Putin hält Hof
Russische Staatsmedien frohlocken: Was auch immer der Westen behaupte, das Gegenteil sei der Fall. Russland sei international nicht isoliert und leiste außerdem einen Beitrag zur weltwirtschaftlichen Stabilität. Als Beweis für diese These dient das jüngste Treffen der Brics-Staaten in Kasan, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan. Das Gastgeberland Russland empfing vom 22. bis 24. Oktober ranghohen Besuch aus weiteren acht Mitgliedsländern, allen voran Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping und Indiens Premierminister Narendra Modi.
Ägypten, Iran, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopien waren ebenfalls mit ihren jeweiligen Präsidenten oder Regierungsvorsitzenden vertreten. Nur Brasilien begnügte sich mit der Präsenz seines Außenministers. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte seine Teilnahme zwar angekündigt, reiste wegen einer Kopfverletzung allerdings nicht an und meldete sich nur per Videoschaltung zu Wort.
Brics ist sicherlich kein Friedensbündnis, aber auch kein Bündnis, das Russlands Krieg bedingungslos befürwortet und Putins Ambitionen unterstützt.
2006 zunächst von den vier Gründungsstaaten Brasilien, Russland, Indien und China ins Leben gerufen und nach deren Akronym Bric genannt, nahm das Bündnis 2010 Südafrika als fünftes Mitglied auf und aus Bric wurde Brics. Die Gründungsstaaten gehören zu den zehn Ländern der Welt mit der größten Wirtschaftsleistung. Rein theoretisch könnte es sich demnach um ein mächtiges Bündnis handeln, eine Art Gegenentwurf zur G7, dem Zusammenschluss westlicher Demokratien und Japans.
Russlands kaufkraftbereinigtes Bruttoinlandsprodukt lag 2023 bei knapp drei Prozent des weltweiten Gütergesamtwerts; damit steht das Land nach Deutschland auf dem sechsten Platz. Russlands Mitgliedschaft als achtes Land der vormaligen G7 währte nur von 1997 bis 2014: Das Land wurde wegen der Krim-Annexion 2014 ausgeschlossen.
Zweifellos stellte das Brics-Treffen in Kasan einen willkommenen Anlass für Wladimir Putin dar, Russlands Bedeutung in der Welt zu demonstrieren. Auf Russlands Prioritätenliste für den diesjährigen Vorsitz steht die Expansion des Staatenbundes an vorderster Stelle. Die Botschaft an den sogenannten Globalen Süden lautet: Auch regionale Wirtschaftsmächte oder ärmere Länder sind willkommen. Doch Ausrichtung und Zielsetzung der Brics-Allianz sind so allgemein gehalten, dass sich der praktische Nutzen einer Mitgliedschaft nicht sofort erschließt.
Effektivität der Struktur
Für die Kooperation mit schwächeren Volkswirtschaften existieren spezielle Formate: Brics Plus umfasst potentielle Aufnahmekandidaten und wird durch ein sogenanntes Outreach für weitere Länder ergänzt: Vertreter:innen aus insgesamt 35 Ländern durften bei der erweiterten Runde in Kasan dabei sein. Aber nur mit 13 fänden derzeit Verhandlungen über einen möglichen Partnerstatus statt, führte Jurij Uschakow, Putins außenpolitischer Referent, im Gespräch mit dem Ersten Kanal an, dem wichtigsten Fernsehsender in Russland. Putin sagte bei der abschließenden Pressekonferenz, es könnten nicht alle aufgenommen werden, weil sonst die Effektivität der Struktur leide.
Allerdings ist der Andrang unter den erwünschten potentiellen Mitgliedstaaten nicht allzu groß. So wurde auch Saudi-Arabien zwar zu Jahresbeginn aufgenommen, aber schon nach wenigen Wochen kamen der Monarchie erste Zweifel und ihre Mitgliedschaft ist schon wieder beendet. Nach Kasan kam nur der saudische Außenminister Faisal bin Farhan al-Saud. Kasachstan hatte wenige Tage vor Beginn des Brics-Treffens eine Mitgliedschaft abgelehnt. Die russische Führung reagierte mit traditionellem imperialem Gehabe und belegte den Nachbarstaat mit einem vorübergehenden Einfuhrverbot von frischen Tomaten, Honigmelonen, Weizen und Saatgut. Eine Maßnahme, die nicht nur Kasachstan trifft, sondern auch die russische Bevölkerung.
Aber auch wirtschaftlich schwächere Länder des Globalen Südens drängen sich nicht eben auf. Potentielle Vorteile können zu erwartende Nachteile nicht wettmachen, denn die Risiken liegen auf der Hand: Eine Mitgliedschaft in einem Bündnis mit Russland macht es weitaus schwieriger, sich von Russlands Krieg in der Ukraine zu distanzieren, und vergrätzt die westlichen Länder. Die Türkei zeigt sich zwar offen für eine Mitgliedschaft, aber Präsident Recep Tayyip Erdoğan kam als Nichtmitglied nach Kasan und reiste als solches auch wieder ab. Möglicherweise machte hier Modi seinen Einfluss geltend, weil die Türkei enge Beziehungen zum mit Indien traditionell verfeindeten Pakistan unterhält.
Türkei als potentieller Vermittler zwischen Russland und der Ukraine
Doch die Türkei präsentierte sich wieder einmal als potentieller Vermittler zwischen Russland und der Ukraine. Im Vier-Augen-Gespräch mit Putin ging es um den weiteren Austausch von Kriegsgefangenen zwischen beiden Ländern, die Entminung im Schwarzen Meer und die Gewährleistung von Getreidelieferungen auf dem Seeweg. Putin sagte außerdem, sein türkischer Amtskollege habe ihm einige Vorschläge zur Ukraine unterbreitet. António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, nutzte seine Anwesenheit in Kasan, um seine Forderung nach einem »gerechten Frieden« zu artikulieren.
Im 43 Seiten umfassenden Abschlussdokument kommt die Ukraine genau an einer Stelle vor. Brics ist sicherlich kein Friedensbündnis, aber auch kein Bündnis, das Russlands Krieg bedingungslos befürwortet und Putins Ambitionen unterstützt. Eher schon herrscht zumindest bei einigen Staaten ein ambivalentes Verhältnis. Lulas Abwesenheit mag krankheitsbedingt gewesen sein, aber womöglich bot seine Verletzung auch die passende Ausrede, um sich von einem Brics-Gipfel unter Putins Vorsitz elegant fernzuhalten. Brasilien und China hatten im Mai einen sechs Punkte umfassenden »Friedensplan« erstellt, den die Ukraine, die USA und die Europäische Union ablehnten.
Einen Triumph Putins stellt das Brics-Treffen jedenfalls nicht dar. Konkrete Ergebnisse blieben aus. Auch kam die Unterzeichnung eines bereits ausformulierten Strategievertrags mit dem Iran, über den die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass im September berichtet hatte, nicht zustande. Überhaupt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche Delegation weniger zu Putin als zu Xi Jinping gefahren ist. Russland schreckt eher ab, die wirkliche Anziehungskraft geht von China aus.