Jungle+ Artikel 31.10.2024
Die Hexe wird als historische ­Vorläuferin heutiger Queers imaginiert

Queere Ahnenforschung

Auf den patriarchalen Hexenwahn antworteten die Feministinnen der zweiten Frauenbewegung mit gegenmythologischer Überhöhung. Unter veränderten Vorzeichen kehrt der Hexenmythos heutzutage als stilisierter Urtyp der Queerness zurück.

»Ein Wort läuft um, ein Bild verdichtet sich«, schrieb die Literaturwissenschaftlerin und Essayistin Silvia Bovenschen 1977, als in der westdeutschen Frauenbewegung eine Figur prominent wurde, die immer schon historische Referenz, mythisch aufgeladene Projektionsfläche und frauenfeindliches Ideologem zugleich war: die Hexe.

Zeitschriften nannten sich Hexenpresse und Hexenschuß, Kneipen hießen »Blocksberg« und in Rom gingen Feministinnen mit dem Schlachtruf »Tremate, tremate, le streghe son tornate!« (Erzittert, erzittert, die Hexen sind zurück!) auf die Straße. »Die antifeministische Geschlechtsmetaphysik«, so Bovenschen, »hat die magisch-dämonischen Potentiale der Weiblichkeit so lange ­beschworen, bis diese auf sie zurückschlugen.«

Wort und Bild der Hexe in der Gegenwart

Auch heutzutage gehen Wort und Bild der Hexe um; aber die Verdichtungen tragen die Spuren einer veränderten Gegenwart. Erste Indizien finden sich in der Kulturindustrie, in der regelmäßig auf die Figur der guten Hexe als Vorbild der Stärke und des Selbstbewusstseins zurückgegriffen wird. 2018 veröffentlichte Netflix mit »Chilling Adventures of Sabrina« eine überarbeitete Neuauflage der Serie »Sabrina the Teen­age Witch«; 2022 erschien »Wednesday«, eine breit rezipierte neue Serie im Addams-Family-Franchise. Beide Produktionen zeichnet aus, dass die Hexe erkennbar als ein Symbol des Außenseitertums schlechthin, der geschlechtlichen und sexuellen Nonkonformität, kurz: der »Queerness« in­szeniert wird.

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