Theater und Terror
Die Kritik der Artists Against Antisemitism war deutlich: »Wir fordern die Ausladung der Inszenierung.« Gemeint war das Stück »And Here I Am«, das beim Leipziger Theaterfestival Euro-Scene Anfang November gespielt werden sollte. Die Inszenierung des palästinensischen Freedom Theatre Jenin (FTJ) enthalte Antisemitismus und verharmlose den Terror, lauteten die Vorwürfe. Die Festivalleitung reagierte abwehrend. Doch als schließlich die Stadt drohte, Fördergelder zurückzufordern, sagte sie vor zwei Wochen die Aufführung des Stücks ab.
In dem 2017 uraufgeführten Ein-Mann-Stück erzählt der Schauspieler Ahmed Tobasi seine eigene Lebensgeschichte. Aufgewachsen in Jenin im Westjordanland, schloss er sich als Teenager der Terrorgruppe Palestinian Islamic Jihad an. Im Alter von 17 Jahren wurde Tobasi 2002 verhaftet und saß vier Jahre lang in Israel im Gefängnis. Seit seiner Freilassung widmet er sich dem Theater.
Straßenkampf statt Jihad
Doch der Terror werde in dem Stück verharmlost, finden die Artists Against Antisemitism. »Vom ›Straßenkampf‹ ist im Beschreibungstext die Rede«, sagt Andrea Müller*, eine Vertreterin der Gruppe, der Jungle World. »Dass sich dieser auf den Islamischen Jihad bezieht, steht dort nicht.« Tatsächlich wird im Ankündigungstext des Euro-Scene-Festivals dieser Aspekt von Tobasis Werdegang nicht erwähnt.
Laut Festivalleiter Christian Watty tourt das Stück problemlos seit 2017 durch Europa. Er selbst habe es im vergangenen Jahr gesehen. »Ich habe da nicht einen skandalisierenden Artikel gelesen.« Falls Antisemitismus und Jihadismus propagiert würden, dann sei das eine Frage für die Justiz, sagt Watty.
Zu den Unterstützern des Projekts gehörte der langjährige Anführer der al-Aqsa-Märtyrerbrigaden in Jenin, Zakaria Zubeidi – die Terrorgruppe hatte ab 2001 Terroranschläge gegen israelische Zivilisten durchgeführt.
Im Stück gebe es »für unsere Ohren problematische Szenen, wenn die Zweite Intifada losgeht«, sagt er – im Zuge der Zweiten Intifada, der sogenannten al-Aqsa-Intifada, wurden ab dem Jahr 2000 in Dutzenden Selbstmordattentaten Hunderte israelische Zivilisten ermordet. Das Umfeld des Protagonisten radikalisiere sich in jener Zeit, beschreibt Watty das Stück. »Das habe ich als authentischen Bericht erlebt, aber auch als Komödie darüber, wie es ist, als Kind unter solch absurden Verhältnissen aufwachsen zu müssen. Die werden zu Milizen herangezogen, die haben nie Demokratie und Menschenrechte gelernt.«
Watty lobt zudem den Geist des FTJ, dem es um Verständigung gehe. Gegründet wurde das Projekt 2006 in Jenin vom israelischen Regisseur Juliano Mer-Khamis – er belebte damit nach dem Ende der Zweiten Intifada das Vorgängerprojekt wieder, das seine Mutter in den achtziger Jahren gegründet hatte. Eine Schauspielschule entstand und das Theater tourte durch die Welt. Zu den Unterstützern des Projekts gehörte der langjährige Anführer der al-Aqsa-Märtyrerbrigaden in Jenin, Zakaria Zubeidi – die Terrorgruppe hatte ab 2001 Terroranschläge und Selbstmordattentate gegen israelische Zivilisten durchgeführt.
Delegitimierung Israels
Der Gründer Khamis sagte vor 15 Jahren bei einem Leipzig-Besuch vor der Presse, seine Theaterarbeit diene vor allem der Delegitimierung Israels. Zwei Jahre später wurde er in Jenin vor seinem Theater ermordet, mutmaßlich von Islamisten. Die Stadt im Westjordanland gilt als Hochburg bewaffneter Gruppen, im vergangenen Jahr fanden dort schwere Kämpfe mit der israelischen Armee statt.
Vergangenen Dezember wurde Tobasi von israelischen Streitkräften verhaftet. Dem FTJ zufolge drangen israelische Soldaten in das Theater ein, verwüsteten Büroräume und sprühten einen Davidstern an die Wand des Theaters. Neben Tobasi wurde dessen Kollege Mustafa Sheta verhaftet, der Produzent und Geschäftsführer des Theaters.
Tobasi wurde innerhalb eines Tages wieder freigelassen, doch Sheta saß den Angaben seiner Unterstützer zufolge diesen Sommer immer noch in israelischer Administrativhaft, also kraft der Entscheidung eines nichtöffentlichen Militärgerichts. Der Taz sagte ein israelischer Armeesprecher zum Haftgrund lediglich, es seien damals in einer großen Aktion in Jenin zahlreiche Verdächtige festgenommen worden, doch wer keine Verbindungen zu Terrororganisationen gehabt habe, sei nach einigen Stunden wieder freigelassen worden.
Kulturelle Intifada
Das FTJ habe sich einer »kulturellen Intifada« verschrieben, kritisiert Andrea Müller: »Auf der Euro-Scene hat ein Stück Deutschlandpremiere, in dem ein ehemaliger Terrorist von Erfahrungen aus dem bewaffneten Kampf gegen Israel erzählt, während sich das dazugehörige Theater nie vom vernichtungsantisemitischen Terrorismus abgrenzte.«
Mit Kunst Widerstand zu leisten, sei »common sense« im Kulturbereich, entgegnet der Festivalleiter. »Das Wort Intifada stößt uns hier auf. Aber das heißt erst einmal ›Erhebung‹. Widerstand an sich ist doch nicht gleichbedeutend mit Genozid.« Und: »Wenn die dritte Intifada darin besteht, dass alle anfangen, Theater zu spielen und Gedichte zu schreiben, dann haben die was gut gemacht.«
Das lässt Thomas Feist, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für Jüdisches Leben, nicht gelten. »In den Äußerungen des Theaters über soziale Netzwerke wird der Terroranschlag des 7. Oktober 2023 verharmlost«, sagt Feist der Jungle World. »Insofern ist die Einschätzung des Festivalleiters zumindest naiv, wenn nicht gar realitätsfremd.«
»Vom Fluss bis zum Meer«
Auf der Instagram-Seite des FTJ findet sich zum Beispiel ein Statement, das eine Woche nach dem 7. Oktober veröffentlicht worden ist. »Wir als Arbeiter und Aktivisten im kulturellen Feld«, heißt es dort, »erklären unsere volle und bedingungslose Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand« und mit dem »Kampf«, das Land »vom Fluss bis zum Meer zu befreien«. Und weiter: »Wir sind nichts als eine Verlängerung dieses Kampfes.«
Natürlich sei das Wort gegenüber der Gewalt zu bevorzugen, räumt Feist ein. Aber: »Dass Propaganda besser ist als Terror – dem könnte man zustimmen, wenn nicht beides Mittel im Kampf gegen das Existenzrecht Israels wären, die sich ergänzen.«
Dass das Theater aus Jenin den Terror nicht verurteilt, sehe der Leipziger Festivalleiter kritisch, sagt er. Aber solche Urteile seien leicht von der Couch aus zu fällen. »Kann man da unsere Wertmaßstäbe applizieren?«
Müller wirft dem Festival zudem einen »stillen Boykott« Israels vor, weil es dieses Jahr trotz eines Nahost-Schwerpunkts keine israelischen Theatermacher eingeladen hat. Das FTJ unterstützt die antiisraelische BDS-Boykottkampagne. Diese lehne er persönlich ab, sagt Christian Watty. »Ich kann verstehen, dass das problematisch ist. Aber was würden wir machen? Im Kontext, in dem diese Leute aufwachsen?« Dass das Theater den Terror nicht verurteilt, sehe er kritisch. Aber solche Urteile seien leicht von der Couch aus zu fällen. »Kann man da unsere Wertmaßstäbe applizieren?«
Die BDS-Kampagne fiel der Euro-Scene schließlich auf die Füße. Der Leipziger Stadtrat hatte 2019 beschlossen, BDS-Unterstützer nicht zu fördern und ihnen keine Räume zu überlassen. Die Stadt kündigte mit dieser Begründung vor zwei Wochen an, sie werde prüfen, ob sie vom Festival Zuschüsse zurückverlangen werde. Kurz darauf meldete das Festival, das Stück sei abgesetzt. Festivalleiter Christian Watty stelle »mit Bedauern fest, dass die Aufführung zum jetzigen Zeitpunkt … in Leipzig nicht gezeigt werden kann«.
* Name von der Redaktion geändert