Filmsucht in Finnland
In jeder Sprache gibt es Formulierungen, die charakteristische Sachverhalte beschreiben und die es so in anderen Sprachen nicht gibt. Die vietnamesische Wendung ghi’ên phim lässt sich mit »süchtig nach Filmen« übersetzen, doch ist der stehende Begriff damit nur unzureichend übertragen.
Der Ausdruck ist auch einer der wenigen, die der 1989 im finnlandschwedischen Jakobstad geborene Quynh Tran in seinem autobiographisch grundierten Roman »Schatten und Wind« auf Vietnamesisch verwendet, wenn er davon erzählt, wie seine vietnamesische Mutter die in Finnland lebende Familie und die dortige Nachbarschaft mit Filmen aus der alten Heimat versorgt.
Tran hat den inzwischen in viele Sprachen übersetzten Roman auf Schwedisch verfasst. Mit leichter Hand gelingt es ihm, das Leben der dreiköpfigen Migrantenfamilie in einer finnischen Kleinstadt anschaulich zu machen. Dass die namenlose Mutter Má genannt wird, verrät, dass die Familie aus Südvietnam stammt, denn im Norden wird Me verwendet.
Quynh Tran integriert immer wieder sprachliche Verweise und popkulturelle Referenzen, die viel über die porträtierten Personen preisgeben.
Tran erzählt von einem Alltag, wie ihn viele eingewanderte Menschen erleben: die Suche nach Arbeit, die Freude an den kleinen Dingen wie einem Ausflug zum Beerenpflücken, das Staunen über die Ordnung in der zweiten Heimat.
Dabei integriert er immer wieder sprachliche Verweise und popkulturelle Referenzen, die viel über die porträtierten Personen preisgeben. Wong Kar-Wais Film »In The Mood For Love« wird ebenso gewürdigt wie der Chansonsänger Trinh Công So’n.
Da ist der in die Pubertät gleitende große Bruder, der nur den obersten Hemdknopf schließt und damit seine musikalische Vorliebe für Rap anzeigt. Der in Malmö lebende und als Psychologe arbeitende Autor beschreibt die Menschen in seiner Umgebung auf sowohl freche als auch liebevolle Weise. Und ein Hauch Melancholie liegt auch noch über der Szenerie.
Quynh Tran: Schatten und Wind. Aus dem Schwedischen von Andreas Donat. Residenz-Verlag, Wien 2024, 256 Seiten 24 Euro