Falsche Freunde
Mit Kritik hält er sich nicht zurück, egal ob es um die israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu oder um die Hamas geht. Menschen, die sich so zu Wort melden wie Ahmed Fouad Alkhatib, sind selten – und gefährdet.
Der 34jährige Blogger und Menschenrechtler ist an diesem Montag in Berlin. Die Europe Israel Press Association (EIPA), die um Aufklärungsarbeit über Israel und den Nahen Osten bemüht ist, hat ihn eingeladen, um im Haus der Bundespressekonferenz von seinen Erfahrungen zu berichten. Zu Hause in den USA trage er Schusswaffen und immer eine schusssichere Weste – »wegen der vielen Drohungen, die ich bekomme«, sagt er.
»Um für Palästina zu sein, muss ich per Definition gegen die Hamas sein.« Ahmed Fouad Alkhatib, Blogger und Menschenrechtler
Es ist früher Vormittag. Um zum Veranstaltungsraum zu gelangen, muss man eine Baustelle passieren. Langsam trudeln die Gäste ein, einige verspäten sich. Viele sind es nicht. Kaffeewünsche werden aufgenommen und Alkhatib beginnt allmählich damit, sich vorzustellen. Er ist im Gaza-Streifen aufgewachsen und war auf einer Schule der UNRWA, dem palästinensischen Flüchtlingshilfswerk, für das sein Vater und sein jüngerer Bruder gearbeitet haben. Seit seinem elften Lebensjahr ist er auf dem linken Ohr taub; wegen eines israelischen Bombenangriffs, sagt er. Seit 2005 lebt er in den USA. 31 Familienmitglieder hat er eigenen Angaben zufolge im derzeitigen Krieg verloren.
Bei einem Gespräch mit deutschen Palästinensern habe man seine verstorbenen Verwandten kürzlich als »Märtyrer« bezeichnet. »Sie wollten keine Märtyrer sein«, habe er geantwortet. »Und ich habe immer wieder gesagt, dass wir auf diesen Unsinn verzichten müssen, uns einzureden, dass unsere Leute, die getötet wurden, Märtyrer sind.« Das ist offenbar nicht gut angekommen. »Sprich in meiner Gegenwart nicht so über das Märtyrertum«, habe ihn einer gewarnt und gedroht, ihn zu verprügeln.
Bedürfnis nach einer Anti-Israel-Haltung
Er zeigt sich fassungslos, sobald er über die angeblich »propalästinensische« Szene spricht. Er selbst habe ihr einst angehört, sich vor zehn Jahren aber desillusioniert zurückgezogen. »Einige waren der Meinung, dass alles, was die Lebensqualität in Gaza verbessert, Israel gut dastehen lässt.« 2015 hat er die Organisation Project Unified Assistance gegründet, die sich für den Bau eines humanitären Flughafens im Gaza-Streifen einsetzt. Als er damaligen Weggefährten davon erzählte, hätten die Sorge gehabt, dass dann ja einige das Land verlassen könnten. »Sie sagten mir wortwörtlich, es sei fast besser, sie gegen ihren Willen dort zu lassen, um sich der zionistischen Besatzung zu widersetzen«, erinnert er sich noch immer schockiert.
»Ich glaube, dass es eine Art Bedürfnis gibt, eine so vehemente Anti-Israel-Haltung einzunehmen, die der tatsächlichen Hilfe für die Palästinenser in Gaza im Weg steht.« »In einer akademischen Vorlesung mag das sexy klingen, uns als die Underdogs darzustellen«, sagt er. »Ich glaube aber an Eigenverantwortung.«
Großen Teilen der sogenannten Palästina-Solidarität wirft er vor, den 7. Oktober in einen falschen Kausalzusammenhang zu stellen und damit der Propaganda der Hamas auf den Leim gegangen zu sein. »Um für Palästina zu sein, muss ich per Definition gegen die Hamas sein.« Mit dem 7. Oktober habe die Popularität der Hamas in den Vereinigten Staaten und Europa in einem Ausmaß zugenommen, wie es ihm zuvor undenkbar erschien.
»Schwachköpfe«, die die Lügen der Hamas teilen
Mitte Oktober hat die Monitoring-Stelle Democ eine Recherche zu der in verschiedenen europäischen Ländern aktiven antizionistischen Gruppe Masar Badil veröffentlicht. Zu den Gästen ihrer Online-Seminare zählen ranghohe Hamas-Funktionäre, die ihrem Publikum demnach auch mal schmeicheln: »Die Bewegungen an Universitäten im Westen sind sehr wichtige Bewegungen.«
»Ich glaube, dass wir als Palästinenser trotz des Machtungleichgewichts zwischen Israel und den Palästinensern eine Wahl haben, die wir treffen können. Der 7. Oktober war eine Wahl, keine Unvermeidbarkeit. Er war keine Notwendigkeit.« Er erinnert an die vielen Möglichkeiten, die es bereits gegeben habe, ohne israelische Militärpräsenz und ohne Blockaden sich selbstbestimmt als Nation zu entwickeln. Die Hamas habe diese Bestrebungen aber mit ihrem Hass auf Israel und ihrer Propaganda des bewaffneten Widerstands unterminiert. Umso verärgerter ist er, wenn »Schwachköpfe« in Europa und den Vereinigten Staaten die Lügen der Hamas teilen.
Alkhatib geht im Umgang mit ihnen so vor: ansprechen, konfrontieren und versuchen zu überzeugen. In Einzelgesprächen sind seiner Überzeugung nach Propagandisten der sogenannten Palästina-Solidarität noch immer zu erreichen. Er spricht von diesen Gesprächen als Samen, die gesät werden müssen. Bei aller Schimpferei klingt er fast ein wenig hoffnungsvoll.
Genügend Gründe, gegen die Hamas zu sein
Die Proteste hierzulande sieht er kritisch. Alkhatib ist für pragmatische Lösungen, die den Menschen im Gaza-Streifen tatsächlich helfen. Er hat sich lange für den Abwurf von Hilfsgütern im Rahmen einer Luftbrücke eingesetzt, wie es nun seit Anfang des Jahres Praxis ist. »Wenn Israels Sicherheitsbedürfnis garantiert ist, dann profitiert die palästinensische Bevölkerung an Ort und Stelle.« Damit helfe man nicht nur den Menschen, sondern schwäche zudem die Hamas. Denn wo immer ihr Zugriff schwindet, wird der Unmut in der Bevölkerung lauter.
Die Menschen im Gaza-Streifen, so Alkhatib, hätten genügend Gründe, gegen die Hamas zu sein. Im Sommer vergangenen Jahres haben sie wie bereits 2017 gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die chronischen Stromausfälle im Gaza-Streifen protestiert. Es brannten Hamas-Flaggen. In Deutschland hat das nur wenige interessiert.
Nun kommen noch die katastrophalen Folgen des Kriegs hinzu. Bereits im Januar liefen laut der Jüdischen Allgemeinen erneut Menschen durch die Straßen des Gaza-Streifens und riefen: »Wir wollen Frieden!« Eine Person trug dabei demnach eine große weiße Flagge als Zeichen der Kapitulation, ein anderer ein Schild, auf dem zu lesen war: »Der Krieg ist zu Ende.«
»Ich würde sagen, dass die Unterstützung für die Hamas im Gaza-Streifen nach dem 7. Oktober am Boden ist.« Ahmed Fouad Alkhatib
An einem weiteren Protest seien hauptsächlich Frauen und Mädchen beteiligt gewesen, die die Hamas aufgefordert hätten, die israelischen Geiseln freizulassen. »Damit auch wir wieder nach Hause zurückkehren können«, habe es auf einem Schild als Begründung geheißen. Solidarität mit diesen Protesten blieb hierzulande aus.
»Sie verfluchen die Hamas«, sagt Alkhatib. »Sie sind wütend auf Israel wegen der massiven Zerstörung, die sie als unverhältnismäßig empfinden.« Die Hamas gelte ihnen aber als »größere existentielle Bedrohung« als die Israelis. »Ich würde sagen, dass die Unterstützung für die Hamas nach dem 7. Oktober am Boden ist.« Allerdings betont er, nur vom Gaza-Streifen zu sprechen. »Die Hamas ist im Westjordanland viel populärer als im Gaza-Streifen.«
Die Jugend im Gaza-Streifen ist seine große Hoffnung. »Die verfolgen die sozialen Medien und wissen, wie das Leben sein könnte.« Nach diesem Krieg, da ist er sich sicher, glaubt niemand mehr, dass der »bewaffnete Widerstand« eine Lösung ist. »Wir müssen eine Nation aufbauen und nicht gegen Israel kämpfen.«