Schweigen ist Goldin
Überraschend war es nicht, dass die Künstlerin Nan Goldin am 22. November ihre Retrospektive »This Will Not End Well« in der Neuen Nationalgalerie in Berlin mit einer haarsträubenden Rede eröffnen würde und Klaus Biesenbach, der Direktor des Museums, nach ihr aufgrund von ihn niederschreienden Aktivisten zunächst nicht sprechen konnte.
Goldins Rede war eine Mischung aus Propaganda, Lügen und Geschichtsklitterung. Zu Beginn bat sie um Schweigen für die, wie sie sagte, 44.757 von israelischen Kräften getöteten Palästinenser, bat also explizit darum, auch der getöteten Hamas-Soldaten zu gedenken, deren Zahl im August auf etwa 8.000 bis 17.000 geschätzt wurde.
Propaganda, Lügen und Geschichtsklitterung
Immerhin, auch der israelischen Opfer des 7. Oktober wurde gedacht, allerdings explizit nur der 815 Zivilisten – die 397 Sicherheitskräfte, die beim Versuch, das Massaker der Hamas zu beenden, ihr Leben ließen, waren der Künstlerin kein Gedenken wert, ebenso wenig die etwa 100 israelischen Geiseln, die sich immer noch im Gaza-Streifen befinden und die sie in ihrer etwa 15minütigen Rede nicht einmal erwähnte.
Museumsdirektor Klaus Biesenbach bekundete, mit Goldins Meinung zwar nicht übereinzustimmen, aber »für ihr Recht, frei zu sprechen«, einzustehen. Aber sind Lügen unschuldige Meinungen, denen man »Raum geben« sollte?
Stattdessen die übliche Leier: Kritik an Israel sei mit Antisemitismus »verquickt« worden, Antizionismus habe »nichts« mit Antisemitismus zu tun. Teile des Publikums, die sich martialisch mit Flaggen, Kufiyas und Bannern in und vor dem Museum postiert hatten, quittierten die Aussagen mit frenetischem Jubel.
»Meine Großeltern entkamen den Pogromen in Russland«, führte Goldin über ihre jüdische Familie aus. »Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind.« Sie sei mit dem Wissen über den »Nazi-Holocaust« aufgewachsen – und nährte dann trotzdem die geschichtsvergessene, antisemitische Trope, die israelischen Juden seien die neuen Nazis. Zwischendurch raunte sie, in Synagogen in den USA würde jetzt waterfront real estate auf Palestinian land verkauft – und insinuierte damit, dass der derzeitige Krieg in Gaza auch dazu diene, Juden an einer »Uferpromenade« anzusiedeln.
»Genozid in Gaza und Libanon«
Besonders häufig aber führte Goldin das Wort »Genozid« im Munde. Einen solchen sieht sie abstruserweise sogar im Krieg gegen die Hizbollah, sprach sie doch vom »Genozid in Gaza und Libanon«. Doch auch wer in Hinblick auf den Krieg gegen die Hamas den Begriff »Genozid« bemüht, diskreditiert sich selbst.
Nicht nur, weil Israel eben schlicht nicht das Ziel verfolgt, »eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«, wie die Uno den Begriff definiert, sondern auch, weil der Begriff »Genozid« seit Jahrzehnten einer der propagandistischen Kernbegriffe des linken und islamistischen Antisemitismus ist – während die Bevölkerung des Gaza-Streifens in derselben Zeit kontinuierlich wuchs.
Mit ihrem eigentlichen Plan hielt Goldin dann auch nicht hinterm Berg: »Ich habe meine Show als Testfall gesehen, ob es einem Künstler in meiner Position erlaubt ist, seine politischen Standpunkte zu äußern, ohne gecancelt zu werden. Ich hoffe, dass ich anderen Künstlern den Weg ebne, ihre Meinung zu äußern, ohne zensiert zu werden.«
Ihr Plan scheint aufzugehen. Direktor Biesenbach bekundete, mit Goldins Meinung zwar nicht übereinzustimmen, aber »für ihr Recht, frei zu sprechen«, einzustehen. Aber sind Lügen unschuldige Meinungen, denen man »Raum geben« sollte? Man muss Goldins Drohung ernst nehmen, sie wird wohl weitere Künstler dazu anstacheln, ihrem Wahn freien Lauf zu lassen. Dem als Institution einen Riegel vorzuschieben, hat nichts mit Zensur zu tun, sondern wäre vernünftiger, als Einpeitscher vom Schlage Nan Goldin zu hofieren und ihre mut- und böswilligen Verzerrungen der Realität damit als legitime Meinung zu adeln.