Flop in Friedrichshain
Es war die erste rechtsextreme Demonstration in Friedrichshain seit 2018 – und sie endete, wie zu erwarten war, als völliger Flop. Bloß 60 überwiegend jugendliche Neonazis waren am Samstag erschienen, rund 3.000 Gegendemonstranten blockierten ihren Weg. Auf halber Strecke wurde der Aufmarsch abgebrochen. Die Organisatoren sprechen trotzdem von einem Erfolg – denn man habe es geschafft, durch Friedrichshain zu laufen, einen als links geltenden Stadtteil Berlins.
Im Oktober hatte das bis dato unbekannte »Aktionsbündnis Berlin« angekündigt, im Dezember im linken Kiez zu demonstrieren. Der gleichnamige Telegram-Kanal hat kaum Follower. Ursprünglich sollte der Aufmarsch über die Rigaer Straße führen, wo sich immer noch einige linke Hausprojekte befinden, die Route wurde jedoch schon bald geändert.
Gleichwohl sorgte die Ankündigung für einige Aufregung: 13 Gegenkundgebungen waren insgesamt angemeldet, es beteiligten sich Antifa-Gruppen, Anwohner:innen, der Verein Omas gegen rechts, auch der Linkspartei-Politiker Ferhat Koçak nahm an einer Blockade teil.
Als Redner geladen war der rechtsextreme Influencer »der Fürst«, der nach eigener Aussage »im Moment ganz besonders für Palästina« aktiv ist.
Noch zwei Tage vor der Demonstration suchte das »Aktionsbündnis« über Instagram einen Fahrer für den Lautsprecherwagen – anscheinend fehlte ein Kamerad mit passendem Führerschein. In der Not ließ man sich sogar auf vermeintliche Angebote von vollkommen Fremden ein. Nach Jungle World-Informationen hatte das »Aktionsbündnis« gerade einmal 100 Euro Budget, weshalb ein teurer Mietwagen nicht in Frage kam. Am Ende gab es wohl doch ein Auto, dieses bewältigte aber den Weg zum Ostkreuz nicht, wo die Demo losging. »Das war ärgerlich«, so das »Aktionsbündnis« auf Instagram.
Das Organisationsteam des Aufmarschs hatte sich vor der Demonstration am Alexanderplatz getroffen, wie Fotos des Recherchenetzwerks Berlin zeigen. Von dort aus ging es mit Polizeibegleitung zum Bahnhof Ostkreuz in Friedrichshain. Dass Anreisen zu Demonstrationen in Berlin polizeilich geschützt werden, ist nicht selbstverständlich. Im Juli waren genau an jener Station Ostkreuz zu einer Demonstration anreisende Antifas von Neonazis der Kleinpartei »Der III. Weg« angegriffen worden. Die Polizei hatte die Anreise nicht begleitet, obgleich eine Neonazi-Attacke »für die Polizei Berlin im Bereich des Wahrscheinlichen« lag, wie später die Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage von Berliner Abgeordneten der Linkspartei mitteilte.
Mit dem Springerstiefel gegen den Kopf der SPD-Mitglieder
Am Startpunkt mussten die Rechtsextremen wegen des Gegenprotests erst einmal zwei Stunden warten, bis sie loslaufen durften. Der ehemalige AfD-Politiker Ferhat Sentürk, der als Redner angekündigt war, erklärte in dieser Zeit dem rechten Streamer Weichreite TV seine Gründe für die Teilnahme, nämlich »dass die linke Szene mittlerweile einen feuchten Hering auf Deutschland gibt«. Wenn »Konservative« nach einer Demonstration zum Bäcker gingen, dann setze die Antifa die Bäckerei in Brand. Rechte hingegen würden niemals, behauptete er, zum Beispiel SPD-Veranstaltungen stürmen.
Um was für eine dreiste Lüge es sich dabei handelte, wurde am selben Tag offenbar. Kurz vor Sentürks Interview hatten vier Neonazis, die laut Polizei auf dem Weg zu der Demonstration waren, in Berlin-Lankwitz zwei als solche erkennbare SPD-Mitglieder angegriffen, die Wahlkampf machten. Dem Polizeibericht zufolge schlugen die Nazis die beiden in einem Bus nieder und beschimpften sie als »linke Zecken«; bei einem traten sie »mehrfach mit sogenannten ›Springerstiefeln‹ massiv gegen dessen Kopf und Rumpf«.
Im zerstrittenen AfD-Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte sich Sentürk auf die Seite der offen Rechtsextremen gestellt: Den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich (der sich selbst in einem internen Chat mal »das freundliche Gesicht des NS« nannte) bezeichnete Sentürk als »persönlichen Mentor und Freund«. Obwohl Sentürk zu dem Zeitpunkt schon aus der AfD ausgetreten war, weil er sich mit seinem lokalen Verband zerstritten hatte, sei er auf Helferichs Einladung vom 10. bis 12. Oktober in Berlin zu Gast gewesen, berichtete der Antifaschistische Monitor Berlin. Der Telegram-Kanal »Aktionsbündnis Berlin«, damals noch »Aktives Berlin«, sei nur wenige Tage zuvor gegründet worden.
Reichlich Palästina-Flaggen
Auf der Demonstration am Samstag ebenfalls als Redner geladen war »der Fürst«, ein rechtsextremer Influencer mit rund 22.500 Tiktok-Followern und nach eigener Aussage AfD-Mitglied. Er ist »politisch aktiv für Deutschland, aber auch jetzt gerade im Moment ganz besonders für Palästina«, sagte er mit einer Kufiya um den Hals in einem Video von einer Demonstration in Düsseldorf, bei der reichlich Palästina-Flaggen zu sehen waren. Auf seinem Kanal verbreitete er Inhalte der Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« und nennt den Holocaust-Gedenktag »Internationalen Tag der Heuchelei«.
Geprägt wurde der Aufmarsch in Friedrichshain vor allem von Anhängern der Gruppen »Deutsche Jugend voran« (DJV) sowie »Jung & Stark«. Die beiden Zusammenschlüsse von Nachwuchsneonazis hatten sich erst in diesem Sommer gegründet, ihr Hauptanliegen war bislang das Stören und Bedrohen von CSD-Paraden. »Sirene«, ein bekanntes Berliner DJV-Mitglied mit Verbindungen zu »Der III. Weg«, war am Samstag Ordner.
Zu sehen war ein Transparent mit der Aufschrift »Freiheit für Julian«. Einer der DJV-Anführer, Julian M., sitzt seit Ende Oktober in Untersuchungshaft, vorgeworfen wird ihm gefährliche Körperverletzung in mehreren Fällen. Gemeinsam mit sechs anderen soll M. einen Mann in Berlin-Marzahn zusammengeschlagen haben, der ein Antifa-T-Shirt trug, und wenige Tage später einen anderen Mann im benachbarten Berlin-Hellersdorf.
»Ale-ale-ho, Antifa-Hurensöhne«
Die meisten Neonazis waren vermummt. Andere zeigten sich nur allzu gern den anwesenden Fotografen. Ein Teilnehmer teilte nach der Demonstration auf Instagram ein Foto des Portals »Endstation rechts«, das offenbar ihn zeigt, und kommentierte: »Leute, wenn ihr Bilder mit dem Glatzkopf seht, bitte rüberschicken, das bin ich.«
Etwa eineinhalb Kilometer vom Startpunkt entfernt wurde die Demo schließlich an der Frankfurter Allee abgebrochen. Unter Polizeibegleitung wurden die Rechtsextremen hinunter zum U-Bahnhof gebracht. Bevor die U-Bahn kam, hielt Sentürk noch eine Rede, umringt von jugendlichen Neonazis, die ihn bejubelten und seinen Redebeitrag filmten. Zuletzt sangen alle gemeinsam »Ale-ale-ho, Antifa-Hurensöhne«.
Von ihrem offensichtlichen Scheitern ließen sie sich nicht die Stimmung vermiesen: »Wir haben gewonnen«, grölte der Versammlungsleiter in einem Video des Aktionsbündnisses. »Es ging uns nur darum, durch Friedrichshain zu laufen.« Diesen Triumph wollte er sich offenbar nicht davon vermiesen lassen, dass es sich nur um ein kleines Grüppchen und ein paar Hundert Meter an der Bezirksgrenze zu Lichtenberg handelte. Nächstes Jahr, versprach er, wolle man das nochmal versuchen.
»Für die Organisatoren war das ein Flop. Aber die jungen Neonazis von DJV könnten durchaus ein Erfolgserlebnis gehabt haben«, sagte ein Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus der Jungle World. Außer den Jungnazis habe so gut wie niemand an der Demonstration teilgenommen. Zuvor habe man spekuliert, welche Teile der rechtsextremen Szene sich angesprochen fühlen könnten. »DJV hat die Versammlung eindeutig zu einem Neonazi-Aufmarsch gemacht«, so die Einschätzung der Mobilen Beratung. Doch deren Parolen waren dank des Gegenprotests, mit dem die Neonazis nonstop konfrontiert waren, kaum zu hören gewesen.