12.12.2024
Wie der Schriftstellerverband sich beinahe mit Hamas-Propagandisten solidarisiert hätte

Zoff bei Pen Berlin

Im Schriftstellerverband Pen Berlin wollte man mal wieder den sogenannten Nahost-Konflikt lösen: Ein Antrag zum Schutz des »kulturellen Lebens« des »palästinensischen Volkes« scheiterte nur knapp.

Im Nahen Osten und in Israel interessiert sich niemand dafür, was deutsche Intellektuelle und Schriftsteller über den Krieg in Gaza und im Libanon denken oder schreiben. Es ist deshalb rührend zu beobachten, wie engagiert diese sind, der Welt ihre Meinung kundzutun. Jüngst zum Beispiel, indem sie einen »Antrag auf eine öffentliche Positionierung des Pen Berlin zu getöteten Journa­list:innen und Autor:innen« stellten, um der »Zerstörung des kulturellen Lebens in Gaza und im Libanon« Einhalt zu gebieten. Zur Abstimmung stand er am Sonntag, gestellt wurde er unter anderem von Per Leo, Omri Boehm, Tomer Dotan-Dreyfus, Deborah ­Feldman, Tomer Gardi, Eva Menasse, Susan Neiman und Miryam Schellbach.

Tatsächlich besteht die Bebauung des Gaza-Streifens zu weiten Teilen aus Ruinen, darunter auch Schulen und Universitätsge­bäude. Das wird es schwer machen, wieder eine halbwegs funktionierende Gesellschaft aufzubauen, vor allem wenn es keine neue ­politische Ordnung ohne die Hamas gibt. Doch deren Verantwortung verschwindet hinter dem weihevollen Gerede der deutschen ­Intellektuellen von der Kultur.

Dass die Kultur laut Per Leo und Co. als Wert an sich gilt, ohne die die Menschen »nicht frei und selbstbestimmt leben« können, zeigt, wie unterbelichtet und überhöht zugleich der Begriff Kultur bei Intellektuellen ist.

Die New York Times hat diese Woche eine Recherche veröffentlicht, der zufolge mindestens zwei Dutzend zum Teil hochrangige Funktionäre in den von den UN betriebenen Schulen in Gaza Hamas-Mitglieder waren. Die meisten von ihnen seien Schulleiter oder deren Stellvertreter gewesen, zum Teil seien sie Mitglied im militärischen Arm der Hamas gewesen. In ­internen Kriegsplänen der Hamas habe es außerdem geheißen, dass Schulen und andere zivile Einrichtungen »das beste Hindernis seien, um den Widerstand zu schützen«.

Dass die Kultur laut Per Leo und Co. als Wert an sich gilt, ohne die die Menschen »nicht frei und selbstbestimmt leben« können, zeigt, wie unterbelichtet und überhöht zugleich der Begriff Kultur bei Intellektuellen ist, die tatsächlich glauben, mit der »Zerstörung kulturellen Lebens« sei »die Zukunft des palästinensischen Volkes« gefährdet, als ob das »palästinensische Volk« derzeit keine anderen Probleme hätte. Was die Menschen zunächst brauchen, sind sauberes Wasser, Nahrung und eine Wohnung.

Propaganda und Hybris

»Schon unter der Hamas war die Pressefreiheit im Gaza-Streifen eingeschränkt; kritische Journalist:innen wurden eingeschüchtert und kriminalisiert«, schreiben die Unterzeichner, und an der Wahl der Verben sieht man, dass es laut Per Leo und seinen politischen Freunden in Gaza unter der Hamas so schlimm nicht war, während hingegen Israel die Berichterstatter gleich erschießen lässt. So funktioniert Propaganda.

Die Erklärung wird am Ende schließlich abgerundet mit dem unvermeidlichen Versuch, mit der Regierung ins Geschäft zu kommen, ihr quasi als Berater zur Seite zu stehen: »Wir appellieren an die Bundesregierung, sich mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts« einzusetzen. Eine lächerliche Hybris.

Am Ende scheiterte der Antrag knapp. Stattdessen wurde ein Kompromissvorschlag angenommen. Doch auch von diesem haben sich gut zwei Dutzend Mitglieder öffentlich distanziert, darunter Ronya Othmann und Jan Feddersen. In einer öffentlichen Stellungnahme kritisierten sie besonders einen Absatz, der aus dem ursprünglichen Antrag übernommen worden war.

Journalismus von Terrorpropaganda unterscheiden

In diesem Absatz, beginnend mit »Zu den Toten gehören unsere Kolleg:innen … « lege die Resolution »eine Solidarisierung auch mit Autor:innen nahe«, die gegen Juden gehetzt hätten »und/oder als Propagandist:innen des Terrors von Hamas und Hisbollah tätig waren. Diese Autor:innen wollen wir nicht als unsere Kolleg:innen bezeichnen.«

So werde unter anderem Mustafa al-Sawaf aufgeführt, »Autor in palästinensischen Medien und hochrangiger Hamas-Funktionär. Er widersetzte sich unter anderem den Plänen, den Holocaust in den palästinensischen Schul-Lehrplan aufzunehmen«.

Zum Schutz der freien Presse gehöre es, heißt es in der Stellungnahme weiter, »Journalismus von Terrorpropaganda zu unterscheiden, daher gilt unsere Verbundenheit und Solidarität allen Journalist:innen, die ihr Leben für eine freie Berichterstattung ­gerade aus Kriegsgebieten riskieren«.

Austritt zahlreicher Unterstützer des ursprünglichen Antrags

Kurz darauf erklärten zahlreiche Unterstützer des ursprünglichen Antrags ihren Austritt, darunter Per Leo und Susan Neiman. Weil sie sich mit ihrem Antrag nicht in jedem Punkt hatten durchsetzen können, ertrugen sie es offenbar nicht mehr, im Verein Mitglied zu sein.

In einer wortreichen Erklärung, die in der Frankfurter Rundschau erschien, kritisierten sie auch die Vereinsführung, diese sei »intellektuell überfordert, historisch uninformiert, von einem strategischen Bewusstsein, das an der Vereinstür endet«. Im »Sturm einer Öffentlichkeit, die in moralische Panik um den sog. israelbezogenen Antisemitismus verfallen ist, hat sich der Verein in die Geiselhaft einer kleinen Gruppe begeben, deren Daseinszweck im Erschnüffeln antisemitischer Verdachtsmomente besteht«. Die Trennung sei für sie gegenwärtig »ein Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«.

aktualisiert am 13.12.24