31.10.2024
Donald Trumps faschistische Äußerungen sollten ernst genommen werden

Die Faschismus-Show

Trotz seines spektakelhaften Wahlkampfs gibt es gute Gründe, die faschistischen Äußerungen Donald Trumps ernst zu nehmen.

Donald Trump tritt an, um erneut Präsident der USA zu werden, in der EU regieren vermehrt Rechtspopulisten und die Rechtsextremisten erstarken. Was sind die Ursachen dieses rechten Aufschwungs und was könnte ihn aufhalten? Lars Quadfasel stellte zunächst fest, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus und seiner Protagonisten vom Format Donald Trump keine Besonderheiten der USA darstellen. Georg Seeßlen beschrieb den Erfolg Donald Trumps als Ausdruck der dunklen Seite des Amerikanischen Traums (36/2024). Jörg Finkenberger analysierte das Erstarken des Rechtspopulismus als Folge der Krise bürgerlicher Politik, die auch die Sozialdemokratie längst erfasst hat (38/2024). Robert Feustel riet zu einem souveränen Umgang mit rechtspopulistischen Lügen (39/2024). Jan Tölva argumentierte, identitäre Selbstzuordnungen würden immer wichtiger für Wahlentscheidungen (42/2024). Elke Wittich wies auf die Bedeutung der Manipulation der Öffentlichkeit in sozialen Medien hin (43/2024).

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In den vergangenen Wochen und Monaten ist Donald Trump, ehemaliger US-Präsident und jetzt wieder Kandidat, so oft als Faschist bezeichnet worden, dass es beinahe langweilig geworden ist. Er wehrt sich ja nicht einmal dagegen. Was sollen die unnützen historischen Vergleiche, mag man denken, wo man doch weiß, dass sie bei denjenigen, die damit bekehrt werden sollen, nichts bewirken oder eher das Gegenteil.

Freilich hat der Kandidat wenig unterlassen, um in diesen Ruf zu kommen. Er kündigte die größte Massenabschiebung von vermeintlich illegalen Migranten und Migrantinnen an, die es in den USA je gegeben habe. Die von ihm ernannten Richter am Obersten Gerichtshof sind dafür verantwortlich, dass in weiten Teilen der USA wieder ein Abtreibungsverbot gilt. Er will den Staatsapparat nach seinen Wünschen ausrichten und hierfür massenhafte Entlassungen von Beamten vornehmen. Er fordert eine »Diktatur für einen Tag« und »eine Stunde brutaler Polizei«, um mit dem, was er unter Kriminalität versteht, aufzuräumen. Für die Endphase seines Wahlkampfs hat er sogenannte innere Feinde aufs Korn genommen; sie seien noch schlimmer als die Einwanderer. Bei einer Rede in New York am 27. Oktober definierte Trump diesen »inneren Feind«, der im Hintergrund die demokratische Partei steuere, raunend als »einen riesigen bösartigen, korrupten radikal linken Apparat« und eine »amorphe Gruppierung«.

Gegen »linksradikale Irre« werde er die Nationalgarde einsetzen oder nötigenfalls das Heer. Der Vizepräsidentschaftskandidat an seiner Seite, J. D. Vance, pflichtete ihm bei: Man müsse hart zuschlagen und dürfe keine Rücksicht nehmen.

Gegen »linksradikale Irre« will Trump die Nationalgarde einsetzen oder nötigenfalls das Heer.

Trump ließ bereits zuvor mehr als einmal durchblicken, dass die Wahl am 5. November die letzte sein werde, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger der USA herumschlagen müssten. Wie vor vier Jahren will er das Ergebnis nur respektieren, wenn es zu seinen Gunsten ausfällt. Sollte Kamala Harris siegen, droht er mit bürgerkriegsähnlicher Gewalt quer über das ganze Land. Dafür war der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ein Vorspiel. Der einschüchternde Effekt ist ziemlich real; in den USA warten Zehntausende von Waffennarren auf die Gelegenheit, aus den beachtlichen Summen, die sie in Gewehre und Pistolen investiert haben, Nutzen zu ziehen.

Ist all das nur eine erneute Show, mit der die eigenen Anhänger aufgestachelt werden? Heiße Luft, die sich im Alltag von Regierungsgeschäften verziehen wird? Zwei hochrangige ehemalige Generäle nehmen die Drohungen äußerst ernst. Mark Milley, von 2019 bis 2023 Vorsitzender des Generalstabs der US-Streitkräfte, bezeichnete Trump dem Journalisten Bob Woodward zufolge als »Faschisten durch und durch« und begründete das mit persönlichen Erfahrungen. Der ehemalige Präsident habe gegen die Demonstrationen anlässlich des Todes von George Floyd das Militär einsetzen wollen. Und als Trump im Winter 2020 alles Mögliche durchspielte, um seine damalige Abwahl zu revidieren, befürchtete Milley einen »Reichstagsmoment« – eine Anspielung auf den Reichstagsbrand 1933.

Marx, Brecht und Dorothy Thompson

Fast noch spektakulärer bestätigte John F. Kelly, ebenfalls ein General im Ruhestand und Trumps ehemaliger Stabschef im Weißen Haus, Milleys Befund. Trump habe in seiner Amtszeit Hitler um dessen loyale Generäle beneidet und die eigenen Militärs als »verdammte Verlierer« bezeichnet. Wiederholt habe er sich in Gesprächen positiv über Hitler geäußert: »Er hat doch auch gute Sachen gemacht.« Wenn Kelly widersprach, habe Trump das Gespräch auf andere Themen gelenkt.

Die beiden ehemaligen Generäle haben Trump aus der Nähe erlebt und wissen, wovon sie sprechen. Aber soll man sich nun ausgerechnet von Militärs über Faschisierung belehren lassen? Zur Frage, ob eine weitere Amtszeit Trumps Faschismus in den USA bedeuten würde, wird gerne Karl Marx zitiert, der schrieb, dass sich Geschichte nicht wiederhole, es sei denn als Farce. Auf dieses Argument antwortet die US-Historikerin Heather Cox Richardson mit dem (wahrscheinlich zu Unrecht Mark Twain zugeschriebenen) Satz, dass Geschichte sich nicht wiederhole, aber reime. Mit diesem Streich löst sie den Widerspruch, dass es zwar keine historischen Wiederholungen gibt, aber überall Kräfte erstarken, die frappierende Ähnlichkeiten mit dem Faschismus des vorigen Jahrhunderts aufweisen. Dialektisch gesehen wird Brechts Vers – »Der Schoß ist fruchtbar noch« – auf eine höhere Ebene gehoben.

In ihrem täglichen Newsletter »Letters from an American« gab Richardson am 21. Oktober ein eindrucksvolles Beispiel für den Reim in der Geschichte. Sie lässt die US-Korrespondentin Dorothy Thompson sprechen, die vor fast 100 Jahren aus Berlin über den Aufstieg der Nazis berichtete.

Der Reim auf Make America Great Again

1931 interviewte Thompson Hitler, der ihr sagte, er werde auf legalem Weg an die Macht kommen und dann einen Obrigkeitsstaat errichten, in dem es überall Autorität von oben und Gehorsam von unten geben werde. Anfangs zweifelte sie am Erfolg eines solchen Unternehmens: »Stellt euch einen Möchtegern-Diktator vor, der ein souveränes Volk davon überzeugen will, auf seine Rechte zu verzichten.«

Im Sommer 1934 war es soweit und Thompson wurde als unerwünschte Ausländerin ausgewiesen. Zurück in den USA warnte sie, dass das, was in Deutschland geschehe, auch in den USA passieren könne. »Kein Volk erkennt seinen Diktator im Voraus. (…) Er stellt sich immer als das Instrument dar, das den verkörperten Nationalwillen zum Ausdruck bringt. Wenn Amerikaner an Diktatoren denken, denken sie immer an ein ausländisches Modell. (…) Aber wenn unser Diktator auftaucht, könnt ihr euch darauf verlassen, dass er einer von uns ist, und er wird für alles stehen, was traditionell amerikanisch ist.« Das reimt sich auf Make America Great Again.

In einem Essay schlug Thompson ein Gedankenspiel vor. Man möge sich bei größeren Einladungen oder Festen überlegen, wer von den Anwesenden im Ernstfall zum Nazi mutieren würde. »Der frustrierte und gedemütigte Intellektuelle, der reiche und verängstigte Spekulant, der verwöhnte Sohn, der Arbeitstyrann, der Kerl, der Erfolg hat, indem er den Wind des Erfolgs wittert – sie alle würden in einer Krise zum Nazi werden«, schrieb sie.

Rassismus, Rechtsextremismus und der amerikanische Bürgerkrieg 

Richardson gibt mit ihrer Erinnerung an Thompson und an viele andere Texte ein Vorbild für Geschichtsbewusstsein, das ziemlich unbequem wird. Die Historikerin führt den US-amerikanischen Rassismus und Rechtsextremismus auf den Bürgerkrieg der USA zurück. Der alte Konflikt um die Sklaverei sei nicht überwunden, vielmehr habe die Republikanische Partei, einst die Partei Abraham Lincolns, die Fronten gewechselt.

Was wiederum Dorothy Thompson vor 85 Jahren über verwöhnte Söhne und Arbeitstyrannen schrieb, reimt sich heutzutage vor allem auf Elon Musk. Der Multimilliardär hat sich als Trump-Fan geoutet und nutzt die enorme Reichweite seiner Plattform X für eine immer fanatischer werdende Wahlkampagne für Trump.

Zu einem Faschisten durch und durch hat sich ein Kapitalist durch und durch gesellt. Es hatte schon seine Berechtigung, dass Max Horkheimer feststellte, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, solle auch vom Faschismus schweigen. Wer allerdings von Musk redet, wie es jetzt viele tun, sollte auch Mathias Döpfner nicht verschweigen. Der Verleger ermunterte Musk 2022 in mehreren SMS-Nachrichten, Twitter zu kaufen, und bot sogar an, der Springer-Konzern könne die Plattform dann für Musk leiten: »Wir können das für dich managen.«

Boulevard plus KI ergibt X

Döpfner schlug vor, die umständlichen Compliance-Regeln der Plattform stark zu vereinfachen. Weil die Künstliche Intelligenz, die er zum Übersetzen ins Englische benutzte, keine doppelte Negation verstand, lautete sein »Game Plan«, von der FAZ wörtlich zurückübersetzt, so: »Twitter-Nutzer stimmen zu: (1) unseren Dienst zu nutzen, um Spam zu versenden, (2) Gewalt zu propagieren, (3) illegale Pornografie zu posten.« Losgelöst von dieser schrägen Kommunikation zweier Macho-Chefs lässt sich zwei Jahre später verallgemeinern: Boulevard plus KI ergibt X.

Eine weitere Kurzformel wird die Menschheit möglicherweise intensiver beschäftigen, als sie je gedacht hätte: ein Irrer weniger, zwei Irre mehr. Das bezieht sich auf die Welt des Nuklearen, in der sich das Eindringen wahnhafter Kräfte kaum noch verhindern lässt. Nachdem Boris Johnson das Oberkommando über die britische Atomstreitmacht endlich hatte abgeben müssen, könnte der Atomkoffer des Weißen Hauses wieder in Trumps Hände fallen.

Dass die beiden atomaren Supermächte USA und Russland dann von zwei manischen Machtmenschen präsidiert werden, die an pathologischer Selbstüberschätzung leiden, war und ist in keiner Abschreckungsdoktrin vorgesehen. Nu­kleare Abschreckung setzt die Einsicht voraus, dass als zweiter stirbt, wer als erster schießt. Doch die Jahrhunderte alten dumpfen Instinkte, die derzeit mobilisiert werden, besagen, dass nur derjenige überlebt, der am schnellsten zieht.