Die nächste Verhaftung
Das war mal wieder eine Gelegenheit zu einer knalligen Überschrift. »Todesliste in Waschmaschine: Kampftrainer der linksextremen Hammerbande in Berlin verhaftet«, titelte das Berliner Boulevardblatt B.Z. am Mittwoch vergangener Woche.
Zwei Tage zuvor hatten Zielfahnder des Bundeskriminalamts und des Landeskriminalamts Sachsen in Berlin den 48jährigen Thomas J. festgenommen. Bei ihm »handelt es sich offenbar um einen hochkarätigen Gefährder«, einen »mutmaßlichen Terroristen« sogar, der in Ostdeutschland Neonazis das Leben schwer gemacht haben soll.
»Kampfhandlungen gegen die Terrormiliz ›Islamischer Staat‹ (IS)«
Mehr noch, der »Tagesschau« zufolge soll er in den Reihen der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG »als Scharfschütze ausgebildet worden sein« und möglicherweise an »Kampfhandlungen gegen die Terrormiliz ›Islamischer Staat‹ (IS)« teilgenommen haben. Die Bild-Zeitung und die B.Z. machten aus einem Zettel, den die Polizei bereits 2022 bei einer Durchsuchung in einer Waschmaschine gefunden haben soll, eine versteckte »Todesliste«.
Trotz eines europäischen Haftbefehls konnte sich J. mehr als ein Jahr lang der Festnahme entziehen. Knapp wurde es, als er im Mai 2023 in Brandenburg in eine Fahrzeugkontrolle der Polizei geriet. Die Beamten bemerkten, dass es sich um den gesuchten Antifaschisten handelte, und er raste davon.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihm die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Der Tagesspiegel schreibt: »Thomas J. wird von den Ermittlern dem Umfeld der linksextremistischen ›Hammerbande‹ um die verurteilte Lina E. zugerechnet, die mit brutalen Überfällen auf Neonazis bekannt wurde.«
»Die Hammerbande« – die Bezeichnung klingt wie aus Quentin Tarantinos kontrafaktischem Film »Inglourious Basterds«. Es klingt eher nach Bestrafungs- und Rachephantasie als nach der Wirklichkeit antifaschistischer Militanz.
J. wird zwar verdächtigt, an einem Angriff auf die Neonazi-Kneipe »Bull’s Eye« in Eisenach im Jahr 2019 beteiligt gewesen zu sein. Allerdings wird er dennoch nicht der Mitgliedschaft in der sogenannten Hammerbande beschuldigt, sondern lediglich der Unterstützung der kriminalisierten Gruppe bezichtigt. Er »stellte sich der Vereinigung als Kampftrainer zur Verfügung und veranstaltete in dieser Funktion mindestens ein Kampfsporttraining«, behauptet die Bundesanwaltschaft.
»Die Hammerbande« – die Bezeichnung klingt wie aus Quentin Tarantinos kontrafaktischem Film »Inglourious Basterds«. Es klingt eher nach Bestrafungs- und Rachephantasie als nach der Wirklichkeit antifaschistischer Militanz – nach einer abstoßenden Verrohung, von der man sich nur abwenden möchte. Das Framing als »Hammerbande« ist Stimmungsmache, die auf politische Isolation und Entsolidarisierung zielt. Das war von Anfang an ein Teil der Strategie der Behörden.
Verfassungsschutz witterte seine Chance
Es lenkt außerdem davon ab, dass die Beweislage nicht besonders klar ist. Grundlage der Ermittlungen sind die Aussagen des Kronzeugen Johannes D. Dieser gehörte anfänglich zum Kreis der Beschuldigten des sogenannten Antifa-Ost-Verfahrens. Als D. von seiner ehemaligen Freundin öffentlich der Vergewaltigung bezichtigt wurde, entzog ihm die Unterstützungsgruppe die Solidarität.
Der Verfassungsschutz witterte seine Chance und trat an den nunmehr Isolierten heran. Der Geheimdienst bot D. einen Platz im Zeugenschutzprogramm und die Möglichkeit, von der Kronzeugenregelung zu profitieren. Dafür musste er den Behörden einiges liefern. Er verriet Strukturen und Arbeitsweisen von militanten Antifa-Gruppen, nannte den Ermittlern zuvor unbekannte Personen und gab auch Hinweise zu anderen Aktionen. Er sprach dabei offenbar auch über Thomas J., den er geradezu bewundernd als besonders kompetent und professionell beschrieben haben soll.
Anschließend sagte D. vor Gericht als Kronzeuge gegen seine ehemaligen Freundinnen und Freunde aus. Der Prozess endete im Mai 2023. Die nicht vorbestrafte Angeklagte Lina E. wurde wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die Bundesanwaltschaft hatte gar acht Jahre Gefängnis gefordert. Nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft wurde E. vorläufig aus dem Gefängnis entlassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, im kommenden Februar soll die Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof beginnen.
Resignierte Einfallslosigkeit
Die drei Mitangeklagten erhielten Haftstrafen bis zu drei Jahren und drei Monaten, auch diese Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Es waren die härtesten Urteile gegen militante Antifaschisten seit Bestehen der BRD. Offenbar sollte an Lina E. und ihren Mitangeklagten ein Exempel statuiert werden. Die politische Aufarbeitung dieses Scherbenhaufens innerhalb der Antifa-Szene kommt nur sehr schleppend voran.
Thomas J., den Freunde in schwierigen Zeiten auch unter dem Namen Nanuk kennen und schätzen gelernt haben, sitzt nun in Untersuchungshaft. Einige Autonome in Berlin reagierten auf die Festnahme mit resignierter Einfallslosigkeit und libertärer Auslegung der deutschen Rechtschreibung: »Inwiefern amgesichts der massiven Repression sowie gesellschafflichen Marginalisierung der radikalen Linken nächtliche Militanz noch als politische Praxis taugt, können wir nicht beantworten«, hieß es in ihrer Erklärung auf Indymedia. »Da uns aber auch nichts Besseres eingefallen ist, um auf die kürzlich erfolgte Festnahme zu reagieren, brannte heute morgen« ein Auto in Kreuzberg, dessen Besitzer sich durch die Heckscheibenbeschriftung »klar als türkische Faschisten« ausgewiesen habe.
Weiter riefen die Verfasser des Online-Beitrags dazu auf, »sich jetzt hinter Thomas zu stellen, ihm zu zeigen, dass er die kommende Zeit nicht alleine durchstehen muss«. Den Inhaftierten bezeichnen sie als »einen verlässlichen Verbündeten im Kampf gegen Faschismus und Islamismus«. Das stimmt. In diesem Sinne, bei allen politischen und persönlichen Differenzen: Bleib tapfer, Nanuk!