14.11.2024
Ein sächsischer AfD-Politiker steht im Verdacht, Mitglied einer Terrorgruppe gewesen zu sein

Sächsischer Sumpf

Die Polizei hat eine mutmaßliche Nazi-Terrorgruppe ausgehoben: die »Sächsischen Separatisten«, kurz: »SS«. Drei der acht Festgenommenen sind AfD-Mitglieder, einer von ihnen ist Vorsitzender eines Kreisverbands.

Schusswaffen und dazugehörige Munition, Schalldämpfer, dazu Patronen für Kalaschnikow-Gewehre und Einzelteile mutmaßlicher Kriegswaffen wie die Hülse einer Mörsergranate – es war ein ziemliches Arsenal, das die Polizei Anfang November bei einer großangelegten Razzia gefunden hat.

Diese richtete sich gegen eine bis dahin unbekannte rechtsextreme Gruppe, die »Sächsischen Separatisten« (als Kürzel: »SS«). Rund 20 Objekte wurden durchsucht – in Leipzig und Umgebung, in Dresden, in einem Ort im Landkreis Meißen, im polnischen Zgorzelec; dazu kamen in Österreich ein Objekt in Wien und eines im Bezirk Krems-Land. Die Razzia ging auf Hinweise der US-amerikanischen Bundespolizei FBI zurück, die Informationen über die Gruppe an deutsche Stellen weiterleitete.

Die acht festgenommen Verdächtigen sind auffallend jung – der älteste ist gerade mal 25 Jahre alt. Den Haftbefehlen zufolge sollen die Festgenommenen die Vereinigung spätestens im November 2020 gegründet haben. Die Bundesanwaltschaft meint, ihre Ideologie sei von »rassistischen, antisemitischen und in Teilen apokalyptischen Vorstellungen geprägt«.

An einem »Tag X« habe die Gruppe demnach mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und gegebenenfalls auch in anderen ostdeutschen Ländern erobern wollen, um dort ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu errichten. »Unerwünschte Menschengruppen sollen notfalls durch ethnische Säuberungen aus der Gegend entfernt werden«, ließ die Bundesanwaltschaft verlauten.

Die Durchsuchungen richteten sich auch gegen weitere sieben Beschuldigte – die Gruppe soll insgesamt aus 15 bis 20 Personen bestanden haben. Zur Vorbereitung sollen die Mitglieder der Gruppe paramilitärische Trainings mit Kampfausrüstung veranstaltet haben. Dabei wurden nach Angaben der Bundesanwaltschaft »insbesondere der Häuserkampf, der Umgang mit Schusswaffen, Nacht- und Gewaltmärsche sowie Patrouillengänge« eingeübt. Die Gruppe schaffte sich außerdem militärische Ausrüstungsgegenstände an, darunter Tarnfleckanzüge, Gefechtshelme, Gasmasken und Schutzwesten.

Im Kern sollen die »Sächsischen Separatisten« aus vier Personen bestanden haben, darunter zwei Brüdern, Jörg und Jörn S. Deren Vater, Hans Jörg S., ist ein bekannter österreichischer Neonazi. 1995 wurde er in Österreich wegen NS-Wiederbetätigung rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt – dieser Paragraph ist Teil des österreichischen Verbotsgesetzes, welches die Entnazifizierung in dem Land gesetzlich regelt. In den achtziger Jahren organisierte Hans Jörg S. Wehrsportübungen für Rechtsextreme. Er gehörte zum Umfeld der von Gottfried Küssel angeführten Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition (Vapo), einer paramilitärische Nazi-Organisation. In den neunziger Jahren siedelte S. nach Leipzig über.

Die Linkspartei-Politikerin Martina Renner berichtet, »das Konzept eines ›Tag X‹« habe sich in rechten Kreisen immer stärker verbreitet.

Unter den acht Festgenommen waren mindestens drei AfD-Mitglieder. Der bekannteste Verdächtige ist der sächsische Kommunalpolitiker Kurt Hättasch. Er war Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Grimma und seit kurzem Schatzmeister beim sächsischen Jugendverband der AfD, der Jungen Alternative. Außerdem arbeitete er im Landtagsbüro des AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner. Seine Frau ist die Tochter von Thomas Sattelberg, ehemaliger Anführer der verbotenen Neonazi-Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz. Bei seiner Festnahme wurde Hättasch offenbar durch eine Polizei-Kugel am Kiefer verletzt. Er soll die anrückende Polizei mit einer eigenen Waffe bedroht haben.

Hättasch sei nicht »irgendwer«, sondern langfristig »von der AfD hier aufgebaut« worden, sagte die ehemaligen sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linkspartei) dem Tagesspiegel. Dabei waren seine Kontakte in die Neonazi-Szene der Leipziger Volkszeitung zufolge »gut dokumentiert«. Ein weiterer Beschuldigter war in Grimma ebenfalls für die AfD in der Kommunalpolitik und in lokalen Vereinen tätig.

Ehemaliger Berliner CDU-Finanzsenator gab Geld

»Die AfD ist nicht nur parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus, sie ist auch integraler Teil davon«, kommentierte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linkspartei) die Razzia auf Anfrage der Jungle World. Sie erinnert an »die Rolle der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkelmann als mutmaßliches Mitglied des Terrornetzwerkes um Prinz Reuß.

Renner zufolge überschneiden sich die Pläne der »Sächsischen Separatisten« mit Zielen der AfD, die »mittlerweile ganz offen eine ›Remigration‹ fordert«. Deshalb frage sie sich, was »es noch braucht, um im Bundestag endlich das AfD-Verbot auf den Weg zu bringen«.

Hättasch hat gemeinsam mit zwei weiteren Verdächtigen eine Immobilie in Grimma gekauft, die ebenfalls von der Polizei durchsucht wurde. Dort sollte offenbar eine Art Szenetreff entstehen. Am Montag berichte der Spiegel, dass der ehemalige Finanzsenator von Berlin, Peter Kurth, ihnen dafür ein Darlehen von 100.000 Euro gegeben hat. Kurth bestätigte demnach, dass er Hättasch »seit einiger Zeit« kenne. Der ehemalige CDU-Politiker war Ende 2023 aus der Partei ausgetreten. Im Januar wurde bekannt, dass er 2019 für ein »patriotisches Hausprojekt« der rechtsextremen Identitären Bewegung im österreichischen Steyregg 120.000 Euro überwiesen haben soll.

Kontinuität rechtsterroristischer Strukturen

»Wir beobachten die über viele Jahre währende Kontinuität in der Bildung rechtsterroristischer Strukturen wie dem NSU, der Gruppe Freital, der Feuerkrieg-Division, insbesondere in Sachsen«, sagte Juliane Nagel, die Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion der Linkspartei im sächsischen Landtag, der Jungle World.

Daher liege auch die Annahme nahe, »dass weitere Zellen dieser Art existieren«. Insgesamt geht die in ihrem Leipziger Wahlkreis direkt gewählte Politikerin davon aus, dass derzeit vieles »auf ein erhebliches Gefährdungspotential hindeute«. Das dürfe man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Renner zufolge hat »sich das Konzept eines ›Tag X‹ immer stärker in rechten Kreisen verbreitet« – also der Traum von der Machtübernahme in einem gesellschaftlichen Krisenmoment, auch mit militärischen Mitteln. Das hat Tradition in der Familie S.: »Die Pläne der ›Sächsischen Separatisten‹ erinnern ideologisch an Küssels Vapo, für die Hans Jörg S. einst Wehrsportübungen organisiert hatte«, schrieb die österreichische Tageszeitung Der Standard vergangene Woche.