12.12.2024
Das Stück »Catarina and the Beauty of Killing Fascists« sorgte in New York für einen Skandal

Die Rituale der Selbstvergewisserung

Das Theaterstück »Catarina and the Beauty of Killing Fascists« stellt die Frage, ob es vertretbar ist, für die Sache der Revolution Menschenleben zu opfern – und führte bei seiner Vorführung in New York City im November zu einem kleinen Skandal. Über einen Theaterabend nach der US-Präsidentschaftswahl.

Manchmal trifft ein Theaterstück einen Nerv. Das war in den Tagen nach der US-Präsidentschaftswahl in der Brooklyn Academy of Music (BAM) in New York City zu beobachten. Diese Institution mit mehreren Spiel­orten im Borough von Brooklyn beherbergt neben einem Opernhaus und einem Kino mit Arthouse-Programm auch ein Off-Broadway-Theater. So nennt man in New York Theater, die sich weniger auf große Show und eine Besetzung mit Hollywood-Stars verlassen als die Häuser am Broadway in Manhattan, sondern Raum auch für künstlerische Spielformen bieten, wie sie in Deutschland das ­Geschäft der Staats- und Stadttheater sind.

Die einzelnen Familienmitglieder lassen sich als linke Charaktermasken deuten. Sie stehen für unterschiedliche Weisen des Umgangs mit dem Scheitern revolutionärer Ambitionen.

Zu sehen war im Harvey-Theater in fünf Vorstellungen zwischen dem 13. und 17. November die Produktion »Catarina and the Beauty of Killing Fascists«, die bereits 2020 in Portugal Premiere gefeiert hatte und seitdem durch europäische Theatern tourt und unter anderem bei den Wiener Festwochen (2021) Station machte. Geschrieben und inszeniert hat das Stück Tiago Rodrigues, der seit 2022 das Festival d’Avignon leitet – gespielt wurde es auch in New York City in der ursprünglichen Besetzung und auf Portugiesisch.

Wie der Titel, auf Deutsch: »Catarina oder von der Schönheit, Faschisten zu töten«, verspricht, dreht sich das Stück um die Frage politischer oder revolutionärer Gewalt und scheint damit in der Tradition der Brecht’schen Lehrstücke zu stehen. Ein Lehrstück wird an diesem Abend tatsächlich gegeben, aber trotz wiederkehrender Anspielungen auf Bertolt Brecht eines, das mehr Licht auf die politische Orientierungslosigkeit des liberalen New Yorker Publikums in der Woche nach der Wiederwahl von Donald Trump wirft als auf Grundfragen politischen Handelns.

Ritualisierte Rache

Das Szenario wirkt wie eine ins Absurde gewendete Lehrstücksituation. Geht es etwa in Brechts »Die Maßnahme« um eine Gruppe von Revolutionären, die darüber entscheiden muss, einen der ihren für die Sache zu opfern, so handelt »Catarina« von einer eigentümlichen Familientradition: Wie jedes Jahr trifft sich eine portugiesische Familie, deren Mitglieder größtenteils in Lissabon leben, auf dem Land. In dem Haus, in dem einst die Großmutter lebte, wird nicht nur nach deren Rezepten gekocht, es wird auch ein Ritual zele­briert, das sie den Nachgeborenen in einem Brief vermacht hat: Jedes Jahr entführt die Familie einen Faschisten und erschießt ihn.

Die Großmutter selbst hat diese Tradition begründet: Nachdem sie unter der Herrschaft des portugiesischen Diktators António de Oliveira Salazar hatte miterleben müssen, wie ihre Freundin Catarina von einem Offizier erschossen wurde, rächte sie die Tat – an ihrem eigenen Ehemann; denn dieser, damals selbst Soldat, sah tatenlos zu. Die Wiederholung dieser Rache wird zum Auftrag an die folgenden Generationen, die ihn weiter erfüllen, auch nachdem mit der Nelkenrevolution der Faschismus in Portugal überwunden wurde.

Man folgt auf der Bühne nun den Ereignissen in der nahen Zukunft: Im Jahr 2028 ist eine der beiden jüngsten Töchter des Clans zum ersten Mal an der Reihe zu töten, womit das ­Ritual die Qualität einer Initiation gewinnt. Und in diesem Jahr haben sich die Umstände verändert: Vor kurzem hat eine populistische, neofaschistische Partei die Wahlen in Portugal gewonnen und schickt sich an, die demokratischen Institutionen von innen zu zerstören; immer wieder ist die Rede von einer Änderung der Verfassung. Doch als der Moment gekommen ist, vermag die Tochter nicht zu schießen. Sie hat Zweifel am Sinn und an der moralischen Rechtfertigung des Rituals.

Linke Charaktermasken

In seinen starken Momenten ent­wickelt das Stück eine dramatische Auseinandersetzung mit einem Problem, das schon Georg Büchners Drama »Dantons Tod« (1835) aufwarf und dem sich später Brecht mit »Die Maßnahme« (1930) sowie, als Reaktion darauf, Heiner Müller mit »Mauser« (1970) gewidmet haben. Die Rede ist von dem Problem der politischen Gewalt und ihrer mora­lischen Rechtfertigung: Ist es vertretbar, für die Sache der Revolution Menschenleben zu opfern?

Den in all diesen Stücken wiederkehrenden Konflikt zwischen einer »jesuitischen« und einer »kantianischen« Antwort entspannt sich in »Catarina« zwischen Mutter und Tochter. Erstere, von Isabel Abreu mit den verhärteten Zügen gespielt, die bei Büchner der gnadenlose Konsequentialist Robespierre trägt, geht davon aus, dass der Zweck die Mittel heiligt: Wer das Gute wolle, müsse auch bereit sein, dafür zu töten. Die Tochter mag diesem Kalkül nicht folgen, sie bezweifelt, dass Töten jemals gerechtfertigt sein könne. Während die Mutter die Interessen des Kollektivs, hier der sich als antifaschistische Avantgarde imaginierenden Familie, vertritt, sieht die Tochter nur das Individuum und seine Unersetzlichkeit.

An einigen schwächeren Stellen driftet diese Auseinandersetzung in steriles Diskurstheater ab, etwa dort, wo auch noch das Thema Veganismus mitverhandelt wird, was als verkrampfter Aktualisierungsversuch erscheint, oder dort, wo das unsägliche Trolley-Dilemma, ein zum populären Meme mutiertes Gedankenexperiment aus der analytischen Philosophie, angeführt wird, ohne dass klar würde, was das soll. Allerdings gelingt es der Inszenierung, mit dramaturgischen Mitteln die Aporien aufscheinen zu lassen, in die sich beide Positionen am Ende hineinmanövrieren: Das Töten für das Gute findet kein Ende und macht es damit zunichte; und die Suche nach dem gewaltfreien und damit moralisch reinen Handeln ist aussichtslos in einer Welt der Gewalt.

Überhaupt zerfällt der Schein, die Familie bilde eine eingeschworene Gemeinschaft, im Laufe des Stücks immer mehr. Zu Anfang wird dieser Schein aufgebaut: Die Familienmitglieder sind ab dem Moment, an dem sie in den Raum des Rituals eintreten, wie es in Brechts »Maßnahme« über die die Revolutionäre heißt, »allesamt ohne Namen«. Darum sprechen sie sich gegenseitig nur mit »Catarina« an, dem Namen der ermordeten Antifaschistin. Sie ist nach der Landarbeiterin Catarina Eufémia gemodelt, die bei einem Streik im Jahr 1954 erschossen wurde und der in Portugal als einer Art antifaschistischer Märtyrerin gedacht wird. Überdies tragen auf der Bühne alle, unabhängig von ihrem Geschlecht, die Tracht einer solchen einfachen Frau vom Land aus dem vorigen Jahrhundert.

Setzt zur großen Rede an. Romeu Costa (links) spielt im Stück den gekidnappten Faschisten

Setzt zur großen Rede an. Romeu Costa (links) spielt im Stück den gekidnappten Faschisten

Bild:
Maria Baranova

Während der Konflikt zwischen Mutter und Tochter aufbricht, treten auch die anderen Familienmitglieder augenscheinlich für die kollektive Fortführung des Rituals ein und ­suchen, die Tochter zum Töten zu bewegen. Doch wird das durch intermittierende Szenen konterkariert, die die einzelnen Figuren allein und als Individuen mit unterschiedlichen Beweggründen zeigen.

Die verschiedenen Familienmitglieder lassen sich allerdings auch als linke Charaktermasken deuten; sie stehen für unterschiedliche Weisen des Umgangs mit dem Scheitern ­revolutionärer Ambitionen. Einer, der älteste Bruder der Mutter, erfährt im Laufe des Stücks sogar von seiner unheilbaren Krankheit. Er ist eine melancholische Poetennatur, die eigentlich am liebsten dem Zug der Schwalben am Himmel folgt.

Ein anderer Bruder sorgt sich vor allem um die Korkeichen, unter denen die Faschisten verscharrt werden, und hat sein Leben der Scholle verschrieben. Ein dritter, der zunächst besonderes sentimental auf alles reagiert, was mit der Erinnerung an die übermächtige Großmutter zu tun hat, scheint sich zumindest vorübergehend als Zyniker zu entpuppen, als er dem Faschisten heimlich einen Deal anbietet: Investitionen in ein Agrotourismusprojekt im Tausch ­gegen sein Leben.

So zersetzt die Dramaturgie langsam das »Wir« eines kollektiven »Standpunkts«. Was die Familie zusammenhält, scheint am Ende nur mehr das Ritual als solches zu sein. Die Inszenierung gelangt durch Handlung und Dialog nicht zu einer Antwort auf die Frage nach der ­moralischen Legitimation politischer ­Gewalt, vielmehr stehen am Ende Sinn und Zweck des ganzen Rituals in Frage. Bis dato hat die Familie es unabhängig von der politischen Situation einfach wiederholt, als handle es sich um ein Weihnachtsessen oder einen Geburtstag.

Der Dramentext schöpft seinen immer wieder aufscheinenden bösen Humor daraus, dass er eine Familienzusammenkunft, auf der es zu den üblichen, mehr oder minder harmlosen Reibereien kommt, mit einem Ritual verbindet, das grausam nicht zuletzt für die jungen Familienmitglieder ist, die zum Mord erzogen werden.

Über all die Jahre der halbwegs stabilen demokratischen Ordnung im Land scheint es niemand in Frage gestellt zu haben. Ausgerechnet jetzt, da womöglich eine neue Art von Faschismus das Haupt regt, geschieht eben das. Der Mord am entführten Faschisten wird aber gerade nicht als angemessene Reaktion darauf präsentiert, sondern als leeres Ritual einer antifaschistischen Linken, die dieser Krise politisch nichts entgegenzusetzen vermag. Dieser Ohnmacht entkommt keine der im Stück evozierten Positionen.

Infantiler Trotz

Das macht das für den Skandal beim New Yorker Publikum verantwortliche Ende deutlich. Nachdem die Tochter erneut nicht zu töten bereit war, fällt ein Protagonist nach dem anderen Schüssen zum Opfer, deren Urheber nicht eindeutig identifiziert wird: Ist das mittlerweile geortete Mobiltelefon des Faschisten schuld, das die Tochter nicht auftragsgemäß im Meer versenkt hatte und auf dem Mailbox-Nachrichten seiner Angehörigen und Spießgesellen zu hören sind?

Oder ist es nicht der äußere, sondern der innere Feind? Schießt vielleicht der Einzige der Familie, den man nicht fallen sieht: ein Sohn des todkranken Bruders, der eine Art Erzählerrolle im Stück einnimmt und die Geschehnisse immer wieder in Szenen kommentiert, die den Handlungsablauf unterbrechen? Er selbst belässt es kurz vor den Schüssen bei der Wiederholung vager Andeutungen vom Anfang, in denen von einem entfesselten, alles verschlingenden Feuer der Gewalt die Rede ist. Möglich, dass er diese Apokalypse nun selbst entfacht.

Danach hat nur noch der Faschist seinen Auftritt. Hat er bisher kein Wort gesprochen, so erhebt er sich nun, tritt an den Bühnenrand, rückt sich die Krawatte zurecht und beginnt eine demagogische Rede, die kein Ende nehmen will.

Die Rede selbst wirkt wie eine Collage aus Zeitungsmeldungen und Tonaufnahmen, die so arrangiert werden, dass das Dokumentarische immer wieder in die Parodie kippt. Auch nimmt sie wiederholt Bezug auf vorangegangene Dialoge, etwa wenn die Schwalben diffamiert werden, weil sie überall Dreck machten.

Das alles ging aber während der Aufführung am 16. November völlig unter, denn kaum hatte die Rede begonnen, regte sich auch schon das Publikum: Den Anfang machten offensichtlich vorbereitete Sprechchöre, die von der Empore Evergreens linker Selbstvergewisserung wie »There is only one solution: revolution« rezitierten.

Einer schrie: »Shoot him!«

Der Rest des Publikums reagierte darauf zunächst verunsichert. Sind sie vielleicht Teil der Inszenierung? Sie waren es nicht, sondern waren wohl aufgrund der am selben Tag in der New York Times zu lesenden Rezension geplant worden. Ähnliches hatte sich auch schon am Tag zuvor zugetragen.

Nach einer kurzen, von den Saalordnern erwirkten Beruhigung erhoben sich nun aber auch im übrigen Publikum Stimmen. Und je länger der Redeschwall anhielt, umso lauter und aggressiver wurden die Reaktionen. Sie reichten von Zuschauern, die aufstanden, trotzig der Bühne den Rücken zukehrten oder gleich den Saal verließen, über Buhrufe und Schmähungen bis zu von den Ordnern gerade noch verhinderten Handgreiflichkeiten.

Einer schrie: »Shoot him!«, wobei man nicht wusste, wen er aufforderte (es waren ja fast alle Figuren auf der Bühne tot); ein anderer sprang erbost auf und rannte mit erhobenem Zeigefinger Richtung Bühnenrand. Man mochte nicht in der Haut von Schauspieler Romeu Costa stecken, der aber unbeirrt weiter den Hetzer gab.

Freilich ist die Provokation gewollt und wirkt, als ob Rodrigues sie dem Handbuch postdramatischen Theaters entnommen habe. Sie vollzieht den Bruch der vierten Wand und den Sprung in die Unmittelbarkeit »unserer« Realität. Das wirkt umso stärker, als die Inszenierung bis dahin, allein schon ob des ins Absurde hinüberspielenden Szenarios, die Distanz zu dieser Realität aufrechterhalten hatte.

Nun aber scheint der Demagoge direkt zum Publikum zu sprechen – das vermutlich, gewöhnt an die am Broadway noch immer dominierende Guckkastenästhetik, mit solchen performativen Volten wenig vertraut ist. Dass es trotz des Wissens, im Theater und nicht bei einer Wahlkampfveranstaltung zu sitzen, so reagiert, weist allerdings auf einen überaus starken Affekt hin – er dürfte selbst die Fans einer »partizipativen« Theaterästhetik erschrecken lassen. Warum also eskaliert die Lage dermaßen? Können viele Zuschauer das Bühnengeschehen schlicht nicht ertragen?

Die Reaktionen reichten vom Verlassen des Saals über Buhrufe und Schmähungen bis zu von den Ordnern gerade noch verhinderten Handgreiflichkeiten.

Die Rede selbst beinhaltet kaum etwas, das nicht auf den Social-Media-Kanälen während des Wahlkampfs der vergangenen Monate in Dauerschleife gelaufen wäre, sei es nun in kritischer oder affirmativer Absicht. Das Stück trifft einen blankliegenden Nerv, vermutlich weil es den liberals und progressives im New Yorker Publikum einen Spiegel vorhält: Es führt ihnen vor Augen, wie orientierungslos sie selbst angesichts der politischen Umbrüche im Land sind.

Wenn sie dieses Mal auch weniger überrascht sein dürften vom Wahlsieg Donald Trumps als 2016, so wissen sie ihm doch politisch noch immer nichts entgegenzusetzen. Anstatt nach den gesellschaftlichen Gründen für dessen erneuten Erfolg zu fragen und dabei das völlige Versagen der Demokraten zu thematisieren, verfolgen sie weiter die Strategie der Dämonisierung, aus der Trumps Kampagne letztlich noch Kapital geschlagen hat.

So gleichen die Reaktionen denen, die auf der Bühne vorgeführt werden. Dem Ritual im Stück, das um jeden Preis wiederholt werden muss, egal ob es einen Sinn hat oder nicht, entspricht ein nicht minder ritualisiertes Verhalten. Doch mit Blick auf die Lage – und eine designierte Regierung, die tatsächlich Angriffe auf die demokratischen Institutionen erwarten lässt – ist unabweisbar, dass es ebenso folgenlos bleibt wie das Familienritual.

Viele im Publikum reagieren auf diese Vorführung – wie insgesamt auf die Zumutung, mit Widersprüchen umgehen zu müssen – mit infantilem Trotz. So provoziert der Schlussmonolog einmal mehr die Rituale identitätspolitischer Selbstvergewisserung: Man ist ja gegen die Faschisten. Sogar so sehr, dass man es nicht zulassen darf, dass deren böse Gedanken auf der Bühne ausgesprochen werden. Hier, wo es nichts kostet, kann man sich heroisch gebärden – indem man auf Schauspieler losgeht.