgreichstes politisches Start-up in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen. Wofür die Grünen und die AfD Jahre brauchten, das schaffte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in kaum zehn Monaten. Nach der offiziellen Gründung im Januar zog die Partei im Juni mit 6,2 Prozent ins Europaparlament ein, wurde aus dem Stand drittstärkste Kraft bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen und wird nun von CDU und SPD als Koalitionspartner umworben.

Wollen Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg und Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen Ministerpräsident bleiben und will Mario Voigt (CDU) den Posten in Thüringen ergattern, ohne mit der AfD zu koalieren, brauchen sie Stimmen vom BSW. In Sachsen hat die bisherige Koalition aus CDU, Grünen und SPD ihre Mehrheit verloren. Zwar könnte die Linkspartei der Koalition beitreten, doch für die gilt in der CDU ein Unvereinbarkeitsbeschluss. Woidke würde in einer Koalition allein mit der CDU im Brandenburger Landtag eine Stimme zur Mehrheit fehlen; in diesen sind daneben nur noch BSW und AfD eingezogen. In Thüringen bräuchte sogar eine Koalition aus CDU, SPD und BSW noch die Unterstützung der Linkspartei, um eine Mehrheit zu erreichen. Der Co-Vorsitzenden der Thüringer Linkspartei, Ulrike Grosse-Röthig, zufolge hat ihre Partei sieben Wochen nach der Landtagswahl allerdings noch kein Gesprächsangebot erhalten.

Für eine Koalition macht Sahra Wagenknecht ein Bekenntnis ihrer potentiellen Koalitionspartner gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zur Bedingung.

Für eine Koalition macht Wagenknecht ein Bekenntnis ihrer potentiellen Koalitionspartner gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen zur Bedingung. Kretschmer, Voigt und Woidke veröffentlichten daraufhin eine gemeinsame Stellungnahme in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der sie sich Wagenknechts Position zu Krieg und Frieden zumindest verbal annähern. Wagenknechts Agitation sowohl gegen Waffenlieferungen an die Ukraine als auch gegen Sanktionen gegen das Putin-Regime läuft darauf hinaus, dass die Ukraine kapitulieren möge. Dass Wladimir Putin allenfalls über einen Siegfrieden mit Annexionen zu reden geneigt ist, blendet sie aus.

Der Forderung nach mehr Diplomatie und Friedensverhandlungen kann man sich gleichwohl schlecht verweigern. Auf dieser Linie bewegt sich die Stellungnahme von Kretschmer, Voigt und Woidke: Man müsse mit Russland verhandeln. Deutschland und die EU hätten diesen Weg »noch zu unentschlossen verfolgt«, die Bundesregierung müsse »ihre außenpolitische Verantwortung durch mehr erkennbare Diplomatie stärker wahrnehmen«. Zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen, die das BSW ablehnt, heißt es unverbindlich, diese hätte man »besser erklären und breiter diskutieren müssen«. Eindeutig ist das Bekenntnis zur Nato, und wenn das Trio schreibt, man solle in Sicherheitsfragen auf östliche Partner wie Polen und die baltischen Staaten hören, schließt dies implizit Waffenlieferungen an die Ukraine ein.

Knackpunkt friedenspolitischen Forderungen

Dennoch stieß ihre Offerte auf Wohlwollen. Wagenknecht lobte, der Artikel sei »ein kluger und differenzierter Beitrag«, Katja Wolf, BSW-Co-Vorsitzende in Thüringen, nannte es ein »wichtiges Signal«. Es sei gut, dass die drei auf die Stimmung in der Bevölkerung »endlich eingehen«, sagte ihre sächsische Amtskollegin Sabine Zimmermann.

Bei anfänglichen Gesprächen in Thüringen sorgte es in der SPD für Verstimmung, dass die BSW-Fraktion zusammen mit vier CDU-Abgeordneten, dar­unter Voigt, einen Corona-Untersuchungsausschuss beantragte; nicht zwecks Abrechnung, sondern »um es künftig besser zu machen«, wie Wolf versicherte.

Auch die Jusos sind gegen eine Kooperation mit dem BSW. Trotzdem haben die Sozialdemokraten am Samstag wie zuvor die CDU den Weg für Koalitionsverhandlungen mit der BSW freigegeben.

Und auch das BSW ist zu Koalitionsverhandlungen bereit, vorausgesetzt es kommt zu einer Einigung in den vermeintlich friedenspolitischen Forderungen der Partei. »Die komplette Ablehnung von Waffenlieferungen würden CDU und SPD nicht mittragen können«, so Wolf. Aber bei der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden wolle man keine Kompromisse eingehen.

Konservative Teile der Union favorisieren Kooperation mit der AfD

Wagenknecht dagegen verlangt von der Thüringer CDU indirekt eine Distanzierung von deren Parteivorsitzenden Friedrich Merz. Der hatte vergangene Woche im Bundestag dafür plädiert, »Taurus«-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. »Wenn wir mit seiner Partei koalieren, muss den Wählerinnen und Wählern deutlich werden, dass sich die Landesregierung von einem solchen Kurs abgrenzt«, so Wagenknecht in der ARD.

Einfacher dürfte die Lage in Brandenburg sein, schließlich müssen sich dort lediglich SPD und BSW einigen. »Wir sind in guten Gesprächen. Es gibt Fortschritte«, sagte der SPD-Landesvorsitzende und Ministerpräsident Woidke denn auch.

In Sachsen favorisiert ein Teil der CDU eine Kooperation mit der AfD. Sechs CDU-Politiker haben jüngst in einem offenen Brief ihre Parteispitze zu Gesprächen mit der AfD aufgefordert. Und die stockkonservative Heimatunion innerhalb der sächsischen CDU wirbt für eine Minderheitsregierung und wechselnde Mehrheiten, was gemeinsame Voten mit der AfD einschließt. Kretschmer hat das ebenso abgelehnt wie – vor der Wahl – eine Koalition mit den Grünen und der AfD. Scheitern die Gespräche mit dem BSW, dürfte seine politische Karriere beendet sein. Bei Neuwahlen drohen der CDU weitere Verluste.

Ausschlaggebend dürfte Wagenknechts Abwägung sein, ob Länderkoalitionen ihr helfen, im kommenden Jahr in den Bundestag einzuziehen, oder ob sich ihr Personal durch Kompromisse, Dilettantismus oder interne Querelen blamieren könnte.

Ausschlaggebend dürfte Wagenknechts Abwägung sein, ob Länderkoalitionen ihr helfen, im kommenden Jahr in den Bundestag einzuziehen, oder ob sich ihr Personal durch Kompromisse, Dilettantismus oder interne Querelen blamieren könnte. Sie hat auch die Option, Bündnisse rechtzeitig platzen zu lassen, als Notbremse oder um sich auf Kosten der Partner im Wahlkampf zu profilieren.

Die CDU-Führung um ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz hingegen steckt in einem Dilemma: Eine Kooperation mit der extremen Rechten kostet Stimmen von demokratischen Konservativen, während Bündnisse mit der vermeintlichen Kommunistin Wagenknecht dazu führen könnte, noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren. Beides bringt die extreme Rechte ihrem strategischen Ziel näher, die CDU zum Juniorpartner zu schrumpfen.