19.12.2024
In Georgien dauern die Proteste an

Sie oder wir

Die Proteste gegen die georgische Regierung reißen nicht ab. Ein Kompromiss zwischen Regierung und Opposition scheint kaum noch vorstellbar.

Georgien hat jetzt zwei Staatsoberhäupter – besser gesagt: zwei zur Auswahl, je nachdem, wen man fragt. Am Wochenende hat die Abgeordnetenversammlung in der Hauptstadt Tiflis den von der regierenden Partei »Georgischer Traum« nominierten ehemaligen Fußballer Micheil Kawelaschwili zum neuen Präsidenten gewählt – doch die Opposition boykottierte nicht nur diese Sitzung, sondern den ganzen parlamentarischen Betrieb. Als erstes Nachbarland gratulierte das autokratisch regierte Aserbaidschan. Ein passendes Signal, fanden viele, die auch Georgien auf dem Weg in autoritäre Verhältnisse sehen.

Die georgische Opposition erkannte die Wahl nicht an. Für sie ist nach wie vor die bisherige Amtsinhaberin Salome Surabischwili die Präsidentin, die sich ebenfalls weigert, die Wahl ihres Nachfolgers anzuerkennen. Zwar hat das Präsidentenamt ähnlich wie in Deutschland vor allem eine repräsentative Funktion, aber Sura­bischwili ist in den vergangenen Monaten zur Galionsfigur der gegen die Regierung gerichteten Proteste geworden. Der »Georgische Traum« habe die Parlamentswahlen im Oktober »gestohlen«, bekräftigte sie in den vergangenen Wochen immer wieder, die Regierung sei illegitim, ihre Abkehr von der EU verfassungswidrig und sie müsse abtreten. Erneut protestierten am Wochenende Tausende in der Hauptstadt und forderten Neuwahlen unter internationaler Aufsicht.

Während viele Demonstranten, die seit Wochen regelmäßig in der Hauptstadt protestieren, militanter auftreten und einige von Umsturz sprechen, verschärft die Regierung die Repression.

Eine Lösung der politischen Krise ist nicht in Sicht, die Fronten haben sich immer mehr verhärtet. Während viele Demonstranten, die seit Wochen regelmäßig in der Hauptstadt protestieren, militanter auftreten und einige von Umsturz sprechen, verschärft die Regierung die Repression. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, es gibt Berichte über wahllose Festnahmen und Misshandlungen in Polizeigewahrsam. Eine Besonderheit ist der Einsatz von sogenannten Tituschki, ein Begriff, der auch während der Maidan-Proteste in der Ukraine 2013 verwendet wurde: vermummte Männer, die Demonstranten oder Journalisten vermöbeln, oder, wie in Tiflis geschehen, in Büros von Oppositionsparteien eindringen, um sie einzuschüchtern.

Ebenfalls ähnlich wie damals in der Ukraine sind es nicht die teilweise sehr unpopulären Oppositionsparteien, für die Zehn­tausende in Tiflis auf die Straße gehen. Die Demonstranten treibt vielmehr die Empörung über Wahlbetrug und Korruption und mittlerweile auch über die repressive Reaktion der Regierung. Ihnen steht die Möglichkeit vor Augen, dass sich Georgien, sollte sich die Regierung an der Macht halten und sich weiter von der EU lösen, in einen repressiven Polizeistaat wie Belarus oder Russland verwandeln könnte. Es war dann auch die Entscheidung der Regierung, die Beitrittsgespräche mit der EU mindestens bis 2028 aus­zusetzen, die Ende November dazu führte, dass die Proteste stark an Größe und Militanz zunahmen und seitdem nicht abgeklungen sind.

Wahlergebnis entscheidend manipuliert

Obwohl die regierende Partei »Georgischer Traum« bei den Parlamentswahlen im Oktober offiziell 53 Prozent der Stimmen erhalten hat, gibt es keine Demonstrationen für die Regierung, die mit denen gegen sie vergleichbar wären. Das liegt nicht nur daran, dass die Wähler des »Georgischen Traums« eher in ländlichen Regionen zu suchen sind, während junge Demonstranten in der Hauptstadt den aktiven Kern der Protestbewegung bilden. Es ist auch ein Indiz dafür, dass das Wahlergebnis tatsächlich entscheidend manipuliert worden ist.

Die Partei »Georgischer Traum«, im Hintergrund gestützt vom reichsten Mann Georgiens, Bidsina Iwanischwili, regiert das Land seit über zehn Jahren. Sie hat in diesen Jahren ihren Einfluss in zahlreichen staatlichen Institutionen und Wirtschaftszweigen ausgebaut. Im staatlichen Bereich Angestellte können von ihr angehalten werden, bei der Wahl für sie zu stimmen, wenn sie nicht ihren Job verlieren wollen. Und Unternehmer, die beispielsweise von staatlichen Aufträgen abhängig sind, befürchten, bei einem Regierungswechsel alles zu verlieren. Am größten ist die Angst beim Oligarchen Iwanischwili selbst, der sich mit aller Kraft an die Macht klammert.

Angstpropaganda verfängt

Die Regierung stellt die Demonstranten als von internen und externen Feinden gesteuert hin, die das Land destabilisieren wollen. Außerdem malt sie die Gefahr eines Kriegs mit Russland an die Wand, in den die vom Westen gesteuerte Opposition Georgien hineinziehen werde. In der vom Bürgerkrieg der neunziger Jahre und dem Vormarsch der russischen Armee auf Tiflis 2008 traumatisierten georgischen Gesellschaft verfängt solche Angstpropaganda durchaus – zumal sie ja einen Kern Wahrheit enthält: Eine Konfrontation mit Russland wäre für ein so kleines und schutz­loses Land wie Georgien existentiell bedrohlich.

Die extreme Rhetorik des Regierungslagers zeigt aber vor allem, dass sie zu keinem Kompromiss bereit ist. Opposition und Protestbewegung haben ihrerseits erklärt, die Regierung auf keinen Fall anerkennen zu wollen. Alle Zeichen deuten auf eine weitere ­Eskalation des Konflikts hin.