07.11.2024
Das Deutsche Historische Museum zeigt die Ausstellung »Was ist Aufklärung?«

Objektwelt der Aufklärung

Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet der Aufklärung eine Ausstellung, die allerdings deren Dialektik vernachlässigt.

Als die Ausstellung »Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert« im Deutschen Historischen Museum in Berlin geplant wurde, wurde über die Frage nach dem »kolonialen Denken« und »kolonialem Handeln« der Aufklärer intensiv debattiert. So erinnerte sich jedenfalls der Leiter des Museums, Raphael Gross, in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung am 16. Oktober.

Dann aber kam das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und die »Schattenseiten einer gewissen überbordenden Aufklärungskritik« wurden deutlich. In diesem Sinne, so Gross, werde die Ausstellung jetzt in »einem anderen Kontext« ­eröffnet.

Diese Zerrissenheit (hier das Verlangen, die postmoderne Aufklärungskritik zu rezipieren, dort das Verlangen, die Grenzen dieser Kritik aufzuzeigen) merkt man der fertigen Ausstellung allerdings nicht an. Eher gewinnt man den Eindruck, dass sich deren Kuratorin, die Literaturwissenschaftlerin Liliane Weissberg, in Anbetracht einer wachsenden Aufklärungsfeindschaft mit dem Rückzug auf die historischen Tatbestände behilft. Die Quellen und Objekte des 18. Jahrhunderts, wie Goethes »Große Scheiben-Elektrisiermaschine«, sollen für sich selbst sprechen. Das ist eine gute Strategie in Zeiten, in denen historisches Bewusstsein schwindet, allerdings birgt sie auch das Risiko, mit Hilfe antiquarischer Objekte bloß Geschichte zu treiben und den drängenden Fragen der Gegenwart aus dem Weg zu ­gehen.

Aufklärung geht nicht allein in Erfindertum, rationalem Erkenntnisinteresse und Ordnungsdenken auf, wie die Ausstellung mancherorts nahelegt.

In seinem monumentalen Essay »Betrachtungen eines Unpolitischen« von 1918 entgegnet der damals noch deutschnationalistisch denkende Thomas Mann den am historischen Materialismus geschulten Schriftstellerkollegen: »Zieht man von der Französischen Revolution ›die Philosophie‹ ab, so bleibt die Hungerrevolte.« Mann wollte damit an die Kraft der aufklärerischen Ideen erinnern, ohne die seiner Ansicht nach die Revolution von 1789 überhaupt nicht hätte heranreifen können. Trotzdem streicht er die Hungerrevolte nicht aus seiner Rechnung heraus. Die Ausstellung über die Epoche der Aufklärung allerdings redet vordergründig über die Ideen, nicht das Elend.

Die Aufklärung, so lernt man in den zwölf Sektionen mit Überschriften wie »Suche nach Wissen«, »Die Ordnung der Welt«, »Die Frage der Religion«, »Die Bedeutung der Pä­dagogik«, »Geschlechtermodelle« oder »Merkantilismus und Weltbürgertum«, musste nicht erkämpft werden – sie wurde erdacht. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man an den Büsten der großen Philosophen und ihren sehr ansehnlichen Erstausgaben, den unzähligen Bänden der Enzyklopädie und Sa­lon-Stillleben großer Künstler vorbeischlendert.

Kant und die Aufklärung

Immanuel Kant, den seine Zeitgenossen im Übrigen »der alte Jako­biner« nannten, hätte in seinem Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« (1784) nicht vom »Mut« sprechen müssen, seinen Verstand zu gebrauchen, wäre dies damals nicht mit der Gefahr körperlicher Strafen verbunden gewesen. Die Aufklärung war eine gedanklich wie körperlich erstrittene Revolution, die das Joch der Unterdrückung abwerfen wollte.

Aufklärung geht also nicht allein in Erfindertum, rationalem Erkenntnisinteresse und Ordnungsdenken auf, wie die Ausstellung mancherorts nahelegt. Die Revolutionen am Ende des 18. Jahrhunderts, die Amerikanische, Französische und Haitianische Revolution, die in der Ausstellung nur in ihren Ergebnissen, das heißt durch Exponate der Verfassungsschriften, dargestellt werden, können hierbei nicht weggedacht werden.

 Immanuel Kants Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«

Titelseite von Immanuel Kants Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, in: Berlinische Monatsschrift, Berlin, 1784

Bild:
Deutsches Historisches Museum

Einen Schwerpunkt legt die Ausstellung auf die deutsche Aufklärung. Für diese stehen vor allem die Namen Kant, Moses Mendelssohn, Johann Joachim Winckelmann und Friedrich II. von Preußen. Letzterer wird allgemein auch als aufgeklärter Absolutist oder Aufklärerkönig beschrieben. Jedenfalls erfährt man in der Ausstellung, dass der »alte Fritz« in Preußen die Freiheit gewährte, Religion nach eigener Façon auszuüben, und Voltaire zu sich einlud.

Immer wieder wird in den verschiedenen Sektionen auf den König Bezug genommen, was unverhältnismäßig anmutet (wenngleich Friedrich eine wichtige Gestalt der deutschen Aufklärung sein mag). Denn hier hat man es allenthalben mit Halbaufklärung zu tun. Der absolutistische Herrscher hätte sich, den Idealen der radikaleren französischen Aufklärer gemäß, wohl kaum selbst an den Strick gebunden.

»All men are created equal«

Dem Anspruch des Museums nach soll Aufklärung nicht bloß als »Fortschrittsprojekt«, sondern genauso als Konflikt um »Konzepte und Forderungen« des Zeitalters gezeigt werden. Hierfür bezieht die Ausstellung Geschlechterfragen, die Rolle des Kolonialismus sowie das Bemühen um die politische Integration der Juden in Europa mit ein. Dabei soll die Kluft zwischen dem Anspruch der Aufklärung und deren Realisierung thematisiert werden.

Etwa wie folgt: Thomas Jefferson verfasste federführend die »Declaration of Independence« der USA, inklusive der Worte »all men are created equal« – und besaß gleichzeitig Sklaven. Unterdessen, so erinnert die US-ame­rikanische Historikern Annette Gordon-Reed in einem Interview (das wie andere Gespräche in die Ausstellung integriert ist), beruft sich beispielsweise die »Black Lives Matter«-Bewegung in den Vereinigten Staaten heute noch auf diesen zweiten Satz der Unabhängigkeitserklärung. Jeffersons Feststellung scheint damit in ihrer Universalität weiter relevant zu sein.

Weniger ambivalent heißt es zu Beginn der Ausstellung: »Die Philosophen der Aufklärung hielten die Frauen nicht für vernunftbegabt.« Zum Glück werden solche pauschalen Behauptungen an machen Anzeigetafeln an anderer Stelle wieder ­relativiert. Die Philosophin Martha Nussbaum erinnert in einem Interview an die 1759 geborene Mary Wollstonecraft, eine der ersten Frauenrechtlerinnen, und daran, dass auch viele männliche Intellektuelle selbstverständlich die Gleichstellung aller Menschen einforderten. Das Prinzip der Ausstellung wird deutlich: Anklagen gegen die Aufklärung werden thematisiert, um sie dann zur Diskussion zu stellen.

Aufklärung und Rassismus

Auch die Debatte über den Zusammenhang zwischen Aufklärung und Rassismus ist Thema in der Ausstellung, so beispielsweise das Ordnungsdenken eines Carl von Linné, welches von der Klassifikation von Pflanzen schlussendlich zum Kategorisieren von Menschen und damit zu rassistischem Gedankengut geführt haben soll. Doch beim Thema Kolonialismus und Aufklärung bleibt die Frage offen, worin genau, abseits vom kategorialen Denken, der Zusammenhang zwischen beidem besteht.

Dass Ordnungsdenken zwangsläufig in den Rassismus führt, mutet als eine zu grobe Schlussfolgerung an. Klassifizierungsdenken allein führt noch längst nicht dazu, dass Menschen andere Menschen unterwerfen. Dazu braucht es streng genommen keine moderne Legitimation. Herrschaft ist durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch hinlänglich bekannt, ebenso wie Ansätze aufgeklärten Denkens, die sich bereits bei Homer finden lassen.

An unterschiedlichen Stellen der Ausstellung taucht die richtige Feststellung auf, dass bestimmte Teile der Bevölkerung, wie schwarze Menschen und Frauen, keinen Zugang zu den von Aufklärern eingeforderten Rechten hatten. Damit gerät allerdings eine andere Facette in den Hintergrund – der Kapitalismus. Denn mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft als Resultat der Aufklärung wurde der Großteil der Bevölkerung »doppelt frei«, wie Karl Marx einst feststellte: frei, seine Arbeitskraft zu verkaufen, und frei von Eigentum.

Dialektik von Herrschaft und Emanzipation

Das machte die sehr dezimierte »Freiheit« der arbeitenden Bevölkerung aus – das umfassende Freiheitsversprechen galt lediglich für die bürgerliche Klasse. Es hat viele Kämpfe des Proletariats benötigt, um zu mehr Freiheit zu gelangen, genauso wie für die »weniger Privilegierten«. Die Einschätzung, dass schwarze Menschen und Frauen von den Aufklärern prinzipiell nicht ­bedacht worden seien, lässt es so erscheinen, als wäre die Freiheit für alle anderen Menschen bereits verwirklicht worden – ein Missver­ständnis.

Die Besucher des Deutschen Historischen Museums werden mit einer ungeheuren Anzahl an Objekten konfrontiert. Mehr als 400 sollen es sein. Man muss hier eigentlich von einer Objektwelt der Aufklärung sprechen, die durchaus imposant ist und großartige Einzelstücke enthält, etwa eine Zielscheibe eines deutschen Schützenvereins von 1792, die mit Symbolen der Jakobiner bespickt ist – die deutsche Konterrevolution lässt grüßen. Auch kleine Maschinen, Modelle, Zeichnungen, Teleskope und vieles mehr machen anschaulich, was Aufklärung bedeutete.

Manchmal allerdings erscheinen die Objekte nicht als Gegenstände, mit denen Erkenntnis vermittelt werden soll. Die begleitenden Texte und deren Einordnung sind zu zurückhaltend. Gerade mit Blick auf die sich gegenwärtig erneut formierende ­Gegenaufklärung ließe sich ein Votum für die Aufklärung fällen, in dem deren Dialektik von Herrschaft und Emanzipation deutlicher zum Tragen kommt.

Die Ausstellung »Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert« im Deutschen Historischen Museum in Berlin ist noch bis zum 6. April 2025 zu sehen.