02.01.2025
Vor 50 Jahren war Punk noch gegen alles

Doch lieber konstruktiv

Punk entstand Mitte der Siebziger in den USA und England als eine Bewegung, die in erster Linie einfach nur gegen alles war. Das richtete sich sowohl gegen die Zurichtung durch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft als auch gegen die linken Gegenentwürfe.

»Punk ain’t no religious cult, Punk means thinking for yourself«, sangen die Dead Kennedys aus San Francisco 1981: Punk sei keine Religion, sondern bedeute, für sich selbst zu denken. Das war auch damals schon höchstens die halbe Wahrheit. Vielleicht stimmte es nie.

Punk war Mitte der Siebziger als doppelter Einspruch entstanden. In England rebellierten die Sex Pistols, The Clash und The Adverts gegen einen Zustand, in dem die Menschen überflüssig geworden waren. Mehr noch: Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter hatten sich in wirr vor sich hin brabbelnde Witzfiguren verwandelt. Die Welt schien unbrauchbar für die Menschen geworden zu sein. Punk war gleichermaßen Ablehnung und ästhetische Entlarvung dieses Zustands. Im Müllfetisch der ersten Punk-Generation spiegelte sich die Entbehrlichkeit der Menschen wider; die Selbstverstümmelung durch Sicherheitsnadeln und Rasierklingen war das Punkrock-Pendant zu den Deformationen, die jeden Tag am Abendbrottisch der Eltern, in der Schule oder der Straßenbahn zu erkennen waren. Die Punks verweigerten sich der Zukunft, die man für sie vorgesehen hatte: »No Future« sangen die Sex Pistols.

Die spätere Hardcore-Szene stellte dem offensiven Kaputtsein und der demonstrativen Verletzlichkeit des frühen Punk kurzhaarige, durchtrainierte und sportlich gekleidete junge Männer entgegen.

Sie verzichteten aber auch auf einen positiven Gegenentwurf. Das große »A«, das mit dem Pistols-Hit »Anarchy in the U.K.« zum Markenzeichen vieler Punks wurde, war zunächst weniger eine Hommage an Michail Bakunin, Buenaventura Durruti oder andere Vordenker des Anarchismus. Es war eine Koketterie mit Chaos, Zerstörung und Provokation. Damit grenzte sich die frühe Punkbewegung auch von der Linken ab. »No Future« war nicht nur ein Affront gegen den bürgerlichen Fortschrittsoptimismus, sondern auch gegen die alte Arbeiterbewegung, die Spontis, Haschrebellen und Freudomarxisten.

Die Frage »Sozialismus oder Barbarei«, die einige Vordenker der Neuen Linken nach dem Zweiten Weltkrieg in bemerkenswerter Geschichtsvergessenheit erneut hervorgekramt hatten, war für die Punks längst beantwortet. Hatte sich die Protestbewegung der Sechziger noch an der Veränderung der Gesellschaft versucht, probierte Punk den Spagat: Die Bewegung fand sich mit der Unveränderbarkeit der Verhältnisse ab, wollte sich aber trotzdem nicht mit ihnen arrangieren. Auch deshalb war der frühe Punk weder links noch rechts, sondern dagegen.

Mit Vernichtungswünschen konfrontiert 

Genauso wurde Punk von den Bürgern verstanden: Sie erkannten in der Ansammlung von Müll und im demonstrativen Kaputtsein der Punks sich selbst wieder. Punkmusiker wie Johnny Rotten, Sid Vicious oder Siouxsie ­Sioux brachten zum Vorschein, was gerade in der Krise der Siebziger, als ­ganze Wirtschaftszweige zusammenbrachen und die Arbeitslosenzahlen durch die Decke schossen, immer mühseliger hinter Fassonschnitt, Kleinwagen und Reihenhäuschen versteckt gehalten wurde. Sie ließen die Gesellschaft vor sich selbst erschrecken. Die Bürger richteten ihren Hass allerdings nicht gegen die Zustände, auf deren Konto die eigenen Deformationen gingen, sondern gegen die Überbringer der schlechten Nachricht. Auch das gehört zu den Gründen der Vernichtungswünsche, mit denen Punks regelmäßig konfrontiert wurden.

In der ersten Hälfte der Achtziger änderte sich fast alles. Dafür steht nicht zuletzt »Nazi Punks Fuck Off«, jenes Lied der Dead Kennedys, in dem sie Punk zum Ausdruck selbständigen Denkens erklärten. Einige Bands, allen voran Skrewdriver aus Blackpool, hatten sich zuvor der Neonazi-Bewegung angenähert und versuchten sich fortan in Rechtsrock. Die Mehrheit wurde jedoch ebenso wie die Dead Kennedys »links«, das heißt: positiv, kämpferisch und optimistisch. Das alte »No Future« verwandelte sich in »Into the Future«. Die Hamburger Punkband Slime forderte 1983 in ihrem Stück »Guter Rat ist teuer«: »Schluss mit eurem No-Future-Scheiß«.

Ein Teil der Bewegung, die spätere Hardcore-Szene, stellte dem offensiven Kaputtsein und der demonstrativen Verletzlichkeit des frühen Punk kurzhaarige, durchtrainierte und sportlich gekleidete junge Männer entgegen. Andere, darunter Sham 69, Cockney Rejects und Cock Sparrer, schnitten sich ebenfalls die Haare, entdeckten aber die Arbeiterklasse für sich und kombinierten Punkrock mit proletarisch-bierseligem Pub Rock. Oi! war geboren.

Annäherung an die Hausbesetzer- und Autonomenszene

Die Mehrheit behielt jedoch den Punkrock-Look bei, näherte sich aber der Hausbesetzer- und Autonomenszene an. Sie übernahmen deren simpel gestricktes Weltbild und vertonten es. Die Texte unterschieden sich deshalb oft allenfalls in ihrer wütenden und dilettantischen Attitüde von den Machwerken der FDJ-Singegruppen und anderer Liedermacher. Slime sangen im Stil rechter und linker Stammtische gegen »sie da oben in ihren Palästen«, die »Poker um die Welt« spielen würden; The Clash verkleideten sich als Sandinisten – und wurden dafür prompt in der Musikpresse der DDR gelobt. Kurz: Punk verabschiedete sich von der früheren Selbstironie und Destruktivität.

In Deutschland lieferten Punkbands wie Toxoplasma, Normahl, Hass oder Slime gemeinsam mit Hannes Wader oder den Bots (»Das weiche Wasser bricht den Stein«) die Begleitmusik für die Demonstrationen der Friedens- und Antiatomkraftbewegung der Achtziger. Punk näherte sich dem gesellschaftlichen common sense an, gegen den er einmal aus gutem Grund aufbegehrt hatte. Die wenigen Ausnahmen, die es gab, bestätigen nur die Regel.

Dennoch zog die Bewegung noch für einige Jahre den Zorn der Bürger auf sich. Das lag nicht zuletzt an ihrem weiterhin gebrochenen Verhältnis zur Volkstümlichkeit. Daraus resultierte auch das gelegentliche Bedürfnis, sich ganz unkonstruktiv Luft zu verschaffen. Die Chaostage, die zum ersten Mal 1983 in Hannover stattfanden, sind nur das bekannteste Beispiel dafür.

Zwiespältigkeit wich ideologischer Eindeutigkeit

Selbst Slime fabrizierten nicht nur stammtischkompatible Lynch­aufrufe gegen »Bonzen« oder Oden an die Freude darüber, dass »wir viele« seien, die etwas gegen die »Yankees« hätten (»Yankees raus«). Sie sangen auch gegen law and order, Neonazis und die Grausamkeiten des Alltagslebens. Andere Bands stellten ihren antiameri­kanischen Hasspredigten Lieder gegen Arbeitswahn (Canal Terror: »Lieber ’n Bauch vom Saufen als ’n Buckel vom Arbeiten«), faschistoide Spießer oder die Verdrängung der Nazi-Vergangenheit zur Seite.

Spätestens seit den Neunzigern ist diese Zwiespältigkeit jedoch ideologischer Eindeutigkeit gewichen. Inzwischen ist nicht mehr nur der Hass auf »Bonzen«, »Spekulanten« und »Multis« mit der Mehrheitsmeinung kompatibel. Auch die Momente des Punk, die lange auf gesellschaftliche Ablehnung stießen, haben ihren provokativen Charakter verloren: Ihren Antifaschismus teilen junge Punks längst mit ihrem Sozialkundelehrer. Der kritische Verweis auf die Nazi-Vergangenheit – »wegen Auschwitz« – gehört spätestens seit Joschka Fischers Rechtfertigung deutscher Beteiligung am Nato-Einsatz im Kosovo 1999 zu den zentralen Legitimationsgrundlagen der deutschen Außenpolitik.

Nietengürtel, zerrissene Hosen und Ramones-Shirts gehören längst zum Angebot von Klamottenläden wie H & M. Punk ist zur anerkannten Institution gesellschaftlichen Distinktionsgewinns geworden.

Auch die traditionellen Moralvorstellungen und Umgangsformen, gegen die Punk einmal antrat, sind anachronistisch geworden. Das beste Beispiel ist der Spießer, die große Hassfigur der frühen Punkszene. Lieder gegen Reihenhäuschen, geplante Biographien und die lebenslange Ehe, für die diese Figur steht, sind nicht mehr provokant. Seit das Arbeitsamt keine geradlinigen Lebensläufe mehr predigt, sondern Flexibilität, Nonkonformismus und stetige Neuerfindung, sind sie staatstragend geworden. Mit seiner Behäbigkeit, der Distanz zu Fremdsprachen und neuen Medien fordert der Spießer die gesellschaftlichen Imperative inzwischen sogar stärker heraus als der dynamische Do-it-yourself-Punk. Punk hat sich, mit anderen Worten, von der ästhetischen Entlarvung der Gesellschaft verabschiedet und ist zu ihrem unkritischen Abbild geworden. Auch deshalb gehören Nietengürtel, zerrissene Hosen und Ramones-Shirts längst zum Angebot von Klamottenläden wie H & M. Punk ist zur anerkannten Institution gesellschaftlichen Distinktionsgewinns geworden.

Die Punkszene tut sich mit dieser Einsicht jedoch schwer. Einige Ältere verzichten zumindest auf das große Politpathos und machen in musikalischer Nostalgie. Das ist sicher weder besonders provokant noch aufregend, aber auch kein Selbstbetrug. Die politischeren Punks bemühen sich hingegen um Abwehr. Je deutlicher sie sich dem gesellschaftlichen Mainstream annähern, umso stärker halluzinieren sie sich den eigenen Konformismus zur Staatsfeindschaft zurecht.

Hymne auf Christian Drosten

Zumindest diese Kreise nehmen in Sachen betreutes Denken und Entmündigung durch Achtsamkeit längst eine gesellschaftliche Avantgardeposition ein. Passend dazu schrieben die Berliner Politpunks von ZSK auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie eine Hymne auf den deutschen Virologen Christian Drosten. Sie fänden es »einfach cool und stark«, wie der Mediziner agiere, so die Erklärung.

Jello Biafra, den früheren Frontmann der Dead Kennedys, finden ZSK selbstverständlich ebenfalls »cool«, wie sie in einem Interview gestanden. Biafra trat schon vor Jahren den US-amerikanischen Grünen bei. Bei seinen zurückliegenden Konzerten in Deutschland rief er nicht nur zur Wahl der SPD auf, sondern auch zu mehr Antiamerikanismus: »Ihr Deutschen müsst die Welt weiter vor meinem Volk, den Amerikanern, beschützen!« Das Publikum war begeistert.