»Sie wollten nach Israel«
Was ist das Ziel Ihres Vereins?
Matthias Schreckeis: Wir erinnern an die jüdische Flucht aus dem Camp für Displaced Persons, Ankunft in Tel Aviv (DPs) in Saalfelden bei Salzburg. Dort lebten zu dem Zeitpunkt Shoah-Überlebende, mehrheitlich aus Osteuropa. Sie wollten vor dem auch nach 1945 immer noch bestehenden Antisemitismus in Europa nach Israel fliehen. Ein Schlüsselmoment war der antisemitische Pogrom in Kielce (Polen) im Jahr 1946, bei dem mehr als 40 Juden ermordet wurden.
Im Sommer 1947 hat die jüdische Flüchtlingsorganisation Bricha zusammen mit der Jewish Brigade – das waren jüdische Verbände, die im Krieg als Teil der britischen Armee gekämpft hatten – schätzungsweise 5.000 bis 8.000 Juden vom Bundesland Salzburg illegal nach Italien gebracht. Dabei mussten sie den Krimmler Tauern in den Alpen überqueren.
Das war illegal damals?
Eva Bammer: Die offiziellen Grenzübergänge und Pässe waren alle durch die britischen und die französischen Befreiungsmächte gesperrt. Eine Masseneinwanderung ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina war von den Briten unerwünscht. Von Italien aus sind die Menschen dann mit Schiffen ins heutige Israel gefahren.
»Im Sommer 1947 hat die jüdische Flüchtlingsorganisation Bricha zusammen mit der Jewish Brigade schätzungsweise 5.000 bis 8.000 Juden vom Bundesland Salzburg illegal nach Italien gebracht.«
Warum ist es wichtig, daran zu erinnern?
Jakob Gruber: Der Geschichtsunterricht in Österreich hat oft eine Lücke nach 1945, also bei einer angeblichen »Stunde null«, und dann geht es mit der Staatsgründung Österreichs 1955 weiter. Dass es auch nach 1945 intensiven Antisemitismus in Europa gab, ist vielen gar nicht bewusst. Die Zeit dazwischen ist unterbelichtet, zum Beispiel die Geschichte der DP-Camps. Das Camp in Saalfelden wurde von den Bewohnern Givat Avoda genannt, hebräisch für »Hügel der Arbeit«. Die Menschen bereiteten sich dort gezielt auf ihre Zukunft in Israel vor und lernten Hebräisch. Für die Flucht über die Alpen trainierten sie durch lange Spaziergänge. Man darf nicht vergessen, dass sie KZ-Überlebende waren, schwerst traumatisiert und körperlich geschwächt. Und kaum jemand hatte Erfahrung mit hochalpinen Gebirgen. Die Flucht war sehr herausfordernd und gefährlich für sie und konnte nur im Sommer stattfinden, weil sonst Schnee auf den Bergen liegt.
Der Verein APC organisiert seit 2007 jedes Jahr eine Gedenkwanderung. Wie läuft das ab?
Nadine Tauchner: Wir haben immer rund 250 Teilnehmer. Das sind ganz unterschiedliche Leute, zum Beispiel Nachfahren von Menschen, die damals dabei waren, hauptsächlich aus Israel und den USA. Und viele Leute verschiedenen Alters aus dem deutschsprachigen Raum und aus Italien. Auch israelsolidarische Antifaschisten gehen mit. Vor der Wanderung gibt es ein Dialogforum mit Diskussionen und Vorträgen.
Welchen Bezug zur derzeitigen Lage sehen Sie in diesem Projekt?
Matthias Schreckeis: Die Notwendigkeit des Staats Israel wird in Frage gestellt, darum ist es uns wichtig, über die Entstehungsgeschichte aufzuklären. Außerdem wollen wir über die Post-Shoah-Geschichte Österreichs forschen und informieren. Es ist zu wenig bekannt, dass der Antisemitismus damals weiter ging und viele Juden nach 1945 in prekären Verhältnissen in DP-Lagern leben mussten, zum Teil wie in Dachau sogar in einem ehemaligen Konzentrationslager – das muss man sich mal vorstellen.
»Dass Österreich nicht durch den sogenannten Anschluss 1938 »das erste Opfer« des Nationalsozialismus war, sondern dass es bereits ab 1934 den Austrofaschismus gab, ist zu wenig bekannt.«
Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Zeitschrift Alpendistel. Worum geht es in dieser Zeitschrift?
Eva Bammer: Die Alpendistel erscheint seit 2020 einmal im Jahr und hat Themen wie »Kein ruhiges Hinterland. Widerstand in den Bergen« oder in diesem Jahr »Versäumtes Erinnern. Österreich und der Austrofaschismus«. Dass Österreich nicht, wie oft fälschlich behauptet, durch den sogenannten Anschluss 1938 »das erste Opfer« des Nationalsozialismus war, sondern dass es bereits ab 1934 den Austrofaschismus gab, ist zu wenig bekannt, auch in Deutschland.